Zeitschrift Aufsätze

Philipp Hackländer

Der zivilprozessuale Alltag im Jahre 1936 am Amtsgericht Spandau, Abteilung 5

A.Einleitung
1. Untersuchungsgegenstand
2. Quellen
3. Methodik
B.Umsetzung der politischen Vorgaben gegenüber der Justiz durch die Amtsgerichtsräte
1. Durchsetzung des Vorrangs der "Volksgesamtheit"
2. Sittenverstöße
3. Der Richter als "Rechtswahrer"?
C.Umsetzung der politischen Vorgaben durch Gerichtsassessoren
D.Beteiligung von Juden
1. Beteiligung von Juden als Kläger oder Beklagte
2. Beteiligung von jüdischen Rechtsanwälten
3. Zwischenergebnis
E.Verwendung nationalsozialistischer Schlagworte, Verweis auf "heutige Rechtsanschauung"
F.Beteiligung von Nationalsozialisten
G.Sonstige
H.Zusammenfassung

A. Einleitung

Die Frage, ob es an den Amtsgerichten - als unterste ordentliche Gerichte in Zivilsachen - im "Dritten Reich" eine nationalsozialistisch geprägte Rechtsprechung gegeben hat, ist bislang noch nicht untersucht worden. 1
Bekannt ist, daß es eine Vielzahl von Zivilurteilen gab, in denen die nationalsozialistische Rechtsauffassung vollends zum Tragen kam.1) Ebenso ist bekannt, daß die überwiegende Anzahl der zivilprozessualen Entscheidungen wegen ihrer zumeist unpolitischen Sachverhalte so auch zu Zeiten der Weimarer Republik oder der Bundesrepublik ergangen wären. Die bisherigen Untersuchungen zum Zivilrecht sprechen von einem etwa 3-6%igen Anteil an Urteilen, die einen Bezug zu den politischen Verhältnissen aufweisen.2)2
Soweit der Justizalltag beschrieben bislang wurde, handelte es sich jedoch überwiegend nicht um empirisch abgesicherte Ergebnisse, vielmehr wurden oft Urteile aus einem Gesamtbestand herausgegriffen, um so entweder die These von der "Normalität des Zivilrechtsalltags" oder die vom "Gerichtsalltag als Teil des Terrorsystems" zu stützen. Lediglich zu den Oberlandesgerichten Celle und Karlsruhe liegen allgemeine Untersuchungen vor, denen ein Gesamtbestand von Urteilen zugrunde liegt.3) Ferner wurde die Rechtsprechung der Landgerichte Hamburg und Altona in Ehe und Familiensachen im Zeitraum 1933 bis 1939 untersucht und empirisch ausgewertet.4)3
Das reine Aufzählen von Urteilen sagt aber nichts darüber, wie die Verteilung in der Gerichtspraxis tatsächlich aussah. Wie oft kam es vor, daß ein Amtsgerichtsrat ein von nationalsozialistischer Weltanschauung geprägtes Urteil fällte? Um diese Frage zu beantworten, dürfte dem Rechtshistoriker nur die systematische Untersuchung fortlaufender Gerichtsentscheidungen bleiben.5)4
Eine solche Untersuchung wird derzeit vom Autor vorgenommen. Ein Teil der Ergebnisse wird mit diesem Aufsatz vorgestellt.6)5
Hinsichtlich dieser Ergebnisse ist jedoch unbedingt zu berücksichtigen, daß die zugrundeliegenden Entscheidungen alle aus der Zivilprozeßabteilung 5 des Amtsgerichtes Spandau stammen und somit keinen repräsentativen Querschnitt darstellen können. Gleichwohl bieten die Entscheidungen interessante Einblicke in das, was sich vor 62 Jahren an einem deutschen Amtsgericht abspielte. 6

1. Untersuchungsgegenstand

Zum einen soll hier die Frage untersucht werden, inwieweit politische Vorgaben an die Justiz durch die Richter umgesetzt worden sind. Wurde die radikale Neuinterpretation des gesellschaftlichen Wertesystems von den Richtern mitvollzogen? Wurde unter Zuhilfenahme der einschlägigen Gesetze subsumiert, wie es bereits in der Weimarer Republik bzw. unter heutigen rechtsstaatlichen Umständen der Fall war bzw. ist? Oder stand bereits 1936 alles im Sinne einer unbegrenzten Auslegung7)zur Disposition? Dabei galt den durch Gerichtsassessoren8) gefällten Entscheidungen ein besonderer Augenmerk. 7
Ferner galt es zu ermitteln, inwieweit sich die Beteiligung von Juden an den Rechtsstreiten auf den Prozeßausgang auswirkte. 8
Auch die Beteiligung von Mitglieder der NSDAP, SA, SS oder anderer NS-Formationen bzw. von Personen, die irgendwelche Beziehungen zu Parteistellen in die Waagschale warfen, war hinsichtlich eines möglichen Einflusses auf die richterliche Entscheidung zu prüfen. 9
Bezüglich der Frage nach einer grundsätzlichen Beeinflussung der richterlichen Entscheidungspraxis durch nationalsozialistische Weltanschaung war weiterhin von Interesse, ob sich Auffälligkeiten durch die Verwendung typischer bzw. ideologisch geprägter Begriffe oder Bezeichnungen in Urteilen ergaben. 10

2. Quellen

a) Entscheidungsreihen

(1) Gesamtumfang

Für diesen Aufsatz wurden die im Archiv des Landesarchivs Berlin lagernden allgemein zivilprozessualen Entscheidungen des Amtsgerichts Berlin-Spandau, Abteilung 5, herangezogen. Die Beschränkung auf eine Abteilung ergibt sich daraus, daß Akten anderer Abteilungen ebensowenig wie anderer Berliner Amtsgerichte (etwa Charlottenburg, Tiergarten, Wedding oder Schöneberg) auffindbar waren; sie wurden offensichtlich vernichtet.9)11
Aus dieser Zivilabteilung des Amtsgerichts Spandau wurden knapp 1.200 Entscheidungen aus dem Zeitraum Januar 1936 bis März 1937 durchgesehen. 12
Die Abteilung war in dieser Zeit besetzt durch den Amtsgerichtsrat H. mit zeitweiser Unterstützung durch die Gerichtsassessoren F., Dr. K., Dr. B. und Dr. R. 13
Welchen Weg die Entscheidungen des Amtsgerichts Spandau in das Landesarchiv nahmen, konnte nicht mehr nachvollzogen werden. Eine Überprüfung, ob die Entscheidungsreihen "gesäubert" worden sind, konnte mangels vorhandener Registerakten nicht erfolgen. Jedenfalls sind die Reihen insoweit unvollständig, als zu etwa jedem sechsten Geschäftszeichen die Akten fehlen. 14
Grund dafür könnte jedoch die gewöhnliche Quote von Angelegenheiten sein, die wegen örtlicher Unzuständigkeit an andere Gerichte bzw. wegen interner Unzuständigkeit an andere Gerichtsabteilungen abgegeben worden sind. 15

(2) Inhalt der Prozeßakten

Es handelt sich bei den durchgesehenen Entscheidungen grundsätzlich um "ausgedünnte" Vorgänge, das heißt, vorhanden sind in der überwiegenden Anzahl der Fälle nur die gerichtlichen Entscheidungen sowie - bei Beteiligung von Rechtsanwälten oder Rechtsbeiständen - die jeweiligen Kostenfestsetzungsbeschlüsse. Somit fehlten die Schriftsätze der Parteien ebenso wie Protokolle über Beweisaufnahmen. Für die Überprüfung der Entscheidungsfindung sowie möglicher besonderer äußerer Prozeßumstände wären diese Unterlagen natürlich von erheblicher Bedeutung gewesen. 16
Lediglich in den Verfahren, die Unterhaltszahlungen und Vaterschaftsfeststellungen zum Inhalt hatten, sind die Prozeßakten vollständig erhalten. 17
In den übrigen Fällen ergab sich je nach Beendigung des Rechtsstreits folgendes Bild: 18
Bei der Entscheidung durch Urteil standen im Normalfall nur die amtsrichterliche Beschreibung des Streitstandes (Tatbestand) sowie die diesbezügliche rechtliche Würdigung (Entscheidungsgründe) zur Verfügung. 19
Sofern Versäumnis- oder Anerkenntnisurteile ergingen, sind jeweils die zugrundeliegenden Zahlungsbefehle (heute: Mahnbescheide) bzw. Klageschriften erhalten, die mit einem gerichtlichen Stempel (Versäumnisurteil/Anerkenntnisurteil) versehen worden waren. 20
Verglichen sich die Parteien gar, liegen nur die Vergleichsprotokolle vor, so daß in diesen Fällen grundsätzlich weder Anspruchsgrund noch Streitstand ermittelbar waren. In einigen Fällen von protokollierten Vergleichen sind jedoch noch vorgehende Zeugenvernehmungen festgehalten. 21

b) Sonstiges Material des Landesarchivs Berlin

Hinsichtlich der Akten des AG Spandau bestand das Problem, die Beteiligung von Personen jüdischer Abstammung oder Religion erst ermitteln zu müssen. Hierfür standen bisher folgende Unterlagen zur Verfügung:
  • Die Bestandsliste der von Spandau aus deportierten und ermordeten Juden
  • Die Bestandsliste der von Spandau aus emigrierten Juden
  • Die von der Spandauer SA hektographierte Aufstellung über jüdische Geschäfte zum 1.4.1933
22
Diese Unterlagen führten in mehreren Fällen über Namens- und Adressübereinstimmung zu einer Identifizierung von Bürgern jüdischer Religion bzw. Abstammung. Bei ungeklärten Fällen, die aber wegen typischer Namen eine jüdische Abstammung der jeweiligen Person vermuten lassen, erfolgte eine getrennte Einordnung. 23
In zwei Fällen ließ sich die jüdische Abstammung bzw. Religion unter Zuhilfename des jüdischen Adressbuches von 1931 feststellen.10)24

c) Biographisches Verzeichnis der Berliner Rechtsanwälte jüdischer Herkunft

Hinsichtlich der Ermittlung beteiligter jüdischer Rechtsanwälte in den Rechtsstreiten wurde die Dokumentation von Simone Ladwig-Winters über das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 193311) herangezogen. 25

3. Methodik

Die Auswertung erfolgte per vollständiger Durchsicht des Materials, das zu erschließen, bewerten und einzuordnen war. Von trügerischem Vorteil war hierbei die amtsrichterliche Praxis, Urteile in aller Kürze darzustellen. So waren Tatbestand und Entscheidungsgründe der Urteile regelmäßig auf ein bis zwei DIN-A 4-Seite zusammengefaßt. 26
Um dem Leser einen Einblick zu ermöglichen, waren die interessanten Entscheidungen nahezu vollständig und regelmäßig im originalen Wortlaut vorzutragen. Die jeweiligen Gerichtsaktenzeichen ergeben sich aus den zugehörigen Fußnoten. Soweit die Urteile nicht aus der Feder des Amtsgerichtsrates H. stammten, ist neben dem Aktenzeichen auch der Name des entscheidenden Gerichtsassessors vermerkt. 27
Ein erheblicher Teil der Rechtsstreite wurde durch Vergleich beendet. Die diesbezüglichen Gerichtsprotokolle sind nur insoweit auswertbar, als über die Namen der Beteiligten und ihrer Prozeßbevollmächtigten ermittelt werden konnte, daß es sich um Personen jüdischer Religion oder Abstammung handelte. 28
Weitere wenig aussagekräftige Entscheidungen sind die Anerkenntnis- und Versäumnisurteile. Zum überwiegenden Teil ergingen diese nach Einsprüchen gegen Zahlungsbefehle (heute: Mahnbescheide). In diesen Fällen können für die Frage einer Auffälligkeit wiederum lediglich die Namen der Beteiligten herangezogen werden. Soweit Versäumnis- oder Anerkenntnisurteile auf dem gewöhnlichen Klageweg - also nicht im Anschluß an einen Zahlungsbefehl - ergingen, war zumindest hinsichtlich der Versäumnisurteile überprüfbar, ob das klägerische Vorbringen einen rechtlichen Anspruch schlüssig darlegte (§ 331 Abs. 2 ZPO). 29

B. Umsetzung der politischen Vorgaben gegenüber der Justiz durch die Amtsgerichtsräte

Die von den Nationalsozialisten geforderte Neuordnung des BGB blieb bekanntlich aus. Im Reichsjustizministerium war zwar erkannt worden, daß die Regeln des Bürgerlichen Rechts den rechtlichen Vorstellungen der Parteifunktionäre teilweise widersprachen, so daß der "Wille zum Gesetzesgehorsam" im Volk hätte Schaden nehmen können. Zu gesetzgeberischer Aktivität hinsichtlich einer Änderung der Vorschriften des Allgemeinen Teils sowie des Schuld- und Sachenrechts kam es aber nicht. 30
Somit übernahm die juristische Literatur die Anleitung der Rechtsprechung bei der nationalsozialistischen Rechtserneuerung.12) Bereits kurz nach der Machtergreifung wurde den Richtern deutlich gemacht, woran sie ihre Entscheidungspraxis in Zukunft zu orientieren hatten. Maßstab des gesamten deutschen Rechts sollte der "Geist des Nationalsozialismus`" sein; jede Auslegung mußte "eine Auslegung im nationalsozialistischen Rechtssinne" sein.13)31
Eine Anpassung der Rechtsprechung zum Bürgerlichen Recht sollte einstweilen durch eine entsprechende Auslegung der Generalklauseln des BGB bewirkt werden. Insbesondere die §§ 242 (Treu und Glauben), 138 (Sittenverstoß) und 226 (Schikaneverbot) seien hier genannt. Nach den Vorstellungen der nationalsozialistischen Rechtsdogmatiker sollten diese Normen als "Wächter des Allgemeinwohls" den "individualistischen Vorschriften" des BGB entgegengestellt werden, wenn ein "Sieg des Eigennutzes über das Gemeinwohl" drohte.14) So sollte der Richter die Befugnis besitzen, die bestehenden Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der nationalsozialistischen Weltanschauung zu prüfen und gegebenenfalls zu verwerfen. 32

1. Durchsetzung des Vorrangs der "Volksgesamtheit"

Der Vorrang des Allgemeininteresses war von Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft an propagiert worden. Nach den Vorstellungen des nationalsozialistischen Staates sollte der Gemeinschaftsgedanke zum "alles beherrschenden und alles durchdringenden Lebens- und Gestaltungsgrundsatz für alle im Volke vorhandenen und tätigen Kräfte" werden.15) Eine gemeinschaftsfreie Individualsphäre des einzelnen Bürgers sollte nicht mehr anerkannt sein. Man berief sich insbesondere auf Hitlers Ausspruch: "Du bist nichts, Dein Volk ist alles."16)33
Diese "Priorität der Volksgesamtheit" gegenüber den Individualinteressen fand sich in verschiedenen Ausprägungen auch in den untersuchten Entscheidungen des Amtsgerichtsrates H.: 34
Am deutlichsten zeigte sich dieser nationalsozialistische Rechtsgrundsatz in einem Rechtsstreit zwischen der Bodengesellschaft Spandau-Berlin mbH i.L. und dem Pächter einer Kleingartenparzelle. Die Klägerin begehrte die Räumung des Grundstücks. Der Klage wurde stattgegeben, da der Pachtvertrag bereits zum 30. September 1935 durch rechtmäßige Kündigung erloschen war. Die Stattgabe wurde weiter damit begründet, daß das Gelände nach der Räumung bebaut werden sollte und "der Beklagte nicht den Bauplan sabotieren" könne. "Das Privatinteresse hat sich dem Allgemeininteresse unterzuordnen und auch deshalb ist der Beklagte zur sofortigen Räumung der von ihm innegehaltenen Parzelle zu verurteilen."17)35
In einer anderen Sache hatte ein Hauseigentümer eine Mietpartei auf Zahlung von rückständigem Mietzins verklagt.18) Die beklagten Eheleute hatten die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist nicht eingehalten, dem Kläger aber vier interessierte Nachmieter genannt. Der Kläger hatte sich darauf - ohne dies zu begründen - nicht eingelassen und verlangte nun von den Beklagten die Erfüllung des Mietvertrags. 36
Der Amtsgerichtsrat wies die Klage ab, da es unerheblich wäre, ob der Mietvertrag zum von den Beklagten vorgebrachten Zeitpunkt aufgelöst worden sei oder später. Unter Berufung auf die Weigerung des Klägers, an einen der vorgeschlagenen Nachmieter zu vermieten, fügte der Richter hinzu: 37
"Es ist in höchstem Maße asozial zu nennen, wenn ein Hauseigentümer in der heutigen, ganz besonders wohnungsarmen Zeit seine Räume leerstehen läßt und sie der Allgemeinheit nicht zur Verfügung stellt. Die Klage war daher als völlig unbegründet abzuweisen." 38

2. Sittenverstöße

Es konnte lediglich drei Fälle festgestellt werden, in denen der Richter mit Sachverhalten konfrontiert wurde, die eine Anwendung des § 138 BGB in Betracht kommen ließen. 39
Im ersten Fall wurde ein möglicher Sittenverstoß jedoch gar nicht erst erörtert: 40
In diesem Rechtsstreit klagte eine Geschäftsinhaberin gegen ein Ehepaar auf Zahlung von RM 41,00 Restkaufpreis für Gardinen und Bettzeug. Das Ehepaar machte geltend, die erworbenen Sachen seien viel zu teuer gewesen. 41
Amtsgerichtsrat H.gab der Klage wegen §§ 433, 1357 BGB statt und führte weiter aus: "Die von den Beklagten erhobenen Einwendungen konnten nicht berücksichtigt werden, weil das Gesetz eine Herabsetzung des Kaufpreises durch den Richter nicht erlaubt. Anfechtbar ist der Kauf nicht, da der Irrtum über den Wert einer gekauften Sache nicht zur Anfechtung berechtigt."19)42
In zwei Fällen kam AGR H.aus anderen Gründen um die Anwendung des § 138 BGB herum: 43
In dem einem Rechtsstreit wurde ein Schneider zur Rückzahlung eines Darlehens verurteilt, das ihm ein Theatermaler gewährt hatte. Der Beklagte hatte u.a. eingewandt, der Kläger habe ihm die Schuld erlassen, weil er ihm die Bekanntschaft mit einer Dame vermittelt hatte. H. begründete seine Entscheidung damit, daß ein Beweis für den bestrittenen Erlaßvertrag nicht angetreten war, so daß "eine Prüfung, ob dieser Vertrag gegen die guten Sitten verstößt und deshalb nichtig ist, also nicht zu erfolgen brauchte. […]".20)44
In dem zweiten Rechtstreit21) hatte ein Gärtnereibesitzer gegen einen Landwirt auf Rückzahlung eines Darlehns geklagt. Es lag folgender Tatbestand zugrunde: 45
Der Beklagte hatte im Jahre 1931 vom Kläger zum Kauf von Schweinen ein Darlehen über RM 1.200,00 erhalten. Vereinbart war, daß der Beklagte nach Mast und Verkauf der Schweine RM 1.600,00 an den Kläger zurückzuzahlen verpflichtet war. Nach Teilzahlungen durch den Beklagten, deren Gesamthöhe zwischen den Partein streitig blieb, kamen diese im Jahre 1932 überein, daß die Restschuld des Beklagten RM 1.000,00 betragen solle. 46
Der Beklagte wandte nun ein, der Darlehensvertrag sei aufgrund der wucherischen Zinsen (RM 400,00 bei RM 1.200,00 Dahrlenssumme) nichtig. Außerdem habe er bis 1933 weitere Zahlungen in einer Gesamthöhe von RM 700,00 an den Kläger geleistet. 47
Amtsgerichtsrat H.gab der Klage in Höhe von RM 300,00 statt, da diese Summe nach den weiteren Zahlungen des Beklagten auf die in 1932 festgestellte Restschuld offen wäre. Weiter heißt es in den Gründen: 48
"Der Wuchereinwand greift nicht, da der Beklagte am 4.11.1932 sich in Kenntnis der Tatsachen erneut zu RM 1.000,00 schuldig bekannt hat." 49

3. Der Richter als "Rechtswahrer"?

In den "Leitsätzen über Stellung und Aufgaben des Richters", in Auftrag gegeben vom ReichsrechtsführerHans Frank, formuliert von den Professoren Dahm, Eckhardt, Höhn, Ritterbusch und Siebert, wurde die Auslegung aller Rechtsquellen an die nationalsozialistische Weltanschauung gebunden. In Leitsatz Nr. 3 heißt es: 50
"Gegenüber Führerentscheidungen, die in der Form eines Gesetzes oder einer Verordnung gekleidet sind, steht dem Richter kein Prüfungsrecht zu. 51
Auch an sonstige Entscheidungen des Führers ist der Richter gebunden, sofern in ihnen der Wille, Recht zu setzen, unzweideutig zum Ausdruck kommt."22)52
Als Rechtsquellen traten danach unter anderem die nationalsozialistische Weltanschauung und das gesunde Volksempfinden neben gesetzliche Vorschriften. Führerwille, Volksgemeinschaft und Parteiprogramm galten sogar als Rechtsnormen über dem geschriebenen Recht.23)53
Beispielsfälle dafür, daß die richterliche Entscheidung nach diesen sogenannten Rechtsquellen gefällt wurde, ergaben sich aus den "Spandauer Urteilen" nicht. Auch der oben beschriebene Fall, in dem der Richter ausführte, daß "das Gesetz eine Herabsetzung des Kaufpreises nicht erlaube", schöpfte die Möglichkeiten der nationalsozialistischen Rechtsauslegung nicht aus. 54
Lediglich in einem Fall verließ Amtsgerichtsrat H. den traditionellen Weg der Urteilsfindung und verließ sich auf seine persönliche Einschätzung: 55
In diesem Rechtsstreit hatte eine Frau gegen ihren Bruder auf Auszahlung eines ihr vorenthaltenen Erbanteils geklagt. Laut Tatbestand behauptete die Klägerin, der Beklagte habe nach dem Tod der Mutter Bargeld an sich genommen. Obwohl aus der Entscheidung hervorgeht, daß der Beklagte die Behauptungen der Klägerin bestritten hatte, gab H. der Klage hinsichtlich eines Teilbetrags statt. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin habe einen so guten und glaubhaften Eindruck auf das Gericht gemacht, daß ihre Aussage schwer zu bezweifeln sei. Der Beklagte dagegen habe einen unsicheren Eindruck gemacht. Wörtlich heißt es weiter: 56
"Unter Berücksichtigung aller Tatsachen schätzt das Gericht, dass der Beklagte mindestens RM 600,00 an die Erben schuldet."24)57
Was H. dazu bewogen hat, eine Schätzung vorzunehmen, war nicht zu ermitteln. Ermunterungen hierzu hatte es aber in der juristischen Literatur gegeben: Freisler stellte sich den zukünftigen Richter bereits 1933 als rechtskundigen Nationalsozialisten vor, der das Recht sicher erfühlen und instinktiv richtig anwenden könne.25) Auch Lange hielt die am Rechtsleben Beteiligten "nicht als bloße Anwendungsmaschinen für Gesetzesvorschriften". Wörtlich heißt es im "Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung" zu der Arbeitsweise der Rechtswahrer: 58
"Verstand und Gefühl müssen sich vereinigen und im Einzelfalle das Recht durch Entscheidung gestalten."26)59
In der Berufung vor dem Landgericht (277.S.4334/36) wurde das Urteil abgeändert: Die Klage wurde in voller Höhe abgewiesen, da die Klägerin als beweispflichtige Partei einen Beweis für ihre Behauptungen nicht angetreten und der Beklagte den Vortrag bestritten habe. 60
In einem weiteren Rechtsstreit hatte sich Amtsgerichtsrat H. mit stark ideologisch geprägten Ausfürungen des Beklagten bzw. seines Prozeßbevollmächtigten auseinanderzusetzen: 61
In diesem Rechtsstreit klagte eine Frau, bei der aufgrund ärztlichen Gutachtens Schizophrenie festgestellt worden war, gegen ihren ehemaligen Ehemann auf Zahlung von Unterhalt.27) Da es sich um eine Unterhaltssache handelte, ist die Gerichtsakte noch vollständig vorhanden. Die Ehe der Parteien war rechtskräftig geschieden nach Anfechtung durch den Ehemann wegen Irrtums (§ 1333 BGB28)), "weil die Antragstellerin an einer Erbkrankheit, der Schizophrenie leide". 62
Die Frau stellte am 28.11.1936 zunächst ein Armenrechtsgesuch über die NS-Rechtsbetreuungsstelle Groß-Berlin mit der Bitte um Beiordnung eines Rechtsanwalts. In ihrem Antrag trug sie vor, gemäß § 1346 S. 2 BGB29) in Verbindung mit § 1345 Abs. 1 BGB30) Unterhalt beanspruchen zu können. Sie verfüge weder über Vermögen noch Einkommen. Dagegen erhalte der frühere Ehemann als beamteter Ingenieur des Wasserwerks Charlottenburg RM 245,00 monatlich. Im übrigen stehe ihm der Einwand, daß sie den "Irrtum" bei Eingehung der Ehe gekannt habe oder habe kennen müssen, nicht zur Seite, weil sich die ersten Erscheinungen ihrer Krankheit erst zwei Jahre nach der Eheschließung gezeigt hatten. 63
Der Antragsgegner ließ sich durch den Rechtsanwalt Dr. Münch31) aus der Spandauer Kanzlei Münch und Liefeldt, laut Briefkopf Mitglieder des "Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes NSRB", vertreten. Mit Anwaltsschriftsatz vom 9. Dezember 1936 trug er vor: 64
"[…] Die Klägerin beruft sich auf § 1346 BGB. Als diese Bestimmung redigiert und in das Gesetz aufgenommen wurde, waren dem Gesetzgeber nicht nur die heutigen medizinischen Erkenntnisse, sondern vor allem auch bevölkerungspolitische Erwägungen und Grundsätze, wie sie der neue Staat jetzt schon aufgestellt und verwirklicht hat, fremd. Der nationalsozialistische Staat hat nicht nur ein Interesse an der Verhütung von Eheschließungen, bei denen der eine Ehegatte etwa erbkrank veranlagt ist, er hat auch ein Interesse daran, daß derartige Ehen getrennt werden, um dem gesunden Ehepartner eine gesunde Nachkommenschaft hervorzubringen. Wenn auf der einen Seite diese Ziele durch den Staat und den Gesetzgeber bewußt gefördert werden sollen, kann ihnen auf der anderen Seite der Erfolg nicht wieder dadurch genommen werden, als die wirtschaftlichen Folgen, insbesondere in der Unterhaltsverpflichtung, eine neue Eheschließung gewissermaßen hindern. […] 65
Die Auflösung derartiger Ehen, die auch das Reichsgericht durch seine bekannte Rechtsprechung gefördert und erleichtert hat, würde somit weder Zweck noch Ziel haben. Eine Auflösung derartiger Ehen allein zum Zweck der Vermeidung der Erzeugung erbkranken Nachwuchses ist nicht erforderlich, weil hier bereits das Erbkrankennachwuchsgesetz Sicherheit geschaffen hat. 66
Vor der Neueinstellung von Staat und Volk zu diesen Problemen bildete die Anfechtung einer Ehe verhältnismäßig selten den Gegenstand eines Rechtsstreits. Diese geänderten Anschauungen, die nicht mehr als das Interesse des Einzelnen, sondern des Staates, der Allgemeinheit als das primäre ansehen und die, wie schon dargelegt, bereits in zahlreichen gesetzgeberischen Maßnahmen des neuen Staates ihren Niederschlag gefunden haben, muß daher auch durch die Rechtsprechung Rechnung getragen werden. Die jetzt Allgemeingut gewordenen, früher nur einen Teil des Parteiprogramms der NSDAP. bildenden Anschauungen bedeuten auch einen Zwang für den einzelnen Staatsbürger, sich denselben anzupassen und daraus die erforderlichen Folgerungen für sich selbst zu ziehen. […] 67
Er hat nicht nur ein Recht darauf, sondern Staat und Volk verlangen sogar von ihm als Glied dieses Volkes, daß er für den Fortbestand eines gesunden Volkes seinerseits beiträgt. Es bedeutet ein nach unseren heutigen Anschauungen unerfüllbares Verlangen an ihn, weiterhin mit einer erbkranken, sterilisierten Ehefrau zu leben. […] 68
Das Anfechtungsrecht ist also nach unseren heutigen Anschauungen schon zu einer Anfechtungspflicht geworden. Aus diesen Gründen kann nach erfolgter Anfechtung und Nichtigkeitserklärung der Ehe die materielle Folge des § 1346 den anfechtungsberechtigten, gutgläubigen Ehegatten nicht mehr treffen. […] 69
Diesen zwangsläufigen Erwägungen scheint die neue Literatur und Rechtsprechung schon in gewissem Umfange Rechnung zu tragen." 70
Es folgen Verweise auf ein Urteil des OLG Hamburg (Hanseatische Richterzeitung 1935, Nr. 1594) zur Anfechtbarkeit von Ehen sowie auf die Aufsätze von Grunau ("Erbkrankheit und Ehenichtigkeit", JW 1935, S. 3080 ff. zu 4.) und Henneberg (DJZ 1935, Sp. 557), nach denen eine Unterhaltspflicht bei gutgläubigen Ehegatten, deren Ehe für nichtig erklärt worden ist, nicht bestünde. Weiter wurde vorgetragen: 71
"Die Rechtsprechung muß daher in derartig gelagerten Fällen diesen Gesichtspunkten einer völlig gewandelten Erkenntnis in Anschauung auf dem Gebiet des Rechtes der deutschen Familie Rechnung tragen. Es mag gewiß hart erscheinen, wenn damit dem an sich ohne sein Verschulden erbkranken Ehegatten keinerlei Unterhaltsrechte zugebilligt werden. […] Berücksichtigt man diese Tatsachen, so kann § 1346 BGB auf Fälle der genannten Art nicht zur Anwendung kommen, weil die in ihm angesprochenen Rechtsfolgen dem Sinn und dem Ziel neuerer Gesetze, die insbesondere zum Schutze und zur Gesundung der deutschen Familie geschaffen wurden, widersprechen." 72
Amtsgerichtsrat H. entschied durch Beschluß vom 14.12.1936, dem Armenrechtsgesuch nicht stattzugeben. Der hiergegen gerichteten Beschwerde der Antragstellerin half er mit Beschluß vom 21. Dezember 1936 nicht ab und legte die Sache dem Landgericht Berlin zur Entscheidung vor. 73
Mit Beschluß vom 9. Januar 1937 bewilligte die 72. Zivilkammer des Landgerichts Berlin -272.T.14505.36- der Antragstellerin das Armenrecht, da 74
"[…] die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht aussichtslos erscheint. Der Vorderrichter scheint übersehen zu haben, daß die Ehe nicht wegen Geisteskrankheit für nichtig erklärt ist, sondern daß dies wegen Irrtums geschehen ist." 75
Daraufhin trug der Antragsgegner durch Rechtsanwalt Münch vor: 76
"[…] Nach unseren heutigen Anschauungen ist der Richter an die Anwendung materieller Gesetzesbestimmungen aus der Zeit vor der Machtergreifung daher nur bedingt gebunden. Sie sind nicht anzuwenden oder anders auszulegen, wenn ihre unmittelbare Anwendung nach richterlicher Überzeugung dem gesunden Volksempfinden und damit den Grundsätzen der nationalsozialistischen Weltanschauung widersprechen würde (vergl. Droege in JW 1937, S. 213). Die Rechtsprechung hat sich auch in anerkennenswerter Weise diese Grundsätze bereits zu eigen gemacht. Es soll lediglich verwiesen werden auf die Entscheidung des Amtsgericht Leipzig in "Deutsches Recht" 1936, S. 506, wonach die Erbeinsetzung eines Juden durch einen Deutschen als dem gesunden Volksempfinden widersprechend für nichtig erklärt worden ist, […]." 77
Weiter wurden Ausführungen zur Frage der Anspruchshöhe gemacht. 78
Die Klägerin, der der Rechtsanwalt S. beigeordnet worden war, ging auf die Ausführungen des Beklagten zum Anspruchsgrund nur insoweit ein, daß auf die derzeitige Geltung der §§ 1345, 1346 BGB hingewiesen wurde. 79
Mit Zwischenurteil vom 13. Februar 1937 gab Amtsgerichtsrat H. der Klage dem Grunde nach statt. Hinsichtlich der Ausführungen des Beklagten zum Anspruchsgrund nahm er in den Tatbestand auf: 80
"Der Beklagte ist der Ansicht, daß die §§ 1345/1346 BGB nach heutigem Recht keine Anwendung im vorliegenden Fall finden." 81
In den Entscheidungsgründen heißt es dann: 82
"Der Anspruch der Klägerin ist dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären. Der Beklagte hat seine frühere Ehe mit der Klägerin mit Erfolg angefochten. Die Ehe wurde für nichtig erklärt. Zur Zeit der Eheschließung waren Anzeichen für die Erbkrankheit der Klägerin noch nicht vorhanden. Gemäß § 1346 S. 2 BGB in Verbindung mit § 1345 BGB hat die Klägerin einen Anspruch auf angemessene Unterhaltsrente. 83
Den sehr beachtlichen Ausführungen des Beklagten in seinen Schriftsätzen vermag das Gericht nur deshalb nicht beizutreten, weil es an das Gesetz gebunden ist und nur dann ein Gesetz oder eine einzelne Gesetzesbestimmung nicht mehr anwenden darf, wenn erkennbar ist, daß nach dem Willen des Führers oder der Reichsregierung das formal geltende Recht kein Recht mehr sein soll. Dies festzustellen ist das Amtsgericht nicht in der Lage. Es spricht auch die Vermutung dafür, daß § 1346 S. 2 BGB geltendes Recht ist, weil sonst die Reichsregierung diese Bestimmung aufgehoben hätte. Der Anspruch der Klägerin ist daher dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären. […]" 84
Somit zeigte sich H. zwar resistent gegenüber den vor nationalsozialistischer Rechtsanschauung nur so triefenden Ausführungen. Er bekundete aber gleichzeitig, den Willen des Führers als über dem Gesetz stehende Rechtsquelle grundsätzlich anzuerkennen, so daß für ihn auch formal geltendes Recht unter gewissen Umständen keine Anwendung mehr finden durfte. Ungeklärt bleibt, ob H. diese Argumentation nur vorgeschoben hat. Jedoch darf nicht übersehen werden, daß er das Armenrechtsgesuch der Antragstellerin zunächst abwies und erst nach Aufhebung dieser Entscheidung durch das Landgericht zu einer Stattgabe der Klage kam. 85
Im Schlußurteil vom 28. April 1937 wurden der Klägerin RM 70,00 monatlicher Unterhalt zugesprochen. In der Berufungsinstanz verglichen sich die Parteien schließlich auf monatlich zu zahlende RM 60,00 (LG Berlin -277.S.2162.37-). 86

C. Umsetzung der politischen Vorgaben durch Gerichtsassessoren

Für einen älteren Amtsrichter, der erkannt hatte, daß es mit einer Beförderung wohl nichts mehr werden würde, könnte es einerlei gewesen sein, ob die Nationalsozialisten verlangten, alles zuvor in Universitätsstudium und Referendariat Gelernte sowie die jahrelange Berufserfahrung zugunsten einer parteipolitischen "Einzelfallauslegung" zu übergehen. Nach Einschätzung von Gruchmann war es dem nationalsozialistischem Regime trotz der intensiven ideologischen Beeinflussung während der Ausbildung sowie in NSRB-Schulungskursen nicht gelungen, das Erbe der traditionellen Juristenausbildung auszulöschen und bei der Mehrzahl der Richter die Basis für eine willfährige Rechtsprechung zu schaffen.32)87
Was aber war mit den jungen Gerichtsassessoren, die noch gewisse Karrierehoffnungen haben durften? 88
Hinsichtlich der universitären Lehre war im Zuge der Studienreform von 1935 der Technik, dem Umfang und der Bedeutung des bürgerlichen Rechts sowie des Bürgerlichen Gesetzbuches auf das Schärfste der Kampf angesagt worden. 89
Ebenso sah die Reichsjustizausbildungsordnung von 1935 sogenannte Referendarlager vor, in denen die Referendare in den letzten vier Wochen vor ihrer Assessorprüfung ein militärisches Lagerleben in Soldatenkluft führten. Der Tagesablauf war von politischem Unterricht, Schießausbildung und Geländeübungen bestimmt, während juristische Literatur verpönt war. So sollte der neue Typus des Rechtswahrers entstehen und als "Kämpfer für das Recht" den "juristischen Bücherwurm" ablösen.33) In § 26 der JAO wurde aufgenommen: "Der Referendar sollte befähigt werden, […] Volksschädlinge zu bekämpfen." 90
Im nationalsozialistischen Preußen hatte Justizminister Hans Kerrl die Referendarlager bereits im Jahre 1933 eingeführt. In diesem Lager wurden außer Gerichtsreferendaren auch Vermessungsingenieure, Regierungsbauführer und Jungzahnärzte "ausgebildet".34)91
Einige der hier untersuchten Entscheidungen sind durch Gerichtsassessoren gefällt worden. Dabei ist zu vermuten, daß es sich um Juristen handelte, die das 1933 eingeführte preußische Referendarlager erlebt und ihre Ausbildung in den Jahren 1934-1936 beendet hatten. Die Übergangszeit als Gerichtsassessor nach bestandener Zweiter Staatsprüfung dauerte etwa 12 bis 18 Monate.35)92
Es fanden sich teilweise Entscheidungen, die auf ein Durchdringen der nationalsozialistischen Juristenausbildung bei diesen Gerichtsassessoren schließen lassen können. 93
In einer Sache hatte ein Ehepaar seinen Vermieter auf Instandsetzung der Wohnung verklagt. Der Vermieter hatte für Fassadenarbeiten die Jalousien entfernen lassen, die die Kläger nach Beendigung der Arbeiten wieder angebracht haben wollten. Der Beklagte erwiderte, er sei grundsätzlich zum Wiederanbringen der Jalousien bereit, nur wolle er das Haus erst vollständig erneuern. Im übrigen seien Jalousien als Schutz vor Sonnenstrahlen im Winter nicht erforderlich. 94
Der Richter, Gerichtsassessor F., wies die Klage ab. Der Beklagte sei zwar grundsätzlich zum Einbau der Jalousien verpflichtet, jedoch hätte die Kläger für die Wintermonate wegen der fehlenden Hitzeeinwirkung kein erkennbares Interesse am Einbau. Als Verstoß gegen § 226 BGB sei das klägerische Verlangen unzulässig; es habe keinen anderen Zweck, als die berechtigten Interessen des Beklagten zu verletzen. 95
Zu einer entgegengesetzten Entscheidung kam das Landgericht im Berufungurteil: Es gab der Klage gemäß § 536 BGB statt, da die Jalousien auch einen wesentlichen Schutz gegen Kälte darstellen würden und § 226 BGB somit nicht einschlägig wäre.36)96
Der Gerichtsassessor kam also zu einer Anwendung des § 226 BGB als Generalklausel und brachte so den klägerischen Anspruch zu Fall. 97
Die Vorschrift des § 226 BGB war in der Zeit vor 1933 praktisch bedeutungslos. Die Anwendung setzte voraus, daß nach Lage der gesamten Umstände ein anderer Zweck als die Schadenszufügung objektiv ausgeschlossen konnte.37) Solange ein berechtigtes Interesse auch nur mitbestimmend für die Rechtsverfolgung war, schied Schikane i.S.v. §226 BGB aus.38)98
Nach der nationalsozialistischen Rechtsauffassung hatten die Richter dagegen die Ausfüllung der Generalklauseln nach den herrschenden Wert- und Weltansschauungen des Volkes vorzunehmen, die ihren Niederschlag in den Grundsätzen der nationalsozialistischen Bewegung und in der Gesetzgebung des nationalsozialistischen Staates fanden.39)99
Die nationalsozialistische Deutung des Schikaneverbotes ging somit von der Formel "Gemeinnutz vor Eigennutz" aus. Der Berechtigte hatte also bei Ausübung seiner Rechte auf die Interessen der Volksgenossen Rücksicht zu nehmen. Als tatbestandliche Anwendungsvoraussetzungen wurden mangelndes eigenes Interesse, Schädigungszweck und Verstoß der Ausübung gegen nationalsozialistische Grundsätze formuliert.40)100
Bei Betrachtung der Rechtsanwendung durch den Gerichtsassessor zeigt sich, daß sich seine Begründung eher an der nationalsozialistischen Auslegung orientiert. Denn er hat nicht festgestellt, daß die Kläger nichts als eine Schädigung des Vermieters bezweckten. Vielmehr stellte er auf die "berechtigten Interessen" des Vermieters ab, die durch die Inanspruchnahme verletzt würden. 101/font>
In einem anderen Rechtsstreit klagte die Inhaberin eines Wäschegeschäftes gegen den Ehemann einer Kundin auf Zahlung eines Restkaufpreises für Gardinen. Die Ehefrau des Beklagten hatte von dem Kaufpreis RM 39,00 nur RM 6,50 beglichen. Der Beklagte hatte vorgetragen, daß 102
"die Gardinen seiner Frau aufgedrängt worden seien, er wünsche überhaupt zu wissen, ob es sich bei der Klägerin nicht etwa um ein jüdisches Geschäft handele." 103
Der Richter, abermals Gerichtsassessor F., gab der Klage am 23.09.1936 mit folgender Begründung statt: 104
"[…] Die Ehefrau hat den fraglichen Kauf im Rahmen ihrer Schlüsselgewalt getätigt. […] Selbst wenn im Verhältnis der Ehegatten zueinander ein Überschreiten der Vertretungsbefugnis durch die Frau vorliegen sollte, z.B. weil der Mann ihr bestimmte Grenzen vorgeschrieben hatte, hätte diese Überschreitung der Klägerin bekannt oder zumindestens erkennbar sein müssen. Dafür ist der Beklagte beweispflichtig. Einen Beweis hat er aber für seine Behauptung nicht angetreten. 105
Eine Anfechtung des Vertrages aus dem Grunde, weil die Klägerin Jüdin sei, liegt nicht vor. Der Beklagte hat nicht behauptet, daß es sich um eine Jüdin handele, vielmehr nur angefragt, ob das der Fall sei. Deswegen kann aus seinem Vorbringen keine Anfechtung herausgelesen werden. […]"41)106
Zwar hat der Gerichtsassessor im Ergebnis dem klägerischen Anspruch stattgegeben. Er hat aber deutlich gemacht, daß er die Anfechtbarkeit von Verträgen aufgrund der jüdischen Konfession bzw. Abstammung einer der Vertragspartner als grundsätzlich zulässig erachtete. 107
Damit befand er sich im Einklang mit der nationalsozialistischen Rechtsauffassung. 108
In der nationalsozialistischen Beurteilung vertraglicher Rechtsbeziehungen durfte der Vertragsinhalt nicht gegen die Belange der Volksgemeinschaft verstoßen, sondern mußte sich der Gemeinschaftsordnung eingliedern.42) Nach dem Inkrafttreten der Nürnberger Rassegesetze, d.h. ab dem 15.09.1935,43) wurde die Bindung arischer Vertragspartner an mit Juden geschlossenen Verträgen in Frage gestellt.44) Entsprechende Urteile wurden ab Mitte des Jahres 1936 veröffentlicht.45)109
Offen bleibt, warum der Gerichtsassessor die Einlassung des Beklagten nicht als Anfechtungserklärung wertete. Ein Grund hierfür könnte sein, daß es sich bei der Klägerin wahrscheinlich nicht um eine Jüdin handelte.46)110
Ein weiterer Rechtsstreit besaß folgenden Hintergrund: Der Kläger begehrte von einem Ehepaar die Räumung einer Wohnung, die unter das Mieterschutzgesetz fiel.47) Zuvor hatten sich die Parteien, zwischen denen neben dem Miet- auch noch ein Arbeitsverhältnis bestanden hatte, vor dem Landesarbeitsgericht dahingehend verglichen, daß das Miet- und Arbeitsverhältnisse zum 31.3.1936 auslaufen sollten. Die Beklagte wandten nun ein, daß der protokollierte Vergleich nicht die nach dem Mieterschutzgesetz erforderliche Verpflichtung des Mieters zur Räumung und Herausgabe der Wohnung enthielt. 111
Der Richter, Gerichtsassessor F., gab der Räumungsklage dennoch statt: 112
"Zwar ist nach § 5 Abs. 3 Mieterschutzgesetz Vorschrift, in einem Räumungsurteil auch formell die Pflicht des Mieters zur Herausgabe des Mietraums auszusprechen. Diesen Formalismus aber auf einen Räumungsvergleich auszudehnen, besteht kein Anlaß. Durch einen solchen Vergleich wollten die Parteien gerade zur Lösung des Mietverhältnisses kommen, ohne die Frage, ob das Räumungsverlangen des Vermieters berechtigt ist, formell bis zur endgültigen Feststellung durchzufechten. Es genügt daher für die Fassung eines Vergleichs, wenn ein Zeitpunkt für die Beendigung des Mietvertrags angegeben wird." 113
Dieser Verzicht auf die Erfüllung eines Formerfordernisses könnte dahingehend ausgelegt werden, daß die geforderte Loslösung von einer strengen Orientierung an den Normen gefruchtet hatte. Nach der nationalsozialistischen Rechtsauffassung hatten auch die Formvorschriften einen "neuen Sinn" erhalten: Im Gegensatz zu der Beweissicherungs- und Warnfunktion trat der Überwachungsgedanke in den Vordergrund.48)114
Andererseits handelte es sich bei dem Mieterschutzgesetz nicht um vorrevolutionäres Recht, sondern gehörte zu den von den Nationalsozialisten eingeführten Gesetzen.49) Es schränkte insbesondere die Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters ein. 115

D. Beteiligung von Juden

1. Beteiligung von Juden als Kläger oder Beklagte

Spandau besaß vor der nationalsozialistischen Machtergreifung im Gegensatz zu dem Anteil der Juden in "Groß-Berlin" nur eine kleine jüdische Gemeinde. Die Mitgliederzahl lag unter 1.000 und ensprach etwa 0,5 % der Spandauer Bevölkerung. Hinzu kamen aber noch etwa 300 von den Nationalsozialisten als "Geltungsjuden" bezeichnete Personen.50)116
Entscheidungen mit nachweislich jüdischen Prozeßparteien waren nur vereinzelt zu finden. 117
Über die allgemeine Zivilrechtsprechung im Dritten Reich ist bekannt, daß das dem nationalsozialistischen Rassegedanken folgende Prinzip der Ungleichbehandlung der nicht zur Volksgemeinschaft gehörenden rassefremden Personen auch durch die Zivilgerichte durchgesetzt wurde. Dieses Prinzip fand seinen Ausdruck u.a. in der Auslegung der guten Sitten gemäß § 138 BGB, nach denen es das "Empfinden aller billig und gerecht Denkenden" war, daß "Juden und andere unerwünschte Personen" ungleich gegenüber Ariern behandelt werden müßten. 118
Es gab zwar keinen generellen rassischen Vorbehalt für alle Rechtsnormen, jedoch wurde die strikte Beachtung des Gesetzes bei der konkreten Anwendung auf Juden als Fehler angesehen, der im NS-Schrifttum scharf kritisiert wurde.51)119
Bei der Untersuchung von Entscheidungen des Jahrgangs 1936 ist zunächst festzustellen, inwieweit die Entrechtung der Juden zu diesem Zeitpunkt schon vorangeschritten war. In diesem Zusammenhang sind die im September 1935 erlassenen Nürnberger Rassegesetze als Grundlage und Beginn der umfassenden Rassengesetzgebung zu sehen. Sie sollten eine juristischen "Lösung der Judenfrage" bewirken52) und dienten in Verbindung mit den nachfolgenden Rechtsverordnungen einer einheitlichen Diskriminierung der Juden. Ein unkontrolliertes Ausufern rassebezogener Rechtsprechung sollte verhindert werden, da der nationalsozialistische Staat vor allem wegen der wirtschaftlichen Betätigung vieler Juden auf diese angewiesen war.53)120
So hatte die Staatsführung im Handels- und Wirtschaftsrecht zunächst angeordnet, daß eine "Sonderbehandlung" der Juden hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Betätigung nicht gestattet war. Am 17.10.1933 war durch den Reichswirtschaftsminister verfügt worden, die von städtischen Behörden erlassenen Verbote, in jüdischen Geschäften einzukaufen, aufzuheben.54) Ein weiterer ministerieller Erlaß vom 04.11.1935 hatte festgelegt, daß alle Dienststellen der gewerblichen Wirtschaft dafür zu sorgen hätten, daß Maßnahmen nachgeordneter Stellen gegen jüdische Geschäfte, die mit den geltenden Gesetzen in Widerspruch stehen oder den gesetzlichen Regelungen vorgreifen, unterbleiben.55) Der obersten Staatsführung sollte schließlich nicht die "Lösung der Judenfrage" vorweggenommen werden.56)121
Als weiterer Grund für das Innehalten antijüdischer Politik zu diesem Zeitpunkt wird das Interesse der Außenpolitik wegen der im Jahre 1936 veranstalteten Olympischen Spiele genannt.57)122
Somit waren im Bereich des Verkehrsrechts im Jahre 1936 noch Prozeßergebnisse möglich, die an sich ideologisch nicht erwünscht waren. 123
Es fanden sich zahlreiche Rechtsstreite einer Firma Elsana, deren Inhaber Samuel Goldberg jüdischer Abstammung war.58) Möglicherweise handelte es sich um eines der von Juden betriebenen kleinen Textilgeschäfte, die z.B. in der Breite Straße und am Markt ansässig waren. Die Firma Elsana trat jeweils als Klägerin auf . 124
Bis auf drei Ausnahmefälle endeten alle von der Fa. Elsana angestrengten Verfahren durch Vergleiche.59)125
Die Ausnahmefälle endeten jeweils mit stattgebenden Urteilen für die Klägerin.60)126
Ob es sich bei den jeweiligen Beklagten auch um Juden handelte, konnte nicht ermittelt werden. Die Konfession bzw. Abstammung des Klägers wurde in den Entscheidungen nicht erwähnt. 127
Eine weitere jüdische Firma, die im Jahre 1936 noch gegen Kunden prozessierte, war die Firma Max Rosenheimer.61) Hier fanden sich drei Rechtsstreite, die jeweils durch Vergleich endeten.62)128
Auch Prozesse von Juden, die unter ihren bürgerlichen Namen auftraten, waren anzutreffen. Eine Klageforderung der Jüdin Gretchen Cohen63)gegen einen Arbeiter endete durch Vergleich.64) In einer Sache des Juden Louis Salomon,65) vertreten durch die jüdischen Rechtsanwälte Justizrat Alfons Loewe66)und Dr. Oskar Altenberg,67) erwirkte dieser am 07.09.1936 einen Vollstreckungsbefehl wegen Warenlieferung vom 01.12.1934 gegen eine Frau Kluckert.68) Dem Vollstreckungsbefehl war ein Zahlungsbefehl vorausgegangen. 129
Der jüdische Rechtsanwalt Dr. Julian Schachian,69) vertreten durch seinen Kollegen Dr. Alex Coper,70) erwirkte am 07.10.1936 ein Versäumnisurteil über ausstehenden Mietzins gegen einen Herrn Paul Jawer.71) Ebenso erreichte der Arzt Dr. med. Walter Bardeleben,72) vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Leo Weitzenkorn73) am 10.06.1936 ein Versäumnisurteil über RM 24,00 wegen Behandlungsgebühren gegenüber einem Kaufmann.74)130
Der Hauseigentümer Philipp Veit Samter,75) vertreten durch den jüdischen Rechtsanwalt Artur Prinz,76)verglich sich in einem Rechtsstreit gegen einen Beamten des Reichsluftfahrtministeriums wegen ausstehender Mietzinszahlung auf eine Zahlung von RM 60,00.77)131
Bei der Betrachtung der durch Vergleich beendeten Prozesse bleibt ungeklärt, warum die Kläger häufig mit der Einigung einverstanden war. Ebensowenig ist aus den Protokollen ersichtlich, welche Differenzen zwischen ursprünglicher Klageforderung und tatsächlichem Vergleichsbetrag bestanden. Da aber in zwei Fällen die Beklagten die vollständigen Gerichtskosten tragen mußten, spricht einiges dafür, daß in diesen Fällen der Vergleich einem Anerkenntnis der Klageforderung gleichkam.78)132
Auch auf der Beklagtenseite traten Personen jüdischer Abstammung bzw. Konfession auf. 133
Es fand sich eine Beteiligung der bereits erwähnten jüdischen Firma Max Rosenheimer: 134
Die Firma, ebenfalls vertreten durch die jüdischen Rechtsanwälte Justizrat Alfons Loewe79) und Dr. Oskar Altenberg,80) war auf Rückzahlung eines angezahlten Kaufpreises verklagt worden. Auch dieser Rechtsstreit endete durch Vergleich, nach dem sich die Beklagte zur Rückzahlung der Anzahlung Zug um Zug gegen Herausgabe des bereits gelieferten Schlafzimmers unter Teilung der Gerichtskosten bereit erklärte.81)135
Ob und inwieweit Prozeßergebnisse von außen, d.h. durch NSDAP-Formationen oder einzelne Mitglieder, beeinflußt worden sind, war anhand der vorliegenden Unterlagen nicht feststellbar.82)136

2. Beteiligung von jüdischen Rechtsanwälten

Die Zahl der in Berlin, d.h. im Bezirk des Kammergerichtes, zugelassenen Rechtsanwälte betrug Anfang des Jahres 1933 3.890.83) Hiervon waren mindestens 1.835 "nichtarisch".84) Durch die unmittelbar im April 1933 ausgesprochenen Vertretungsverbote waren mindestens 67, durch das Berufsverbot im Oktober 1933 mindestens 667 weitere Rechtsanwälte betroffen. Die Zahl der zugelassenen jüdischen Rechtsanwälte sank ab Oktober 1933 von ca. 1.100 bis zur nächsten einschneidenden Ausgrenzung im September 193885) auf etwa 761, von denen anschließend nur rund 9186) - teilweise befristet - als sogenannte Konsulenten übrigblieben, die lediglich zur rechtlichen Beratung und Vertretung von Juden zugelassen waren und nur noch verminderte Anwaltsgebühren beanspruchen konnten. 137
Im Jahre 1936 dürften demnach noch rund 850 bis 900 jüdische Rechtsanwälte in Berlin zugelassen gewesen sein, von denen einige an den untersuchten Entscheidungen beteiligt waren: 138
Neben den bereits oben erwähnten Justizrat Loewe, Dr. Altenberg, Dr. Coper, Dr. Weitzenkorn und Prinz waren u.a. die Rechtsanwälte Dr. Heinz Sandheim,87) Dr. Kurt Rosenberg,88) Dr.Martin Isaac,89)Dr. Siegfried Kurt Jacob,90)Dr.Hans Bruno Rosenthal,91) Dr. Hans Bamberger,92) Dr . Hans Bürgner,93) Justizrat Arthur Goltzen,94) Dr. Arthur Karsen,95) Justizrat Dr. Leopold Grünberg96)und Dr. Carl Amberg97)als Prozeßbevollmächtigte anzutreffen. 139
Ob die vertretenen Personen auch jüdischer Abstammung oder Religion waren, konnte bislang nicht geklärt werden. 140
Die jeweils zugrundeliegenden Rechtsstreite wiesen keine weiteren Auffälligkeiten auf. 141
Beispielsweise wurde ein Fuhrunternehmer, vertreten durch den jüdischen Rechtsanwalt Dr. Heinz Sandheim, mit seiner Klage auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall ebenso wie der widerklagend Schadensersatz begehrende Beklagte abgewiesen.98) Amtsgerichtsrat H. beurteilte das jeweilige Verschulden an dem Unfall als gleich hoch, so daß die Parteien für den ihnen entstandenen Schaden selbst einstehen müßten. 142

3. Zwischenergebnis

Die überwiegende Zahl der untersuchten Rechtsstreite mit nachgewiesener Beteiligung jüdischer Kläger endete durch Vergleich. Es ist durchaus denkbar, daß jüdische Gewerbetreibende zum Abschluß von Vergleichen gedrängt worden sind. 143
Dagegen spricht jedoch, daß in drei Fällen den klageweise geltend gemachten Ansprüchen der Firma Elsana - und damit einem jüdischen Gewerbetreibenden - stattgegeben wurde. 144
Insgesamt zeigen die in diesem Bereich zusammengefaßten Entscheidungen des Amtsgerichtsrates H. keine wesentlichen Auffälligkeiten. 145

E. Verwendung nationalsozialistischer Schlagworte, Verweis auf "heutige Rechtsanschauung"

Auch die Sprache hatte sich angepaßt: So fand teilweise - wie bereits gezeigt - das Interesse des Volksganzen bzw. der absolute Vorrang der Allgemeinheit Erwähnung. 146
An dieser Stelle sei auch erwähnt, daß die Spandauer Richter den hin und wieder auf den Urteilsvordrucken fehlenden Zusatz "Deutschen" im Vorsatz "Im Namen des Deutschen Volkes" jeweils ergänzten. Diese Neuerung entstammte dem "Ersten Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich" vom 5.2.1934 und wurde offensichtlich ohne Bedenken übernommen. 147
Ein Fall, in dem Amtsgerichtsrat H. mit der "heutigen Zeit" und auch dem einhergehenden Zeitgeist argumentierte, betraf eine anwaltlich vertretene Stenotypistin, die von ihrem Ex-Mann, der als Ingenieur netto RM 245,00 monatlich erhielt, RM 90,00 Unterhalt begehrte. Die Ehe war wegen Alleinverschuldens des Beklagten geschieden worden. Dieser wandte schriftsätzlich ein: 148
"[…] Es würde auch den staatlichen Interessen zuwiderlaufen, wenn eine an wichtiger und verantwortlicher Stelle heute zu intensivster Arbeit verpflichtete Arbeitskraft, an welcher heute großer Mangel herrscht, von einem anderen zermürbt werden soll, der nun selbst wegen seines großen Berufskönnens zur Mitarbeit an die Anforderungen des Staates verpflichtet ist, und sich mit diesem Kampf nun auch noch seiner staatspolitischen Pflicht entziehen will. […] Es ist auch aus den inzwischen erlassenen Ausführungsbestimmungen zum Vier-Jahres-Plan zu ersehen, nach welchem ja bekanntlich jede deutsche Frau und jeder deutsche Mann verpflichtet ist, seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. […]" 149
Das Gericht verurteilte den Beklagten, der Klägerin zwei Monate lang RM 70,00 zu zahlen, und wies die Klage für die hierüber hinausgehende Zeit ab. In den Entscheidungsgründen heißt es: 150
"Der Beklagte ist als allein schuldig geschiedener Teil verpflichtet, an seine frühere Ehefrau Unterhalt zu zahlen, wenn sie nicht in der Lage ist, ihren Unterhalt selbst zu verdienen. Die Klägerin ist zur Zeit arbeitslos. Sie ist aber geistig und körperlich imstande, eine ihren Fähigkeiten entsprechende Arbeitsstelle anzunehmen. Dass es in der heutigen Zeit ganz besonders an weiblichen Arbeitskräften fehlt, insbesondere an gelernten Stenotypistinnen, kann man zu Genüge schon daran ersehen, wenn man einen Blick in den Anzeigenteil einer großen Zeitung wirft. Das Gericht glaubt, dass die Klägerin sich nicht ernstlich um eine Stelle beworben hat. […] Sollte die Klägerin trotz eifrigen Suchens bis zum 1.3.1937 keine Arbeit gefunden haben und weist sie dies dem Gericht lückenlos nach, wird ihr anheimgegeben, eine neue Klage zu erheben. […]"99)151
In einem anderen Rechtsstreit klagte ein Bücherrevisor100) gegen die Schützengilde Spandau auf Duldung einer Grundstücksbetretung. 152
Die Beklagte war die Verpächterin des Grundstück, auf dem ein Klient des Klägers seinen Betrieb führte. Der Kläger wurde mit seinem Begehren abgewiesen, da er sich im Gespräch mit seinem Klienten beleidigend gegenüber dem Vorstand der Beklagten geäußert hatte. Der Richter sah hierin eine Verwirkung des Rechtes des Klägers, das im Eigentum der Beklagten stehende Grundstück aufzusuchen. Wörtlich heißt es in der Entscheidung vom 28.10.1936: 153
"Verpächter und Pächter sollen nach heutiger Rechtsanschauung eine Gemeinschaft bilden. Wenn der Kläger aber derart beleidigende, unsachliche und aufhetzende Äußerungen in Gegenwart des Pächters über die Hauptpersönlichkeiten der Beklagten sagt, dann trägt dies nicht dazu bei, die Gemeinschaft von Pächter und Verpächter zu fördern, wohl aber, sie auseinanderzureißen und Unfrieden zu stiften. […]"101)154
Zum einen fällt hier auf, daß sich Amtsgerichtsrat H. direkt auf die "heutige Rechtsanschauung" berufen hat. Der Einfluß der nationalsozialistischen Rechtsanschauung auf seine Entscheidungsfindung wird noch deutlicher, wenn die Kommentierung zu den einschlägigen Vorschriften des BGB aus dem Jahr 1939 herangezogen wird.102) Im BGB-Kommentar der Reichsgerichtsräte103) hieß es zur rechtlichen Natur von Miete und Pacht: 155
"Als Schuldverhältnisse stehen sie unter dem Gebot der Beobachtung von Treu und Glauben (§ 242), und die Rechtsprechung hat von den daran Beteiligten schon immer ein besonderes Maß gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Rücksicht verlangt. 156
Aus dem der nationalsozialistischen Weltanschauung gemäßen Gemeinschaftsdenken ergibt sich darüber hinaus die Betrachtung von Miete und Pacht als einer Art von Gemeinschaft, in der die Beteiligten als in gegenseitiger Treue auch innerlich verbundener Vertragsgenossen stehen, mit der Aufgabe, das gemeinsame Ziel im Sinne und zum Nutzen der Volksgemeinschaft zu erreichen, deren Interesse in jedem Fall dem der einzelnen vorgeht." 157
Die grundsätzliche Beurteilung des Vertragsverhältnisses als "gemeinsames Zusammenwirken von Volksgenossen, die das gemeinschaftlich gesetzte Ziel erstreben", fand sich auch im 1935 erschienenen "Nationalsozialistischen Handbuch für Recht und Gesetzgebung".104)158

F. Beteiligung von Nationalsozialisten

Soweit Nationalsozialisten beteiligt waren, wurde regelmäßig nicht nur juristisch argumentiert. Aber die Eingaben fruchteten in keinem der gefundenen Fälle. Vielmehr ließ sich der Amtsrichter von derartigen Argumenten nicht einschüchtern. 159
In einer Sache hatte eine Fahrradhändlerin einen anwaltlich vertretenen Sturmbannführer wegen einer Werklohnforderung über RM 7,05 auf Zahlung verklagt. Der Beklagte hatte der Klägerin ein Motorrad ausgehändigt mit dem Auftrag, einen neuen Schlauch aufzuziehen. Nach Fertigstellung holte er das Motorrad ab, verwies die Klägerin hinsichtlich der Bezahlung aber an die SA bzw. NSDAP. In der mündlichen Verhandlung bestritt der Beklagte weiter seine Passivlegitimation. 160
Der Klage wurde stattgegeben. Amtsgerichtsrat H. führte aus, es sei völlig unerheblich, von wem das Krad gestellt sei. Als Auftraggeber müsse der Beklagte haften. Ferner wurde dem Beklagten anheimgestellt, hinsichtlich eines eventuellen Ersatzanspruches eine Klage gegen die NSDAP bei dem Amtsgericht in München zu erheben.105)161
Hier zeigt sich H. unbeeindruckt von der Zugehörigkeit des Beklagten zu einer Parteiformation. Den Hinweis auf die Möglichkeit einer Klageerhebung gegen die NSDAP in München könnte man durchaus als keck ansehen, obwohl er wegen des Prozeßergebnisses konsequent ist. 162
In einem weiteren Rechtsstreit verlangte ein anwaltlich vertretener Rentner von seinem Untermieter, einem Schlosser, rückständigen Mietzins sowie die Räumung der Mietwohnung. Ausweislich des Tatbestands war der Mietzinsrückstand unstreitig, der Beklagte wollte den Rückstand lediglich ratenweise abzahlen. Ferner heißt es wörtlich: 163
"Außerdem hat er [der Beklagte - Anm. des Autors] dem Inhalte nach zu Protokoll erklärt, dass ein Parteigenosse Koch von der Privatkanzlei des Führers dafür sorgen werde, dass die Miete am Dienstag, den 2. Juni 1936, gezahlt werde." 164
H. gab der Klage vollumfänglich statt. Er führte aus, daß das Mieterschutzgesetz auf Untermietverhältnisse keine Anwendung finde, weiterhin seien Mietrückstand und Kündigung des Untermietverhältnisses unstreitig. Eine ausdrückliche Würdigung des Hinweises auf Beziehungen des Beklagten zur Hitler´schen Privatkanzlei erfolgte nicht, vielmehr überging der Amtsgerichtsrat diesen Hinweis: 165
"Da der Beklagte die Räumung des Zimmers verweigert, er auch in Zukunft die Miete nicht bezahlen kann und der Kläger auf die Mieteinnahmen angewiesen ist, war der Beklagte zu verurteilen."106)166
In einer anderen Sache begehrte der Bezirksfürsorgeverband Berlin von einem Kraftfahrer verauslagte Fürsorgekosten. Der Beklagte bestritt seine Rückzahlungspflicht wegen seiner Verdienste für die Bewegung. 167
Richter H. gab der Klage statt, da der Beklagte zur Rückzahlung der Fürsorgekosten bei seinem Einkommen auch in der Lage wäre. Weiter heißt es in den Entscheidungsgründen: 168
"Daß der Beklagte alter Kämpfer ist, weiß das Gericht nicht. Es hat dem Beklagten geglaubt, daß er alter Kämpfer der Bewegung ist. Die Tatsache, alter Kämpfer der nationalsozialistischen Bewegung zu sein, hindert das Gericht aber nicht, seine Verurteilung auszusprechen."107)169
In einem weiteren Fall klagte ein Rechtsanwalt gegen die Ehefrau eines Generals auf Zahlung von ausstehenden Honorarforderungen. 170
Der Anwalt hatte die beklagte Generalsfrau in einem Rechtsstreit vertreten, den eine jüdische Frau vor dem Landgericht Berlin (236.O.448/34) gegen sie geführt hatte. In diesem Prozeß war die Beklagte bei Vermeidung einer Geld- oder Haftstrafe verurteilt worden, in Bezug auf die jüdische Frau folgende Äußerungen nicht zu machen: "Nieder mit den Juden", "Jüdische", "Juden raus aus Finkenkrug" und "Sind die Juden noch nicht im KZ?". Die Verurteilung war erfolgt, nachdem der Rechtsanwalt in der mündlichen Verhandlung vom 17. November 1934 erklärt hatte, die Beklagte werde die Äußerungen auch weiterhin tun. Das Landgericht nahm daraufhin Wiederholungsgefahr an. 171
Die beklagte Generalsfrau verweigerte nun dem Rechtsanwalt die Bezahlung seiner Gebührenforderung, weil er den Prozeß schlecht geführt habe. Er habe ein Geständnis vorgetragen, das sie so nicht abgeben wollte: Sie habe die Äußerungen nicht wiederholen wollen. 172
Der Rechtsanwalt erwiderte hierauf, daß das Geständnis schon deshalb korrekt gewesen sei, weil "[…] die getätigten Äußerungen heute gegenüber einer Jüdin immer gebraucht werden dürfen". Er erklärte weiter, "[…] Außerungen solcher Art sind für Personen jüdischer Rasse keine Beleidigungen und Ehrenkränkungen". 173
Richter H. wies die Klage ab. Die Ansichten des Anwalts zum "heutigen Gebrauch" seien unerheblich. Er hätte sich in jedem Fall an die Weisung der Beklagten halten müssen, die Wiederholungsgefahr zu bestreiten. Er hätte "wissen müssen, daß die Beklagte nach der herrschenden Rechtsprechung nur dann verurteilt werden konnte, wenn Wiederholungsgefahr vorlag". All das stelle grobe Fahrlässigkeit dar, so daß der Kläger infolge schlechter Prozeßführung keinen Gebührenanspruch habe.108)174
Das Prozeßergebnis ist nach heutigen Maßstäben korrekt. Man würde - wie auch der damalige Richter - zu dem Ergebnis kommen, daß die Ausführungen des Klägers zum "heutigen Gebrauch" nicht erheblich sind, da es hinsichtlich der Äußerungen auf den damaligen Zeitpunkt und die damalige Gesetzeslage ankam. 175
Aber: Hätte nicht ein nationalsozialistisch denkender Richter das damalige landgerichtliche Urteil aus dem Jahre 1934 als Fehlurteil brandmarken müssen, da es einer nichtarischen Person Rechtsschutz gewährt hat? 176
Dementsprechend wäre ein stattgebendes Prozeßergebnis zugunsten des klagenden Anwaltes mit der folgenden Begründung denkbar gewesen: Er durfte darauf vertrauen, daß das Landgericht der jüdischenKlägerin des Vorprozesses gemäß den Vorgaben der nationalsozialistischen Führung in jedem Fall ein stattgebendes Urteil versagen würde. 177
Die tatsächlichen Ausführungen von H. zeigen jedoch, daß er das landgerichtliche Urteil offensichtlich für richtig hielt, da es mit der herrschenden Rechtsprechung für den Fall einer Wiederholungsgefahr unabhängig von der Konfession der Klägerin zu einer stattgebenden Entscheidung kam. 178

G. Sonstige

Ein anderer Rechtsstreit wurde durch den Lebensmittelhändler Richard Rose, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Walter Holz, gegen ein Ehepaar auf Bezahlung einer Warenlieferung geführt. Der Kläger hatte behauptet, sein Prozeßbevollmächtigter hätte sich am 3. November 1936 mit dem Beklagten geeinigt, daß die Kaufpreisschuld in Raten, beginnend am 5. November 1936, gezahlt werde. Zum Beweis reichte der Kläger die Handakten seines Prozeßbevollmächtigten ein, die u.a. ein Schreiben anden Beklagten vom 4. November 1936 mit folgendem Wortlaut beeinhalteten: 179
"In Sachen Rose nehme ich Bezug auf unsere telefonische Unterredung vom 3.11.36. Namens meines Mandanten nehme ich Ihren Vorschlag an, Ihre Schuld von 127,68 RM in Raten zu tilgen. […] Die Übernahme der durch meine Inanspruchnahme entstandenen Kosten lehnten Sie ab. Ich habe Sie darauf hingewiesen, daß ich selbst Nationalsozialist sei und daß Ihre Weigerung, die Kosten zu übernehmen, mir unvereinbar mit wahrem Nationalsozialismus erscheine. Ich muß Sie daher auffordern, Dritten gegenüber nicht zu äußern, daß ich wohl Jude sei. Wegen der Kosten behält sich mein Mandant alle ihm geeignet erscheinenden Schritte vor." 180
Der Richter gab der Klage statt, da die Beklagten ihre Kaufpreisschuld mit der Maßgabe einer Ratenzahlung anerkannt hatten. Zur Kostentragungspflicht der Beklagten führte der Richter schließlich aus: 181
"Die Beklagten sind zwar der Ansicht, daß der Kläger sich keines Rechtsanwalts bedienen durfte, weil dies Kosten verursacht habe. Die Anwälte in Deutschland sind von der Führung damit betraut, Rechtsangelegenheiten für andere gegen Entgelt vorzunehmen. Die Führung hat auch bestimmt, daß derjenige, der säumig ist, die Kosten dem zu erstatten hat der einen Rechtsanwalt für die Wahrnehmung seiner Interessen in Anspruch nimmt. […]"109)182
Hier fällt auf, daß H. die Kostentragungspflicht eines im Zivilprozeß Unterliegenden als "durch die Führung bestimmt" begründet. Die zugrundeliegende Vorschriften des § 91 ZPO existierte jedoch bereits lange vor 1933. Nach nationalsozialistischer Diktion handelte es sich um übernommenes "vorrevolutionäres Recht". Die ungewöhnliche Begründung des Richters scheint erforderlich gewesen zu sein, um die mit nationalsozialistischer "Rechtsauffassung" argumentierenden Beklagten zu überzeugen. 183

H. Zusammenfassung

Die Frage nach dem "Ob" der Beeinflussung kann bereits hier trotz der geringen Zahl der auffälligen Entscheidungen bejaht werden. Der nationalsozialistische Geist war an den beteiligten Richtern der Spandauer Zivilabteilung 5 nicht spurlos vorübergegangen. 184
Zwar führte dieser Einfluß nicht zwangsläufig zu benachteiligenden Prozeßergebnissen für die von den Nationalsozialisten diskriminierten Personengruppen; auch pro-nationalsozialistische Übervorteilungen zugunsten von Parteimitgliedern ließen sich nicht finden. 185

Jedoch haben schon 1936 gewisse Schlagworte und Rechtsansichten nationalsozialistischer Prägung Einzug in die richterlichen Entscheidungsgründe gefunden. Deutlich erkennbar ist dies bei den Entscheidungen des Gerichtsassessors, was möglicherweise mit der politischen Beeinflussung der Ausbildung (Referendarlager etc.) begründet werden kann. 186


Fußnoten:

1 Vgl. etwa das klageabweisende Urteil zuungunsten eines jüdischen Viehhändlers bei I. Staff, Justiz im Dritten Reich, Frankfurt/Main 1978, S. 161; oder das reichsgerichtliche Urteil zuungunsten eines jüdischen Regisseurs bei W. Hofer, Der Nationalsozialismus, Dokumente 1933-1945, Frankfurt/Main 1957, S. 287 f. = RG SeuffArch 91, (1937), S. 65, vorgehend KG in: JW 1933, S. 2918.

2R. Schröder: "… aber im Zivilrecht sind die Richter standhaft geblieben!" Die Urteile des OLG Celle aus dem Dritten Reich, Baden-Baden 1988, S. 271 ; C. Schiller: Das Oberlandesgericht Karlsruhe im Dritten Reich, Berlin 1997, S. 323, R. Puerschel in: Justizbehörde Hamburg (Hrsg.), K. Bästlein / H. Grabitz / W. Scheffler, "Für Führer, Volk und Vaterland...", Hamburger Justiz im Nationalsozialismus, Hamburg 1992, S. 429.

3R. Schröder aaO.; Schiller aaO.

4R. Puerschel in: Justizbehörde Hamburg (Hrsg.), K. Bästlein / H. Grabitz / W. Scheffler, "Für Führer, Volk und Vaterland...", Hamburger Justiz im Nationalsozialismus, Hamburg 1992, S. 382ff.

5 Vgl. R. Schröder aaO., S. 26.

6 Die in diesem Aufsatz dargestellten Entscheidungen sind samt ihrer Auswertung Teil einer (noch) unfertigen Dissertation über den zivilprozessualen Alltag im "Dritten Reich". Im Rahmen dieser Dissertation werden fortlaufende Entscheidungsreihen der Zivilprozeßabteilungen 14 bis 16, 19 bis 21 und 23 bis 26 des Amtsgerichtes Berlin-Mitte des Jahrganges 1942 ausgewertet. Um die Ergebnisse dieser Auswertung mit zivilprozessualen Entscheidungen aus den ersten Jahren der nationalsozialistischen Diktatur vergleichen zu können, wurden die Entscheidungen der Zivilprozeßabteilung 5 des Amtsgerichtes Spandau aus dem Jahrgang 1936 herangezogen.

7 Vgl. B. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 5. Auflage Heidelberg 1997.

8 Gerichtsassessoren sind als damalige Berufsanfänger vergleichbar den heutigen Richtern auf Probe.

9 Die in Fn. 6 aufgezählten Materialien stellen den Gesamtbestand allgemein zivilprozessualer Entscheidungsreihen von Amtsgerichten dar, der sich im Landesarchiv Berlin befindet.

10 Jüdisches Adressbuch für Groß-Berlin, Ausgabe 1931, Berlin 1994.

11Ladwig-Winters, Anwalt ohne Recht - Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933, herausgegeben von der Rechtsanwaltskammer Berlin, 1988.

12 Als Beispiele für die hierzu vorliegenden Dokumentationen: B. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 5. Auflage Heidelberg 1997; derselbe, Entartetes Recht, Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, 2. Auflage München 1989; M. Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974; D. Majer, Grundlagen des nationalsozialistischen Rechtssystems, Führerprinzip, Sonderrecht, Einheitspartei, 1987; Anderbrügge, Völkisches Rechtsdenken, Zur Rechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, 1978.

13 Vgl. C. Schmitt, Nationalsozialismus und Rechtsstaat, in: JW 1934, S. 713, 717.

14 Vgl. H. Dölle, Die Neugestaltung des Deutschen Bürgerlichen Rechts, DR 1937, S. 360.

15Siebert, in: H. Frank (Hrsg.), Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, München 1935, S. 957.

16 Siehe Fn. 15, S. 961.

17 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10404, 5 C 465/36.

18 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10408, 5 C 1009/36.

19 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10407, 5 C 849/36.

20 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10408, 5 C 938/36.

21 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10405, 5 C 509/36.

22 Abgedruckt in: DR 1936, S. 123.

23 Vgl. B. Rüthers, Entartetes Recht, Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, 2. Auflage München 1989, S. 29.

24 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10404, 5 C 477/36.

25R. Freisler, Recht, Richter und Gesetz, in: DJ 1933, S. 694.

26Lange, in: H. Frank (Hrsg.) aaO., S. 936.

27 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10410, 5 C 1395/36.

28 § 1333 BGB (aufgehoben durch § 84 EheG im Jahre 1938) lautete: "Eine Ehe kann von dem Ehegatten angefochten werden, der sich bei der Eheschließung in der Person des anderen Ehegatten oder über solche persönlichen Eigenschaften des anderen Ehegatten geirrt hat, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten haben würden." (BGB, 35. Auflage, Beck´sche Verlagsbuchhandlung München und Berlin 1936).

29 § 1346 Satz 2 BGB (aufgehoben durch § 84 EheG im Jahre 1938) lautete: "Wird eine wegen Irrtums anfechtbare Ehe für nichtig erklärt, so steht dieses Recht dem zur Anfechtung nicht berechtigten Ehegatten zu, es sei denn, daß dieser den Irrtum bei der Eingehung der Ehe kannte oder kennen mußte." (BGB, 35. Auflage, Beck´sche Verlagsbuchhandlung München und Berlin 1936) .

30 § 1345 Absatz 1 BGB (aufgehoben durch § 84 EheG im Jahre 1938) lautete: "War dem einen Ehegatten die Nichtigkeit der Ehe bei der Eheschließung bekannt, so kann der andere Ehegatte, sofern nicht auch ihm die Nichtigkeit bekannt war, nach der Nichtigkeitserklärung oder der Anfechtung der Ehe verlangen, daß ihr Verhältnis in vermögensrechtlicher Beziehung, insbesondere auch in Ansehnung der Unterhaltspflicht, so behandelt wird, wie wenn die Ehe zur Zeit der Nichtigkeitserklärung oder der Auflösung geschieden und der Ehegatte, dem die Nichtigkeit bekannt war, für allein schuldig erklärt worden wäre." (BGB, 35. Auflage, Beck´sche Verlagsbuchhandlung München und Berlin 1936).

31 Rechtsanwalt Dr. Richard Münch wird von Hans-Rainer Sandvoß, Widerstand in Spandau, Heft 3 der Schriftenreihe über den Widerstand in Berlin von 1933 bis 1945, Herausgeber: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin 1988, Seite 160f., als bürgerlicher und intellektueller Gegner wie folgt beschrieben:
"Dr. Richard Münch war während der Weimarer Republik als besoldeter Spandauer Stadtrat über zehn Jahre in städtischen Diensten tätig. Ab 1922 bewies er Fähigkeit und Sachkenntnis in elf verschiedenen Dezernaten, darunter in den Ressorts Finanzen, Gesundheit und Sozialwesen. Der angesehene Republikaner war bis 1934 auch Dozent am Verwaltungsseminar der Stadt Berlin. Nachdem er von den Nationalsozialisten aus allen Ämtern vertrieben worden war, eröffnete der Jurist ein Rechtsanwaltsbüro in der Carl-Schurz-Straße 39. […] Dr. Münch vertrat engagiert zahlreiche Widerstandskämpfer vor dem Berliner Kammergericht und vor dem Volksgerichtshof, so etwa in den Massenprozessen gegen den Untergrundapparat der Berliner SPD Mitte der 30er Jahre. In den letzten Kriegsjahren dürfte ihn das Schicksal eines Angeklagten besonders bewegt haben, nämlich das des Spandauer Sozialdemokraten Georg Schröder. Trotz aller Anstrengungen gelang es Dr. Münch nicht, das Leben seines Mandanten zu retten.
Nach dem Krieg hatte Dr. Münch - auch von politischen Gegnern als Mann des Ausgleichs gelobt - für kurze Zeit das Amt des Spandauer Bezirksbürgermeisters inne, während Ernst Lösche als sein Stellvertreter fungierte. Außerdem war Dr. Münch Mitbegründer und Fraktionsvorsitzender der Spandauer CDU.
1965 wurde dem Kommunalpolitiker der Ehrentitel Stadtältester von Berlin verliehen."

32L. Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933-1940, 2. Auflage, München 1990, S. 1139.

33K. Kroeschell, Rechtsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, Göttingen 1992, S. 85.

34B. Tilka, Prüfung und Ausbildung der Juristen im Reich, Ein Führer durch die Justizausbildungsordnung für Rechtsstudenten und Referendare mit Ratschlägen und praktischen Winken, Stuttgart und Berlin 1934, S. 71.

35 Vgl. C. Schiller aaO., S. 314.

36 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10408, 5 C 912/36 (GA F.) mit LG 248.S.704/37.

37 Vgl. RG 68, S. 425.

38 Vgl. RG 98, S. 17.

39Hubernagel, in: H. Frank (Hrsg.), Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, München 1935, S. 971.

40Hubernagel in: H. Frank (Hrsg.) aaO., S. 977.

41 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10408, 5 C 1005/36 (GA Feind).

42K. Larenz, Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, Berlin 1935, S.225, 252.

43 Reichsbürgergesetz vom 15.09.1935, RGBl. I, S. 1146; Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15.09.1935, RGBl. I, S. 1146 f.

44A. Rethmeier, "Nürnberger Rassegesetze" und Entrechtung der Juden im Zivilrecht, Frankfurt/Main 1995, S. 345.

45 Vgl. AG Wanne-Eickel, Urteil vom 05.06.1936, in: DJ 1936, S. 936; AG Mainz, Urteil vom 27.05.1936, in: DJ 1936, S. 1017.

46 Der Name bzw. das Geschäft der Klägerin ist in keiner der zur Überprüfung vorhandenen Unterlagen erwähnt.

47 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10405, 5 C 579/36 (GA Feind).

48Lange, in: H. Frank (Hrsg.) aaO., S. 943.

49 Mieterschutzgesetz vom 20.04.1936, RGBl. I, S. 378.

50Sandvoß aaO., S. 165.

51 Vgl. Beispiele bei D. Majer, "Fremdvölkische" im Dritten Reich, Boppard 1981, S. 688.

52 Vgl. A. Rethmeier aaO., S. 394 mwN.

53 Vgl. A. Rethmeier aaO., S. 404.

54 Verfügung Nr. 759/760 in: J. Walk (Hrsg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien, Heidelberg und Karlsruhe 1981, S. 58, Nr. 280.

55 Erlaß des Reichswirtschaftsministers vom 04.11.1935, IV 23971/357, in: J. Walk aaO., S. 138, Nr. 41.

56 Vgl. den Erlaß des Reichsministers der Justiz zum Grundstückserwerb durch Juden vom 14.3.1936, IV b 3439, in: J. Walk aaO., S. 156, Nr. 130.

57A. Rethmeier aaO., S. 341.

58 LAB, Bestandsliste deportierter Juden und Liste der Spandauer SA vom 01.04.1933.

59 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10402-10411, 5 C 28/36, 5 C 168/36, 5 C 285/36, 5 C 703/36, 5 C 705/36, 5 C 737/36, 5 C 1048/36, 5 C 1058/36 und 5 C 1147/36.

60 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10409, 5 C 1102/36 und 5 C 1134/36, Nr. 10411, 5 C 1444/36.

61 LAB, Liste der Spandauer SA vom 01.04.1933.

62 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10402-10405, 5 C 176/36, 5 C 203/36, 5 C 545/36.

63 LAB, Liste der deportierten Juden.

64 LAB, Rep 49, Acc. 1612, Nr. 10407, 5 C 732/36.

65 LAB, Liste der Deportierten und Liste der Spandauer SA vom 01.04.1933.

66S. Ladwig-Winters, Anwalt ohne Recht, Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933, S. 196.

67S. Ladwig-Winters aaO., S. 67.

68 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10408, 5 C 1023/36.

69S. Ladwig-Winters aaO., S. 248.

70S. Ladwig-Winters aaO., S. 102.

71 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10408, 5 C 1031/36.

72 Vgl. Jüdisches Adressbuch für Groß-Berlin aaO.

73S. Ladwig-Winters aaO., S. 281.

74 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10405, 5 C 589/36.

75 Vgl. Jüdisches Adressbuch für Gross-Berlin aaO.

76S. Ladwig-Winters aaO., S. 230.

77 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10407, 5 C 799/36 (GA Dr. B.).

78 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10408, 5 C 1048/36, 5 C 1058/36.

79 Vgl. Fn. 66.

80 Vgl. Fn. 67.

81 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10410, 5 C 1366/36.

82 In welcher Form von staatlichen bzw. parteilichen Stellen auch auf Zivilrichter eingewirkt worden ist, hat Schiller für die Gerichte im Bezirk des OLG Karlruhe aufgezeigt. Vgl. C. Schiller aaO., S. 53f., 77, 140f., 179f., 231.

83H. Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im "Dritten Reich", Entrechtung und Verfolgung, 2. Auflage, München 1990, S. 90.

84S. Ladwig-Winters aaO., S. 8; H. Göppinger aaO., S. 90f., nennt die Zahl von 1.879 nichtarischen Rechtsanwälten am 31.12.1932.

85 Durch die Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27.09.1938, RGBl. I, S. 1403.

86S. Ladwig-Winters aaO., S. 28; A. Königseder, Berliner Anwälte in der Zeit des Nationalsozialismus, Berliner Anwaltsblatt 1998, Heft 3, S.104, nennt die Zahl von lediglich 46 Konsulenten.

87S. Ladwig-Winters aaO., S. 248.

88S. Ladwig-Winters aaO., S. 237.

89S. Ladwig-Winters aaO., S. 156.

90S. Ladwig-Winters aaO., S. 157.

91S. Ladwig-Winters aaO., S. 240.

92S. Ladwig-Winters aaO., S. 76.

93S. Ladwig-Winters aaO., S. 95.

94S. Ladwig-Winters aaO., S. 133.

95S. Ladwig-Winters aaO., S. 168.

96S. Ladwig-Winters aaO., S. 137.

97S. Ladwig-Winters aaO., S. 68.

98 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10407, 5 C 826/36.

99 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10411, 5 C 1437/36.

100 Vergleichbar dem heutigen Beruf des Wirtschaftsprüfers.

101 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10409, 5 C 1112/36.

102 Es ist dem Autor bislang nicht gelungen, einen Kommentar aus den Jahren 1933 bis 1936 zu beschaffen.

103 RGRK-Degg, Bürgerliches Gesetzbuch, 9. Auflage Berlin 1939, Band 2, Anm. 1 vor § 535.

104Lange, in: H. Frank (Hrsg.) aaO., S. 944.

105 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10402, 5 C 10/36.

106 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10404, 5 C 500/36.

107 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10408, 5 C 1081/36.

108 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10402, 5 C 20/36.

109 LAB, Rep. 49, Acc. 1612, Nr. 10409, 5 C 1247/36.

 

Aufsatz vom 24. Oktober 1998
© 1998 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
24. Oktober 1998

DOI: https://doi.org/10.26032/FHI-2022-014

  • Zitiervorschlag Philipp Hackländer, Der zivilprozessuale Alltag im Jahre 1936 am Amtsgericht Spandau, Abteilung 5 (24. Oktober 1998), in forum historiae iuris, https://forhistiur.net1998-10-hacklander