Zeitschrift Aufsätze

Harald Maihold

„Der Sohn antwortet für den Vater nicht.“ Die deliktische Sippenhaftung: Ein deutschrechtlicher Grundsatz?

Deutsche Rechtsquellen des Mittelalters und insbesondere deutsche Rechtssprichwörter werden oft allzu schnell als Ausdruck "älteren deutschen Rechts" gedeutet, ohne dabei den Zusammenhang mit dem gelehrten römisch-kanonischen Recht zu sehen. Anhand des Sprichwortes "Der Sohn antwortet für den Vater nicht" wird dieses Dilemma exemplarisch vorgeführt.

Der genaue Inhalt des Sprichwortes ergibt sich erst im Kontext der Quellen, aus dem es genommen wird: des Sachsenspiegels und verwandter Rechtsbücher des Hochmittelalters. Der so gewonnene Inhalt stimmt weitgehend mit den Regelungen des gelehrten Rechts zur Erbenhaftung überein. Einen Gegensatz dazu bildet indes die Lehre von der "Sippenhaftung". Diese wird deshalb einer kritischen Prüfung unterzogen, wobei sich zeigt, daß sie nicht wirklich belegt ist. Auch die Regelungen des "älteren deutschen Rechts", die für eine "Sippenhaftung" angeführt werden, entsprechend weitgehend dem gelehrten Recht.

Abschließend wird die Entwicklung bis zum geltenden Recht dargestellt und gezeigt, daß in den sechsziger bis siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts der im vorgeführten Sprichwort geäußerte Gedanke erstmals auch hinsichtlich rechtskräftiger Urteile durchgeführt wurde. Die Vererblichkeit des Schmerzensgeldanspruches stellt daher einen systemfremden Ausnahmefall dar, der der gesetzgeberischen Klärung bedarf.

 

Aufsatz vom 9. Oktober 2000
© 2000 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
9. Oktober 2000

  • Zitiervorschlag Harald Maihold, „Der Sohn antwortet für den Vater nicht.“ Die deliktische Sippenhaftung: Ein deutschrechtlicher Grundsatz? (9. Oktober 2000), in forum historiae iuris, https://forhistiur.net2000-10-maihold