Zeitschrift Aufsätze

Oliver Rosbach

Strafrecht und Gesellschaft bei Anselm von Feuerbach


I. Einleitung und Fragestellung
II. Biographischer Hintergrund
III. Das Strafrecht Anselm von Feuerbachs
1. Die Vertragstheorie - Konstruktion der bürgerlichen Gesellschaft
2. Gesellschaft und öffentliche Meinung
3. Bedingungen der Straftheorie
4. Die Straftheorie Feuerbachs
5. Praktische Auswirkungen der Theorie - Zusammenfassung
IV. Politische und soziale Bedingungen der Strafrechtsrevision
1. Relativismus und bürgerliche Utopie
2. Strafrecht im Wandel der Reformen
3. Die "bürgerliche" Kritik an Feuerbach
4. Zusammenfassung
V. Schluß

I. Einleitung und Fragestellung

Die Reformen der preußischen und süddeutschen Staaten um 1800 stellen eine entscheidende Wegmarke hin zur Ausbildung einer egalitären, einer "bürgerlichen Gesellschaft” dar. Innerhalb dieser Modernisierung gilt die bayerische Strafrechtsreform und das daraus entstandene Strafgesetzbuch von 1813, das maßgeblich von dem vor 225 Jahren am 14. November 1775 geborenem Paul Johann Anselm von Feuerbach gestaltet wurde, als epochal für die weitere Entwicklung des Strafrechts in Deutschland. 1
Feuerbachs Werk kann als Modellfall für einige Aspekte der Modernisierung in Deutschland herangezogen werden. Auf legislatorischer Ebene war das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 in den folgenden Jahren Vorlage für die weitere Gestaltung der Strafgesetzgebung in Deutschland. Seine Strafrechtstheorie war, wenn auch kontrovers diskutiert, richtungsweisend für Lehre und Wissenschaft des 19. Jahrhunderts, nicht zuletzt durch eine konsequente Einbindung in eine moderne Gesellschaftstheorie, die eine egalitäre Staatsbürgergesellschaft vor Augen hatte. Sein Lehrbuch blieb bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein das bestimmende Standardwerk und setzte den Rahmen für die Auseinandersetzung über die strafrechtliche Ordnung. 2
Seit Anfang des 18. Jahrhunderts war mit ständig wachsendem Nachdruck die Erneuerung des Strafrechts gefordert worden. Dies war zunächst eine Forderung der Aufklärung, jedoch auch und letztlich wohl entscheidend eine Antwort auf den sich ankündigenden Wandel der sozialen Beziehungen. Die Staatsorganisation, d. h. die innere Herrschaftsbeziehung und damit die Legitimation der staatlichen Herrschaft, mit Max Weber verstanden als "Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden”1), erfuhr europaweit einen grundsätzlichen Entwicklungsprozeß mit offenem Ausgang. 3
Es wird im folgenden die These vertreten, daß Feuerbach durch die konsequente Verknüpfung der Strafrechtstheorie mit der Legitimität staatlicher Herrschaft eine Rechtstheorie entwickelte, die sich vor allem auf die Bedeutung einer formalen Rechtsbegründung und auf die Anwendung einer formalen Rationalität stützte. Damit wollte er dem Einfluß einer korporativen Parteilichkeit nach dem Modell der ständischen Gesellschaft entgegenwirken und die Rahmenbedingungen für eine bürgerliche Gesellschaft schaffen. Im Kern entwickelte Feuerbach damit ein grundrechtsgebundenes Strafrecht, das einem formalen Gerüst folgte und die inhaltliche Ausfüllung in diesem Rahmen dem gesellschaftlich-politischen Konsens überlassen wollte. Diese Herleitung des Strafrechts aus der Idee einer bürgerlichen Gesellschaft trat in der Rezeption zunehmend in den Hintergrund, seine Straftheorie im engeren Sinn, die "psychologische Zwangstheorie”, stieß größtenteils auf Ablehnung. 4
Es wird im folgenden versucht, Feuerbachs Werk aus dieser Perspektive darzulegen. 5
Vor allem liegt der Schwerpunkt auf Feuerbachs Straftheorie. Sie soll im ersten Teil anhand einiger zentraler Momente der Feuerbachschen Rationalität in ihrer staatstheoretischen Dimension und in ihrer Beziehung zu dem erwähnten Konzept der bürgerlichen Gesellschaft vorgestellt werden. 6
Die Strafrechtsreform war innerhalb der bayerischen Reformen eine legislative und sozialpolitische Notwendigkeit, nach der sich auch Feuerbach richten mußte. Die Gestaltung folgte den Bedingungen eines starken strukturellen Wandels der Sozialverfassung, wissenschaftstheoretischen Neuerungen und liberalen Gesellschaftskonzeptionen. Im zweiten Teil werden einige dieser Prozesse in Beziehung zu Feuerbachs Theoriebildung gesetzt. Mittels ausgewählter Kritiken von Thibaut, Mittermaier und Welcker soll schließlich ein korrigierender Blick auf das Klima der liberalen Diskussion des Themas im Vormärz geworfen werden. 7

II. Biographischer Hintergrund

Feuerbach wurde am 14. November 1775 als zunächst uneheliches Kind in Hainchen bei Jena geboren und wuchs in Frankfurt am Main auf. Sowohl väterlicher- wie mütterlicherseits stammte er aus einer Juristenfamilie. Mit 17 Jahren mußte er aufgrund seiner offenen Empörung gegenüber der Geliebten seines Vaters zu Verwandten nach Jena flüchten. Er begann dort 1792 das Studium der Philosophie, von dem er im Sommer 1796 zu den zunächst wenig geliebten Rechtswissenschaften wechselte. Seine Entscheidung hat vermutlich eine Melange aus der Verantwortung für die sich ankündigende Geburt seines ersten Sohnes und seines Versöhnungswillens mit dem Vater, auf den er nun um so mehr finanziell angewiesen war, nicht unwesentlich beeinflußt. 8
Schon in seinen ersten drei Büchern, davon das erste noch während seines Studiums der Philosophie geschrieben, entwickelte er in der Auseinandersetzung mit dem Naturrecht die Grundlinien seiner juristischen Theorie.2) Vor 200 Jahren, zu Beginn des Jahres 1800 hatte Feuerbach mit der "Revision des peinlichen Strafrechts” die Arbeit veröffentlicht, die ihm - zusammen mit seinem Lehrbuch von 1801 - den Ruf des Begründers der modernen Strafrechtswissenschaft einbrachte. 1804 - nach kurzer Lehrtätigkeit in Jena und Kiel war er inzwischen Professor in Landshut geworden - wurde er mit der Ausarbeitung eines bayerischen Strafgesetzbuches beauftragt. 1805 wechselte er ins bayerische Justiz-Departement nach München, wo er vorwiegend mit den straf- und seit 1808 auch den zivilrechtlichen Reformen beschäftigt war. Seit der Aufnahme der Lehrtätigkeit als unbezahlter ordentlicher Professor in Jena 1801 war er daneben als Praktiker an den Schöppenstühlen seiner jeweiligen Stationen tätig. Aus dieser Tätigkeit nahm er die für die Entwicklung der Kriminalpsychologie bedeutsamen Fälle seiner "Merkwürdige[n] Verbrechen”, publiziert 1828/29. Die legislatorische Arbeit endete für ihn mit dem innen- wie außenpolitischen Umbruch nach 1813. Nach einer kurzen und von ihm als demütigend empfundenen Amtszeit als zweiter Präsident des Appellationsgerichtes in Bamberg von 1814 bis 1816 wurde er 1817 zum Präsidenten des Appellationsgerichtes Ansbach ernannt, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1833 lebte. 9

III. Das Strafrecht Anselm v. Feuerbachs

1. Die Vertragstheorie - Konstruktion der bürgerlichen Gesellschaft

In seinem "Anti-Hobbes” von 1797 (mit dem bezeichnenden Untertitel "oder über die Grenzen der höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der Bürger gegen den Oberherren”) entwickelte Feuerbach eine Theorie über die Bindung der Herrschaft an die staatsbürgerlichen Rechte in der Nachfolge Pufendorfs. Hobbes hatte mit der Annahme des bedingungslosen Unterwerfungsvertrags das Verbleiben von Rechten am Individuum verneint.3) Kernpunkt Feuerbachs war dagegen die Berechtigung und Gültigkeit einer freien Willensbildung des Menschen: Die Freiheit des Einzelnen sei Bedingung jedes Gemeinwesens. Indem er den Gebrauch der Freiheit als oberstes Prinzip der rechtlichen Ordnung herausstellt, wendet er sich, wie schon vorher in seiner "Kritik des natürlichen Rechts” 1796, von der herrschenden Leitfigur der materiellen Gerechtigkeitserwägungen ab und entwickelt ein an nicht inhaltsgebundenen Kategorien ausgerichtetes, rein formelles Naturrecht.4) Entstehung und Sicherung der rechtlichen Ordnung entwickelt Feuerbach über das dreigliedrige Vertragsschema bürgerlicher Vertrag - Unterwerfungsvertrag - Verfassung. 10

a) Der bürgerliche Vertrag

Der bürgerliche Vertrag errichte die bürgerliche Gesellschaft zu dem Zweck der gegenseitigen Sicherung der Freiheit. Die volonté générale der freien Bürger verbindet sich demnach zur Wahrung der gegenseitigen Interessen über die Gewährleistung der Freiheit als der formalen Bedingung aller Rechte des Menschen im bürgerlichen Vertrag.5)11

b) Der Unterwerfungsvertrag

Zur Sicherung und Regulierung der gebündelten Kräfte bedürfe es zweitens einer "constituierte[n] Macht”, da bisher noch jeder Einzelne über die eigene Interpretation des bürgerlichen Vertrages den Inhalt des allgemeinen Wohls selbst bestimme. Begründet werde diese Macht durch die freiwillige Unterwerfung unter eine Staatsform. Der Unterwerfungsvertrag ist daher die Einigung auf das Prinzip einer Regierung und das Einverständnis, die Interpretation des allgemeinen Willens durch diese zu akzeptieren. Als "Organ des allgemeinen Willens” habe der Regent die Aufgabe, die Rechte der Gesellschaft zu wahren und den Staatszweck gemäß dem Willen der Bürger zu setzen.6) Oberster Zweck des Staates sei die Garantie der Freiheit aller Bürger in dem oben ausgeführten Sinn einer Gewährleistung der äußeren Möglichkeit eines jeden Bürgers, seine Rechte vollständig ausüben zu können.7) Dazu stehen ihm vier Klassen von Regierungsrechten zur Verfügung, die sich nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bestimmen lassen.8)12

c) Die Konstitution

Schließlich bedürfe es der Organisation der Staatsform, mittels der Einigung über die positiven Grundgesetze, "der Inbegriff derselben [ist] die Constitution”. Dadurch werde die bürgerliche Gesellschaft zum Staat, "zu einer organisirten bürgerlichen Gesellschaft”9). 13
Im Gegensatz zu Hobbes und konkret gegen Friedrich von Gentz gelangt er daher zu dem Schluß, daß selbst die Anarchie der bürgerlichen Vereinigung näher sei als eine die bürgerlichen Grundverträge verletzende Tyrannei. Dort sei zum wenigsten ein Teil der Abkommen erfüllt, während die tyrannische Herrschaft grundsätzlich die Geltung der freien Willensentscheidung der Bürger negiere.10)14

2. Gesellschaft und öffentliche Meinung

Bürgerlicher Vertrag, Unterwerfungsvertrag und Verfassungsvertrag bilden die Elemente, welche den äußeren Rahmen zur Bestimmung der bürgerlichen Gesellschaft und der Freiheitsräume des einzelnen Bürgers stecken. Sie bestimmen jedoch insofern materiell die Ordnungsvorstellung der bürgerlichen Gesellschaft, als diese ihre Vorstellungen in die Verträge einbringt, wobei diese inhaltlichen Vorstellungen durch den formalen Rahmen begrenzt sind.11) Grundsätzlich wendet sich Feuerbach entsprechend seiner Kritik am Naturrecht gegen die Auffassung, daß die vertragliche Konstruktion der Gesellschaft originäre Rechte transformiere, an den Regenten übertrage oder daß damit der Verzicht auf ihre Geltung bestimmt werde. Der Unterwerfungsvertrag ist keine friedenssichernde Akzeptanz der Willkür des Herrschers, sondern die Begründung zunächst inhaltsloser rechtlicher Rahmenbedingungen, in deren Schranken neue Rechte und Pflichten gesetzt werden.12) Das Vertragsmodell wirkt daher konstituierend und konstruktiv auf das objektive wie das subjektive Recht. 15
Damit "ein rechtlicher Zustand unter den Menschen sei, muß das Recht gewiß seyn unter ihnen; damit es gewiß sey, darf […] der mögliche oder wirkliche Widerspruch menschlicher Urtheile nicht mehr Einfluß haben auf das wirkliche Gelten der Rechte: und damit es keinen Einfluß habe […] so muß sich in praktischer Rücksicht das Urtheil Aller […] einem einzigen Urtheile unterwerfen, […] welches […] das öffentliche Urtheil heißt.”13)16
Dieses öffentliche Urteil ist ein Urteil, das die Öffentlichkeit unter Negierung partikularer Interessen in Wahrung ihrer formalen Rechtsinteressen treffen würde - vergleichbar etwa zu Lockes "Law of Opinion and Reputation”, einem "philosophical law”, das die Grundlagen des Zusammenlebens in der Gesellschaft reflektiert. Der Begriff der öffentlichen Meinung definiert sich mit Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft, teils in Rückgriff auf ältere Traditionen, teils aus neueren Erwägungen als unterstellte "Vernunft” im Sinne einer potentiell richtigen Beherrschung der Lebenswelt, indem die Öffentlichkeit als Sammlung des Privaten verstanden wird und die private Ethik die öffentliche zunehmend bestimmt. Feuerbachs öffentliches Urteil entspringt einer funktionalen Differenzierung der idealen staatsbürgerlichen Persönlichkeit in eine private und eine öffentliche Rationalisierung der Handlungssphären. Dies folgte neben anderen aufklärerischen Linien der Kantschen und auch von Fichte vertretenen Trennung der inneren Gesetzlichkeit, der Moralität, und der äußeren Gesetzlichkeit, der Legalität, deren Befolgung miteinander in Einklang zu bringen war.14)17

3. Bedingungen der Straftheorie

Auf Grund dieser Vorstellungen von dem inneren Aufbau der Gesellschaft entwickelt Feuerbach ein differenziertes System institutioneller Aufgaben und Kompetenzen in der bürgerlichen Ordnung, in dem der Rechtswissenschaft, der Rechtsphilosophie, der "öffentlichen Meinung” und der Gesetzgebung verschiedene Aufgaben und Kompetenzen zugewiesen waren. 18

a. Institutionelle Aufgaben

Innerhalb der Rechtsfindung nehme die Rechtsphilosophie eine Mittlerrolle ein zwischen der Ordnungsvorstellung als (kognitiver) Rahmenbedingung des Gesetzgebers und der Rechtswissenschaft, welche empirisch-vergleichend evaluierte Rechtsprinzipien entwickele. Die Rechtsphilosophie bestimme nach diesen Maßgaben und eigenen ethischen Maßstäben "rechtliche Möglichkeiten”, d. h. kontingente, an die Gesellschaft angepaßte Rechtssysteme. Entsprechend dieses Zusammenspiels setzten Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie die formalen Bedingungen des Strafrechts, der Staat hingegen setze die konkreten Normen, welche begrenzt seien von der Gewährleistung des individuellen Freiheitsraumes. Die Zuweisung von Legitimität erfolge schließlich in den Prozessen der Konsensbildung, Rechtsgründung und Akzeptanz durch die Gesellschaft.15)19
 NaturrechtRechtsphilosophieRechtswissenschaft
ist / hat AufgabeOrdnungsvorstellung des Gesetzgebersbestimmt nach Maßgabe der bürgerlichen Verträge und ethischen Maßstäben "rechtliche Möglichkeiten" entwickelt empirisch-vergleichend evaluierte Rechtsprinzipien
sind gebunden anformale Bedingungen: spezifische Ausformung der "bürgerlichen Verträge" und der "öffentlichen Meinung" der jeweiligen Gesellschaft
20

b. Moral - Freiheit - Recht: institutionelle Kompetenzen

Die Freiheit hat nach Feuerbach ihre Bedeutung ausschließlich in der Moral.16) Moral ist die Sphäre der vom Willen getragenen Handlungen. Das folgt der zeitgenössischen Begrifflichkeit: Die "Moralität der Verbrechen” (ALR II Tit. 20 §§ 16-25) ist keine moralische Kategorisierung im heutigen Sinn einer ethischen Inhaltsbestimmung, sondern handelt von der Zurechnung. Die Moral ist die vom Willen getragene Handlungsebene des sozialen Verhaltens. Vor diesem Hintergrund ist der praktische Bezug zu sehen, den die ausführliche Diskussion zwischen Feuerbach, Grolmann, Stübel, Kleinschrod und Klein über den Determinismus und den Indeterminismus der menschlichen Handlung hat. 21
Die Freiheit, so Feuerbach, sei äußere Bedingung, "sittliches Vermögen”, welche die Betätigung des Willens ermögliche.17) Dabei unterscheidet er mit der Argumentation Kants eine negative oder moralische Freiheit, welche mit der Willensfreiheit verglichen werden kann, und die positive oder "transcendentale Freiheit”, welche das Vermögen ist, "einen Zustand schlechthin von selbst anzufangen”, das "Vermögen einer durch nichts bedingten Selbstthätigkeit”.18) Während die "moralische Freiheit”, d. h. unser Wille, im konkreten Handeln von äußeren Dingen beeinflußt sein kann, bedeutet die transzendentale Freiheit das Vermögen des vernunftbegabten Menschen, überhaupt von seinem Verstand unabhängig von Determination Gebrauch machen zu können. 22
"Die bürgerliche Strafe kann sich bloß und allein […] auf die Verletzung eines äußeren Gesetzes […] beziehen. Bezieht sie sich nicht mehr auf das Verbrechen, sondern auf die Immoralität der Handlung, wird ihr Daseyn nicht durch jenes [das Verbrechen, O.R.] sondern durch diese [die Immoralität, O.R.] bestimmt; so ist sie keine bürgerliche, sondern eine moralische Strafe und eine solche kann dem Staate, der durchaus nicht weder Aufsicht, noch Gewalt über die Gesinnung und das Gewissen der Bürger hat, zugestanden werden.”19) Recht habe lediglich den Freiheitsraum der Betätigung des sittlichen, d.h. des autonom bestimmten Handelns, zu ermöglichen.20)23

4. Die Straftheorie Feuerbachs

Für die praktische Umsetzung innerhalb der Straftheorie ergeben sich daraus weitreichende Konsequenzen, insbesondere eine funktionale Trennung zwischen der Androhung der Strafe und deren Zufügung, die ihren Ursprung in der Obligatio-Theorie Achenwalls hat.21)24
Zweck der Strafandrohung ist die Abschreckung des potentiellen Täters vor der Begehung der Tat. Rechtsgrund dieser Androhung ist der Zweck des Staates: die Verteidigung der Gesellschaft vor Verbrechen, um alle Möglichkeiten der Ausschöpfung der eigenen Rechte zu sichern. Zweck der Strafe ist ausschließlich die Realisierung der Strafdrohung, um deren Wirksamkeit zu gewährleisten.22) Ihr Rechtsgrund ist die Einwilligung des Täters in die gesetzlich bestimmte Folge der Tat.23)25
 ZweckRechtsgrund
Androhung der StrafeAbschreckung auf der Basis der psychologischen ZwangstheorieVerteidigung der Möglichkeit des freien Gebrauchs der Rechte
Vollstreckung der StrafeRealisierung der Androhung, um ihre Wirksamkeit zu gewährleistenEinwilligung des Täters in die Bedingung der unerlaubten Tat
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a) Die Legitimation der Strafgewalt und der Vollstreckung

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Die Legitimation der Strafgewalt des Staates resultiert aus der rechtsbegründenden Vertragstheorie Feuerbachs. Damit löst er sich nicht nur aus einer ontologisch-naturrechtlichen Begründung des Strafrechts, er löst sich auch von der utilitaristischen und aufklärerischen Begründung der Sicherung und Besserung und tendiert scheinbar zu einer absoluten Strafbegründung in der Argumentation Kants. Während Feuerbach aber innerhalb der Erkenntnistheorie und etwa mit der Deduktion der bürgerlichen Gesellschaft aus der Freiheit der Philosophie Kants noch recht nahe steht, lehnt er dessen Theorie der Wiedervergeltung wie der größte Teil der zeitgenössischen Literatur ab.24)27
Der Begriff der bürgerlichen Strafe müsse von dem Begriff des Zwangs unterschieden werden. Während der Zwang jede Art der Einflußnahme auf eine gegenwärtige oder zukünftige Bedrohung sei, könne als Strafe nur der Zwang bezeichnet werden, der auf eine Handlung folgt, welche vor der Tat mit Strafe bedroht war. Strafe ist ein Übel, "welches um begangener gesetzwidriger Handlungen, und zwar blos um dieser willen einem Subjecte zugefügt wird: malum passionis ob malum actionis.25) Besserung und Prävention würden die Kompetenzen und die Autorität des Staates gegenüber den Bürgern überschreiten. In diesem Kern findet sich der Kantsche Begriff, der Mensch dürfe nicht Mittel zum Zweck sein. Die Bestimmung der Strafe nach einem Strafziel verstoße gegen die Menschenwürde des Verbrechers.26)28

b) Die psychologische Zwangstheorie

Hier - sowie an der unten zu behandelnden praktischen Umsetzbarkeit in die Strafzumessung - setzte die Kritik der prominenten Juristen an. Wenn man auf die Motivation der Handlung nicht ändernd einwirken dürfe, wie ließe sich dann zukünftiges Unrecht verhindern? Die Unvereinbarkeit der Ansätze ergab sich daraus, daß die Kritik eine Funktionalität der Strafe in bezug auf den überführten Verbrecher erwartete. Dies verneint Feuerbach aus empirischen und rationalen Erwägungen. Empirisch, da sich die auf die Psyche gerichtete Abschreckung in der Vergangenheit als untaugliches Mittel zur Verhinderung von Straftaten erwiesen habe. Rational betrachtet habe der Staat weder Autorität noch Kompetenz, gesellschaftspolitisch bzw. herrschaftstechnisch derart auf den Menschen einzuwirken.27) Die Straftheorie ist die Konsequenz aus dem kategorischen Imperativ der bürgerlichen Verträge. 29
Die Strafdrohung solle ein Zeichen setzen, daß diese oder jene Verletzung von der Gesellschaft mit Strafe belegt wurde, um den Freiheitsraum des Einzelnen zu schützen. Die Strafdrohung solle damit auf das Bewußtsein des möglichen Verbrechers einwirken, seine Handlung zu überdenken, indem er die Gefahr der Strafe mit dem Nutzen seiner Handlung abwägt. Die Zwangstheorie ist eine psychologische nicht deshalb, weil sie auf die Psyche verändernd einwirken will. Der Verbrecher soll keine Angst vor der Strafmacht des Staates bekommen, sondern die gesellschaftliche Reaktion mit in die Zweck-Nutzen-Rechnung seines Handelns aufnehmen.28)30
Entscheidend ist die Annahme, daß die Ursache einer gesetzwidrigen Handlung in dem Begehren des Täters liege: "Der Grund und die Triebfeder alles Begehrens gesetzwidriger Handlungen, liegt in der Lust an der Handlung selbst und in der Unlust über das nicht befriedigte Bedürfniß, von welchem das Streben nach diesem Object der Lust begleitet ist.”29) Auf die Lust (Synonym: die Sinnlichkeit) könne auf zwei Weisen eingewirkt werden, einmal mittels einer entgegengesetzten Lust oder mittels der Freiheit als Vermögen zu uneingeschränkter Selbstbestimmung des inneren Antriebs.30) Auf dieses Vermögen könne der Staat nicht einwirken, da es unbedingbar sei und von jedem äußeren Zwang unbeeinflußbar. Die erfolgreiche äußere Einwirkung auf die innere Entscheidung des Menschen beweise, daß er sich seiner Freiheit eben nicht bedient habe.31) Daher bleibe dem Staat, wenn er nicht selbst Rechte verletzen will, nur die Möglichkeit, der einen Handlungsmotivation eine andere entgegenzusetzen, die auf eine Rechtswidrigkeit zielende "sinnliche Triebfeder” durch eine andere aufzuheben. Dies geschehe durch die Androhung der Strafe im Gesetz.32)31

5. Praktische Auswirkungen der Theorie (Zusammenfassung)

Als Merkmale der modernen Strafrechtsdogmatik und des Strafverfahrens im 19. Jahrhundert gelten u. a. die Einführung der Staatsanwaltschaft, die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Verhandlung und die strenge Gesetzesbindung ebenso wie die Unabhängigkeit der Gerichte.33)32
Während bei der Betrachtung dieser Institute die Feuerbachsche Theorie meist unerwähnt bleibt und etwa in der Frage der Öffentlichkeit und Mündlichkeit einseitig auf Mittermaier abgestellt wird,34) zählt Feuerbach als derjenige, der dem Bestimmtheitsgebot zum Durchbruch verholfen hat. Zweifellos ist die Forderung und Umsetzung präziser gesetzlicher Tatbestände ein entscheidendes Merkmal und Voraussetzung des modernen Strafrechts. Hier vermittelt sich am stärksten die Entwicklung vom regierten Untertan zum selbstverantwortlichen, gleichberechtigten Staatsbürger. Die Konkretisierung der Tatbestandsformulierung war mit der Forderung nach klarer Reflektion der Zurechnungsfrage, mit der Auseinandersetzung um Determination oder Indetermination verbunden. Die Dogmatik der Zurechnung einer Tat zu verschiedenen Tatbestandserfordernissen erforderte zwangsläufig konkrete Anhaltspunkte im Gesetz, wie die Handlung zu beurteilen sei. 33
In der Rechtstheorie Feuerbachs waren die Gebote "nulla poena sine lege”, "nulla poena sine crimine” und "nullum crimen sine poena legali” jedoch letztlich ein Ergebnis aus der Reflexion der Legitimität der Strafgewalt aus der bürgerlichen Gesellschaft, sofern sie aus der Beschränkung staatlicher Herrschaft durch die formalen Bedingungen einer bürgerlichen Gesellschaft resultierten. 34
In der Rechtstradition war jedenfalls der Grundsatz "nullum crimen sine lege” seit längerem bekannt. Es finden sich entsprechende Formulierungen im Codex Juris Bavarici Criminalis, Cap. 12 § 1, und in § 1 der Josephina.35) Erstmals verwirklicht gilt das Bestimmtheitsgebot im ALR, II 20. Tit. § 9. Dort galt ein Gesetzesbegriff für das Strafrecht, der das Gesetz als Handlungsnorm definierte.36) Daher verstand sich das Rückwirkungsverbot und die Publikationserfordernis auch als Bindung des Richters, nicht als Bindung des Gesetzgebers. Dem Staat wurde dadurch nicht verboten, ein rückwirkendes Gesetz zu erlassen. Der Erlaß eines rückwirkenden Gesetzes hätte jedoch eine grobe Kompetenzüberschreitung des Staates dargestellt, nachdem das Rückwirkungsverbot einmal für die Anwendung von Gesetzen bestimmt war.37) Schon hier wird die Problematisierung des staatlichen Gewaltanspruchs deutlich, die in Feuerbachs Rechtsbegründung ausformuliert ist. Hintergrund ist auch hier wieder Differenz zwischen dem offen zu Tage tretenden Wandel der Sozialverfassung und einer ständischen Staatstheorie, welche die Redaktoren des ALR nicht lösen konnten. 35
Diese Lücke füllte zuerst Feuerbach. Aus all den vorgenannten Überlegungen zieht Feuerbach seinen berühmtesten Schluß: "§ 19 […] ergiebt sich folgendes höchste Princip des peinl. Rechts: Jede rechtliche Strafe im Staate ist die rechtliche Folge eines, durch die Nothwendigkeit der Erhaltung äusserer Rechte begründeten, und eine Rechtsverletzung mit einem sinnlichen Übel bedrohenden Gesetzes. § 20 Hieraus fließen folgende, keiner Ausnahme unterworfenen, untergeordneten Grundsätze: I) Jede Zufügung einer Strafe setzt ein Strafgesetz voraus. (Nulla poena sine lege) ... II) Die Zufügung einer Strafe ist bedingt durch das Daseyn der bedrohten Handlung. (Nulla poena sine crimine.) ... III) Die gesetzlich bedrohte That (die gesetzliche Voraussetzung) ist bedingt durch die gesetzliche Strafe. (Nullum crimen sine poena legali.)”38)36
Das bedeutet - und damit ist ein, wenn nicht der Kernpunkt der Feuerbachschen Rechtstheorie berührt -, daß nicht nur ein Gesetz verletzt sein muß, sondern daß dieses Gesetz durch die notwendige Erhaltung eines Rechtsgutes auch begründet sein muß. Es trifft sich hier in der Straftheorie die Forderung einer aus der Gesellschaftstheorie entwickelten formalen Beschränkung des materiellen Gestalten-Könnens der Legislative. Sie ist an die formalen Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft gebunden, insbesondere an den Schutz der Gesellschaft vor willkürlichen Parteiinteressen zu Lasten des individuellen Freiheitsraumes. 37
Es bleibt daher zunächst festzuhalten: Die materielle Bestimmung der Strafgesetze, die Bestimmung, welche Handlungen dem Staatszweck zuwiderlaufen und also in einem Strafgesetz bedroht sein müssen, ist Sache der Politik, des Gesetzgebers.39) Die Rechtswissenschaft kann lediglich den formalen Rechtsgehalt des Gesetzes auf seine Übereinstimmung mit dem Willen der Bürger überprüfen.40) Dabei ist die Politik bei der Gestaltung der inhaltlichen Normen und ihrer formalen Rahmenbedingungen ihrerseits durch die kulturelle Entwicklung, das öffentliche Urteil und die formelle Bestimmung der Rechtsordnung durch die bürgerlichen Verträge an präfigurierte formale Gerechtigkeitsideale wie etwa die Sicherung des individuellen Freiheitsraumes gebunden. 38
Erst das Zusammentreffen verschiedener Faktoren - wie etwa die intellektuelle Sensibilisierung durch die Tradition der Aufklärung, dem Aufkommen bürgerlicher Utopien und dem Glauben an ihre Durchsetzbarkeit, dem demographischen und sozialökonomischen Wandel und den so notwendig gewordenen sozialen und politischen Reformen - konnte den Boden bereiten für eine ideelle Ausgestaltung von Rechtsinstituten wie dem Bestimmtheitsgebot, die den Rechtsätzen bleibenden Inhalt und Geltung über den aktuellen Interessenhorizont hinaus gaben. 39

IV. Politische und soziale Bedingungen der Strafrechtsrevision

Im folgenden sollen einige Aspekte dieser Entwicklung um 1800 aus der Perspektive der Feuerbachschen Theorie und für das Strafrecht vorgestellt werden, um die Genese des modernen Feuerbachschen Strafrechts auch aus der Perspektive der notwendigen politischen und sozialen Bedingungen zu beleuchten. Einschränkend muß vorweg angemerkt werden, daß die Fragen dieses zweiten Teils notwendig nur Vorüberlegungen sind. Insbesondere fehlt es an Arbeiten, welche die Wechselwirkungen problematisieren, die sich aus dem Wandel der Rechtstheorie und der Normsetzung mit den sozialhistorischen Bedingungen, Wandel der Sozialverfassung, Professionalisierung der Rechtsstäbe, Bedeutungszuwachs der Bürokratie und Emanzipation der Öffentlichkeit zu einem maßgeblichen Faktor ergeben.41)40
Zunächst wird in diesem zweiten Teil, nach wie vor mit der zentralen Perspektive der Feuerbachschen Theorie, auf einige wissenschaftsgeschichtliche Aspekte der Entwicklung einer funktionalen Systematik und den Gedanken formaler Rechtssysteme eingegangen (II.1.a). Dies soll in Verbindung mit der Entwicklung einer bürgerlichen Utopie gesetzt werden (II.1.b). Wie angedeutet liegt diesen teils ideengeschichtlichen Prozessen ein grundlegender Wandel der Herrschaftsmechanismen in sozialen Beziehungen zugrunde, woraus sich ein eminenter Reformdruck zur Erneuerung des Strafrechts sowohl aufgrund der Rechtseinheit, wie auch der Rechtsgleichheit ergab (II.2.). Diese Entwicklungsstränge stellen gewissermaßen einige der "Interessen” dar, welche den großen Reformdruck um 1800 in den deutschen Ländern bedingt haben und die Feuerbach, was die Strafrechtsreform angeht, mit seinen "Ideen” eine Weile beeinflußt hat. Ich folge hier insoweit Webers Einschätzung: "Interessen (materielle und ideelle), nicht: Ideen, beherrschten unmittelbar das Handeln der Menschen”.42)41
Als Korrektiv und Ausblick soll diesen Überlegungen die Kritik des 19. Jahrhunderts, vor allem diejenige Welckers und Mittermaiers gegenübergestellt werden (II.3.). Diese "herrschende Meinung” der Strafrechtswissenschaft des Vormärz zeigt sich teils von früheren Traditionslinien bestimmt, teils von neueren Problemfeldern überlagert, so daß Feuerbachs gesellschaftspolitische Einbindung des Strafrechts schon bald als "überholt” galten. 42

1.Relativismus und bürgerliche Utopie

a) Relativismus: Der Vergleich als hermeneutische Methode

Ausgangspunkt der Theoriebildung Feuerbachs war die frühe Ablehnung des Naturrechts und die Auseinandersetzung mit den Kräfteverhältnissen und Kompetenzen der gesellschaftlichen Gruppen. Hintergrund seiner Überlegungen ist ein fest im 18. Jahrhundert verwurzelter Relativismus, eine Betrachtung von Werten und Normen, die als Ergebnis der historischen und kulturellen Bedingtheit der gesellschaftlichen Variation verstanden wurden.43)43
Wolf Lepenies hat diesen Vorgang für die Naturwissenschaft als "Historisierung der Natur” beschrieben, der bewirkte, daß die Erkenntnisobjekte nicht mehr als statische Erscheinungen betrachtet, sondern in einen Verzeitlichungsprozeß eingebunden wurden.44) Die Konsequenz daraus war unter anderem, daß Ordnungen innerhalb eines sich wandelnden Prozesses betrachtet wurden, mit der Folge, daß sich die Anschauung variabler und beeinflußbarer gesellschaftlicher Zustände durchsetzte. 44
Montesquieu hatte diese Perspektive mit den "Lettres persanes” und dem "L'Esprit de Lois” wohl am populärsten gemacht. Bodin, Justi, Adam Smith, Herder oder Schlözer und viele andere nutzten die vergleichende Perspektive, die sich einerseits aufgrund der eminenten Zunahme an Informationen über fremde Kulturen aufdrängte und traditionelle Rationalitäten in Frage stellte, aber auch den Vorteil hatte, eine auf die Vernunft gestützte Argumentation zu verfolgen, ohne sich in direkte Konfrontation zu den Autoritäten stellen zu müssen.45)45
Wie schon bei Montesquieu ist auch bei dem seinerzeit viel beachteten Filangieri aufgrund der historischen Vergleiche in den Schlußfolgerungen die Tendenz zu erkennen, daß nur eine von materiellen Erwägungen, d. h. willkürlicher Gesetzgebung, befreite, formale Logik in Rechtstheorie und Rechtssetzung in der Lage wäre, eine den modernen Erfordernissen adäquate Gesellschaftsordnung herzustellen.46)46
Feuerbach verfolgte selbst zeitlebens den Plan einer Art "Universalrechtsgeschichte aller Völker” 47) oder "Darstellungen und Ideen zu einer Weltgeschichte der Gesetzgebung”.48) Dieses unvollendete und bis heute nicht bearbeitete Werk stützte sich in dieser Tradition auf die Methode des Vergleichs:49) "Ohne Kenntniß des Wirklichen und Vorhandenen, ohne die Vergleichung verschiedener Gesetzgebungen unter einander selbst, ohne Kenntniß ihres Verhältnisses zu den verschiedenen Zuständen der Völker; nach Zeit, Clima, Sitten und Verfassung, ist wenigstens a priorische Radotage unvermeidlich.”50) Auch daraus ergab sich Feuerbachs strenge Ablehnung des Naturrechts.51) Jene allgemeingültigen Rechtsgesetze des materiellen Naturrechts, so merkt er an, würden sich national beschränkt, ohne Erkenntniswert zeigen und könnten im kulturellen Vergleich keineswegs den Anspruch stellen, oberste Rechtsgrundsätze zu sein. Diese Naturrechtskonzepte hätten das "Ansehen eines auf eine geistige Retorte gebrachten römischen Rechts”.52)47
Aufgrund dieser Vorgaben entwickelt Feuerbach auch seine Staatstheorie im "Anti-Hobbes” nicht mittels eines spekulativen Subjektivismus, sondern durch empirisch-vergleichende Untersuchungen mittels der Vernunft. Die Frage könne nicht sein, was - geschichtlich notwendig - ist, sondern nur, was unter den herrschenden Bedingungen und nach dem "öffentlichem” Willen sein soll.53)48
Auch für die Rechtswissenschaft führt der zugrundeliegende Prozeß der endgültigen Abkehr von statischen Autoritäten gegen Ende des 17. Jahrhunderts zu einem Wandel in ihrem Aufbau und Selbstverständnis als praktischer Wissenschaft. Das rechtswissenschaftliche "System” wird nicht mehr als möglichst umfassende Zusammenstellung und Systematisierung, nicht mehr als möglichst glückliches In-Beziehung-Setzen des Erkannten verstanden. Das System wird zum Träger einer eigenen Logik, die der konstruktiven Erkenntnis des Systematikers folgt. Wissenschaft wird "etwas ganz Neues, eine durch das menschliche Erkenntnisvermögen produzierte Einheit, die als solche, in abstracto in einer bestimmten Weise zusammenhängt.”54)49
Diese angesprochenen methodischen Innovationen, wie etwa auch die Wirtschaftslehren des 18. Jahrhunderts, entstanden nicht zuletzt aus einer Suche nach Modellen, welche geeignet waren, der strukturellen Dynamik der Lebenswelten und der Sozialverfassung zwischen Stand und Klasse begegnen zu können.55) Diese Intention war um 1800 häufig eine utopistische Konstruktion einer bürgerlichen Gesellschaft.56)50

b) Utopie einer bürgerlichen Gesellschaft als Motivation: der Bürger Feuerbach57)

Mit der konzeptionellen Grundlegung solcher Gesellschaftsvorstellungen ist Feuerbach jener Generation von frühbürgerlichen Autoren zuzurechnen, welche in den letzten zwei Dekaden des 18. Jahrhunderts die Gegenutopie einer "bürgerlichen Gesellschaft” entwarfen, die sich prinzipiell gegen den korporativen Ständestaat richtete.58) Zweifellos kann Feuerbach als seinerzeit "idealtypischer” Bürger gelten. Herkunft, Sozialisation, Bildungsgang, Profession, Lebensführung, Wertvorstellung und schriftstellerische Tätigkeit weisen sämtlich die analytisch-idealtypischen Merkmale des Bürgers auf.59) Dies trifft auch auf seine eigene stark konstruktive Vorstellung des Bürgers und der bürgerlichen Gesellschaft zu. Die tatsächliche Gemeinsamkeit der "Bürger” ist bei ihm, wie bei den Zeitgenossen, lediglich in der strukturellen Begründung der Handlungsmuster zu erkennen, indem sich die "Bürger” in ihrer Selbstbeschreibung durch eine relative Kontingenz (etwa durch die Betonung eines inhaltlich nicht gefüllten Freiheitsraumes, später einer ethischen Begründung der eigenen Lebenswelt) und mit der Betonung auf die Selbstverantwortlichkeit gegen ständische Normierungen und Verhaltensmuster widersetzten.60) Feuerbachs Begriff des Bürgers bemüht sich, eine funktionale Unterscheidung zwischen einer privaten und einer staatsbürgerlichen Ebene zu finden, ohne dabei äußere Schranken zu setzen, wie sie etwa noch bei Kant in dem Erfordernis des Eigentums bestanden.61) Fraglich bleibt aber, ob Feuerbach tatsächlich diese Trennung so nachhaltig vollzog, wie dies später im deutschen Idealismus der Fall war. Jedenfalls läßt sich aus seiner Straftheorie erkennen, daß er den Bürger immer auch zugleich als Staatsbürger betrachtete. Auffallend jedenfalls ist an seiner Begrifflichkeit eine stark voluntaristische Ebene, die keinen konkreten Gesellschaftsteil als Pendant hat. Relevant ist diese Begriffsbestimmung für die Gegenüberstellung des Gesellschaftsverständnisses von Feuerbach, Welcker und Mittermaier. 51
Gegenüber den früheren Generationen zeichnet sich Feuerbach durch eine für die strafrechtliche Theoriebildung wichtige, stark introspektive Betrachtungsweise der menschlichen Persönlichkeit ab, die sich insbesondere von der etwa von Svarez, Klein und andere vertretenen "Hobbesschen” Tradition einer ontologischen Zuschreibung absetzt.62) Seine Vorstellung von der stark variablen Innerlichkeit, von Entwicklungsfähigkeit und Selbstbestimmbarkeit des Menschen kommt in der für die Entstehung der Kriminalpsychologie bedeutsamen "Sammlung merkwürdiger Kriminalfälle” zum Ausdruck: 52
"Was nächst der rechtlichen Seite einer Strafsache, seine [d. Verf. = Feuerbachs, O.R.] Forschung oder, wenn man so will, seine Neugier immer am meisten anzog, war gerade dasjenige, was gemeiniglich entweder ganz außerhalb der Gränzen streng richterlicher Beurtheilung liegt, oder höchstens nur nebenbei und in einzelnen Punkten seinen Gesichtskreis berührt: - die Beschaffenheit der nicht immer an und für sich verderblichen, zuweilen sogar löblichen oder edlen Triebfedern, welche unter gegebenen Umständen, durch das Zusammenwirken entfernter und naher Veranlassungen, den Willen zu verbrecherischen Entschlüssen in Bewegung setzen: das eigenthümliche Gemisch von Gefühlen, Neigungen, Vorstellungen und Gewohnheiten, welche die Bestandteile eines durch Verbrechen ausgezeichneten Charakters bilden; die Besonderheit des Gemüthszustandes und des Betragens des Verbrechers vor, während und nach der Begehung seiner Missethat; endlich die in den geheimen Falten der Seele verborgenen Keime der Verbrechen, die oft äußerst zarten und feinen Fäden, aus welchen nicht selten Leidenschaft, Verblendung oder Irrthum das Netz der Lust zusammenweben, das, wenn ihm der Mensch nicht bei Zeiten vorsichtig ausweicht, oder seine höheren Kräfte dagegen aufbietet, seinen Willen nur zu bald umstrickt und ihn alsdann mit unwiderstehlicher Gewalt, aber in Folge seiner eigenen Schuld, in den schwarzen Abgrund reißt.”63)53
Aus dieser Betonung einer jeweils einzigartigen persönlichen, dabei stark sozialgebundenen Entwicklung und dem Konzept der persönlichen Handlungsfreiheit resultiert eine radikale Vorstellung von Individualität, mit der sich Feuerbach von der Aufklärung abwendet, die einen wesentlich statischeren Begriff der Persönlichkeit hat, und zugleich von der späteren, durch einen Kanon an ethischer Lebensführung geprägten "Bürgerlichkeit” unterscheidet.64) Um 1800 setzte in der hier maßgeblichen Schicht der akademischen Bildung ein Wertungs- und Mentalitätswandel bezüglich Freiheit und Individualität, Öffentlichkeit und allgemeinem Willen ein, der sich vereinfacht durch die Privatisierung der ethischen Orientierung und der politischen Beurteilungskriterien bezeichnen läßt und der so zu einer post-aufklärerischen Ethisierung der öffentlichen Ordnung führt, jedenfalls was die strafrechtlichen Mittel angeht. In diesem Prozeß werden die Begriffe der Freiheit (als sozialer Handlungsebene) und der Individualität zunehmend als Ziel der Lebensführung verstanden und die ethischen Beurteilungkriterien verinnerlicht, in eine private Verantwortungsethik überführt. Individualität wird dabei tendenziell als Ziel der persönlichen Lebensführung und Entwicklung verstanden, woraus sich verschiedene Konsequenzen für das Verhältnis Bürger - Gesellschaft - Staat ergeben.65) Der aufkommenden Bewußtheit von der Differenz zwischen den persönlichen und den gesellschaftlichen Interessen wurde gegenüber diesem Modell im 19. Jahrhundert vor allem durch eine verschieden gestaltete Trennung des Individuums von der Gesellschaft und dieser wiederum vom Staat begegnet.66)54
Feuerbach hatte, wie dargestellt, gerade in diesem Bereich eine eigene Begrifflichkeit entwickelt und daraus seine Konsequenzen für das Strafrecht gezogen. Das zitierte Beispiel verdeutlicht in diesem Bezug eines der zentralen Themen Feuerbachs seit dem "Anti-Hobbes”, die Abwendung von einer ontologischen Bestimmung des Menschen. Es zeigt zugleich, daß er dem Begriff der Individualität als einer Lebensaufgabe der Selbstvervollkommnung in Richtung "einer Aristokratie der Gesinnung” (Hardtwig) nicht folgt und Individualität jeder Person als Träger einer eigenen Würde zugesteht. Nicht zuletzt hier spiegelt sich der Verzicht in Feuerbachs Straftheorie, im Vorfeld eine qualitative Kategorisierung der Menschen vorzunehmen. 55
Die Verbindung zwischen Feuerbachs Begriff der bürgerlichen Gesellschaft und dem anti-korporativem Habitus findet sich vor allem in dem Rechtsformalismus seiner Rechtstheorie: Die Gesetze müssen für alle gleichermaßen gelten, hier gibt es keine Trennung verschiedener Gesellschaftsteile, wie sie noch das ALR als selbstverständlich empfand, jedoch auch keine ethischen Kategorien bei der Betrachtung der tatbestandlichen Motivation oder bei der individuellen Zumessung der Strafe, wie sie etwa wieder bei Mittermaier und Welcker zu finden ist.67) Das politische Argument der Integration des Einzelnen in die Gemeinschaft eines Staatsvolkes spielte für ihn noch keine Rolle. Vielmehr ist Feuerbach noch in jene Vorstellungswelt einzuordnen, die im Sinne der französischen Citoyens die Herrschaft verbürgerlichen wollte und nicht, wie später der deutsche Idealismus, den Bürger aristokratisieren und durch die Emanation von Staat und Gesellschaft eine hierarchische Distanz zwischen Bürger und Herrschaft fortschrieb.68)56

2. Strafrecht im Wandel der Reformen

a) Die sozialpolitische Dimension des Strafrechts der Reformzeit

Der Wandel der Staatsverfassung wird allgemein als der zentrale Faktor der frühneuzeitlichen Rechtserneuerung und der Gesetzgebung im 18. Jahrhundert angesehen. Das Zusammenwachsen der Herrschaftsgebiete und die Zentralisierung der Souveränität, der starke demographische Zuwachs seit Mitte des 18. Jahrhunderts hätten eine Vereinheitlichung der Verfahrenswege und Herrschaftsmittel als Ausdruck einer einheitlichen Souveränität erfordert. Mit dieser stark nationalstaatlich geprägten Sichtweise sind die Bedingungen der Verrechtlichung seit 1800, die Forderung nach Kodifizierung des Rechtsstoffes jedoch nur unzureichend beschrieben.69) Zwar stellen die Naturrechtskodifikationen auf eine erschöpfende und systematische Neuordnung des Rechtsstoffes ab, doch war dies nicht nur einer Konzentration von Herrschaft geschuldet, mit der konkurrierenden Herrschaftsansprüchen innerhalb der ständischen Gesellschaft begegnet werden sollte. Bedeutsam wurden zusätzlich die folgenden Faktoren: Durch einen Wandel der Konfliktregulierung instrumentalisierten die Unterschichten zunehmend das Recht für sich. Zugleich kommt es zu einem Wandel der Staatszwecklehre. Nicht zuletzt führen demographischer Wandel und zunehmende wirtschaftliche Tätigkeit seit Mitte des 18. Jahrhunderts dazu, daß ein nach Privilegien abgestuftes Recht ständischer Prägung nicht mehr zu halten war. Dies verursachte, daß das Gesetz an sich einen neuen Charakter annahm. 57
Jürgen Schlumbohm hat kürzlich darauf hingewiesen, daß für die Funktion des Gesetzes weniger dessen Eignung als rechtstechnisches Institut Vorrang hatte. Wichtiger sei die Gestalt des Gesetzes, die symbolische Funktion in seiner Verkündung und Typographie, der normative Anspruch als Ausdruck von Landeshoheit.70) Die Funktion der Gesetze war demnach nicht zweckrational an der Ordnung des altständischen Staates orientiert, sondern an der Konstituierung von "Obrigkeit”, insbesondere der "guten” Obrigkeit und der "guten” Ordnung, die sich im Wohlfahrtstaatsgedanken ausdrückte.71) Sie habe primär durch Riten und entsprechende symbolische Selbstdarstellung versucht, innerhalb konkurrierender Herrschaftsansprüche der Herrschaft Ort und Gehalt zu geben. Auf die Durchführbarkeit dieser Gesetze kam es dabei zunächst nur zweitrangig an.72) Die Funktion der Bestrafung lag in der Interaktion zwischen Herrschaft oder Gemeinde, dem Untertan, dem Verbrecher und der Tat, was sich insbesondere bei den Hinrichtungsritualen zeigt.73) Entgegen der Fixierung auf das Gesetz als einer veritablen Quelle, wie es in der älteren Rechtsgeschichte und etwa auch bei Michel Foucault gepflegt wird, bewegte sich die Strafpraxis innerhalb eines Geflechts von Willkür und Gnadenpraxis, in der das Sozialkapital eine entscheidende Rolle spielte. Die Behandlung von Verbrechen folgte nicht der Anwendung von Normen, sondern der selektiven Verteilung von Gnade und Sanktionsverzicht.74) Diese Perspektive auf die frühneuzeitlichen Gesetze entspricht der Beobachtung, daß der absolutistische Staat trotz penibelster Regelung des öffentlichen und privaten Lebens durch die Policey-Ordnungen keineswegs auf einen verwaltungstechnischen und Exekutivapparat zurückgreifen konnte, der ihm die Durchsetzung seiner Normen hätte garantieren können. 58
Die drei vorgenannten Faktoren, welche die Notwendigkeit einer Revision der Gesetze mit-, nicht ausschließlich bedingten, müssen daher neben der politischen Bedingung der Rechtseinheit um 1800 stärker beachtet und sollen hier kurz angesprochen werden. Sie verweisen auf die sozialpolitische Notwendigkeit der Rechtsgleichheit. 59
1.) Mit dem soziopolitisch bedingten Wandel der Staatszwecklehre gegen Ende des 18. Jahrhunderts fiel dem Gesetz eine neue Funktion zu.75) Die Generationen, welche direkte Zeugen der französischen Revolution wurden, drängten in der Rechtstheorie und in ihrem politischen Programm auf den "Rechtsstaat”. Dies beinhaltete die Negation des absolutistischen Wohlfahrtsstaates zugunsten eines Wirtschaftsliberalismus und der freien Entscheidung des Individuums, sowie des korporativen Ständestaates zugunsten der bürgerlichen Vereinigung und bedeutete die Bindung des Staates, resp. seiner Repräsentanten, in der Produktion von Gesetzen und Urteilen an allgemein verbindliche Regeln.76)60
2.) Zum zweiten wurde der symbolische Charakter der Gesetze zunehmend durch die Institutionalisierung der Gesetze und Gerichte als Ort der sozialen Konfliktregulierung durch die Untertanen selbst aufgehoben. Die Geschichte des sozialen Protests ist in der frühen Neuzeit von einer zunehmenden Pazifizierung gekennzeichnet.77) Bei diesen kollektiven Konflikten (wie auch in privaten Streitigkeiten zwischen Untertan und Herrschaft) setzte sich trotz mangelhafter Gesetze am Ende des 18. Jahrhunderts die Inanspruchnahme der Gerichte durch. Das Recht wurde zunehmend als Instrument der Interessendurchsetzung verstanden.78) Dies unterlief letztlich die Sozialhierarchie und die Herrschaftsinstrumente der Stände und überforderte die traditionellen Gesetze. Daher gelten Unruhen und andere Konfliktaustragungen in der neueren Forschung als Modernisierungsfaktoren für die Ausbildung einer politisch sensibilisierten und selbstreflektierten "Öffentlichkeit”, auf die sich die Staatszwecklehre gegen Ende des 18. Jahrhunderts beziehen konnte, und etwa für die Herausbildung der politischen Handlungsfähigkeit der Gemeinden. 79)Auch dies zeigt eine Gesellschaft in Bewegung, die Reformen notwendig machte. 61
3.) Schließlich wurde auch die Ausbreitung des Handels und der freie Zugang zu den Berufen unter der Bedingung der Rechtsgleichheit betrachtet. Dieser zentrale Aspekt der Reformen seit 1800 richtete sich ja vor allem gegen die Aufhebung der korporativen Sonderrechte. Ein wegen des demographische Zuwachses sich ausweitender Arbeitsmarkt, die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung und der faktische Wandel der Eigentumsverhältnisse an agrarisch genutzten Flächen waren mit einer produktiven wirtschaftlichen Entwicklung auf der Basis des privilegierten Korporationsmodells nicht mehr vereinbar.80)62
Aus diesen Erfahrungen - territoriale Vereinheitlichung, Forderung nach Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit der Individuen, Überforderung des Rechts in der Praxis und der Ständeordnung in der sozialen Wirklichkeit, schließlich die sozialökonomischen Bedingungen - zogen die preußischen und südwestdeutschen Reformer zwar unterschiedliche Lehren, die Notwendigkeit neuer Gesetze forderten sie gemeinsam als dringende Aufgabe.81)63
In dieser Situation gewannen die "Rechts-Staats-Lehren” und die politische Utopie der bürgerlichen Gesellschaft ihre praktische Bedeutung. 64
Für den starken Anspruch auf Rechtsgleichheit spricht auch, daß etwa in Bayern offenbar die Kodifikation des Strafgesetzbuches dem Entwurf des Zivilgesetzbuches vorgezogen wurde.82) Hier kommt zwar der Umstand zum Tragen, daß die zivilrechtliche Materie im ganzen einer breiteren Diskussion bedurfte und größere Widerstände zu befürchten waren. Doch allein die Tatsache, daß im Strafrecht seitens der Öffentlichkeit große Übereinstimmung in der Ablehnung der überkommenen Rechte herrschte und sich daraus ein Reformdruck ergab, zeigt einen vollzogenen Wandel des Gesellschaftsbewußtseins. Denn es ging nicht nur um die Humanisierung des Strafrechts, Abschaffung der Tortur und verstümmelnder Leibesstrafen oder der rechtstechnisch sinnlosen Folter83), sondern letztlich um eine neue Begründung der staatlichen Strafgewalt und der Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz. Oder, wie Radbruch meinte, um "die junge Idee des Rechtsstaates […] im Kampfe mit der noch unüberwundenen alten Macht des Polizeistaates”. Diesen Kampf hatte Feuerbach im wissenschaftlichen Diskurs gegen Grolman, Almendingen und Klein für sich entschieden.84)65
Auch die Beratungen über den Entwurf des Zivilgesetzbuches seit 1808 orientierten sich vor allem an rechtstechnischer Funktionalität und politischem Pragmatismus. In der Frage der Übernahme des Code Napoleon oder der Umarbeitung des Kreittmayrschen Cod. Max. Bav. von 1756 scheint Feuerbach, trotz persönlicher Sympathie für den C.N., wie die übrigen Mitglieder der Kommission vor allem an die Durchsetzbarkeit des künftigen Gesetzbuches gedacht haben. Unabhängig von den Rechtsquellen behielten aber dennoch die formalen Bedingungen der modernen Rechtsordnung ihre herausragende Bedeutung für Feuerbach: Freiheit und Gleichheit der Person, Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit des Eigentums, Selbständigkeit des Staates gegenüber der Kirche.85)66

b) Rechtseinheit und Rechtsgleichheit

Die Rechtsgleichheit ist den Reformern aus diesen Gründen ebenso bedeutsam gewesen wie die Rechtseinheit eine Notwendigkeit, auch wenn im Vergleich zwischen Montgelas und Hardenberg festgestellt werden muß, daß die Reformen in Bayern weniger auf eine Partizipation und verfassungsmäßige Einbindung gerichtet waren.86)67
Diese Ebene der Rationalisierung einer bürgerlichen Gesellschaft trat in der Folge zugunsten des Gedankens der Rechtseinheit in den Hintergrund. Die Gründe hierfür sind recht vielschichtig und können hier nicht im Detail erörtert werden. Zunächst muß bedacht werden, daß die "Reformer” eine untaugliche Vergleichsgruppe bilden, da sie durch Einzelpersonen gekennzeichnet sind, die niemals repräsentativ eine gesellschaftliche Gruppe vertraten und vor allem durch das Engagement der Staaten ihre Wirkung entfalten konnten.87) Insoweit ist schon fraglich, wieweit diese Ideen Feuerbachs und anderer Reformer Eingang in den breiten gesellschaftlichen Diskurs fanden und Einfluß auf ein staatsbürgerliches Bewußtsein entfalten konnten. Die demokratischen Republikaner befanden sich ja gegenüber den liberal-konstitutionell Gesinnten immer in der Minderheit. Zudem handelte es sich nach wie vor um gesellschaftspolitische Perspektiven, nicht um eine gesellschaftliche Ordnung, so daß eine neue Orientierung der lebensweltlichen Bezugsfelder einen raschen Umschwung bedingen konnte. 68
Mitursächlich für den Vorrang der Rechtseinheit vor dem Gedanken der Rechtsgleichheit war dann die diffuse Gemengelage aus der Nationalisierung im Zuge der Einigungskriege, der Durchsetzung einer organologischen Ordnungsvorstellung durch die romantische Kultur, die eine Trennung von Staat und Gesellschaft in der Vorstellungswelt begünstigte, schließlich auch der spezifischen Professionalisierung und Vergesellschaftung des Bildungsbürgertums, das stärker zu einem ständisch orientierten, korporativ-meritokratischen Modell tendierte, individualisierte Chancengleichheit also eher ablehnte.88)69

3. Die "bürgerliche” Kritik an Feuerbach

Die Kritik an Feuerbachs Gesellschaftsvorstellung bestätigt den defensiven Zug des Liberalismus, dessen Rückgriff auf verschiedene organologische Historisierungsprinzipien der politischen Theorie und eine moralische Besetzung des "Bürgers”.89) Vor allem Welcker und Mittermaier verkörpern dabei zwei qualitativ unterschiedliche liberale Konzepte der Rationalisierung der Gesellschaft, während Thibaut für die generelle Ablehnung eines utopischen Gesellschaftsbegriffs aus einer positivistischen Rechtstheorie steht. 70

a) Thibaut

Thibaut, der schon sehr früh auf die "Revision” reagierte, lehnte die Grundlegung der Straftheorie durch die Konzeption einer bürgerlichen Gesellschaft ab. Er hielt diese Gedanken aus methodischen Aspekten grundsätzlich fehl am Platz. Die Rechtswissenschaft habe auf die positiven Gesetze zu reagieren. Thibauts Kritik zeigt, daß die Orientierung von Feuerbachs Schriften auf eine egalitäre bürgerliche Gesellschaft hin keineswegs als Selbstverständlichkeit angesehen werden kann. Sie ist darauf ausgelegt, Feuerbachs philosophische Überlegungen mit der Praxis zu desavouieren. So ignoriert Thibaut die Herleitung der Legitimation der Strafgewalt aus der "bürgerlichen Gesellschaft”. Es sei widersinnig, ein Strafrecht für eine zukünftige Gesellschaft zu verfassen.90) Die "bürgerliche Strafe”, Feuerbachs Topos für die von der Gesellschaft legitimierte Strafgewalt des Staates, setzt Thibaut, ganz Positivist, mit den Sonderrechten für den bürgerlichen Stand in Bezug.91) Unbeeindruckt von der impliziten Forderung einer egalitären Gesellschaft verweist er so auf das praktische Problem der Richterschaft, wer als Bürger im Sinne der Strafgesetze eine Privilegierung erfahren sollte, ein gängiger Streitpunkt zwischen den Instanzgerichten.92) Sein Fazit: Man solle sich "von dem Vorurtheil, als ob hier durch die Philosophie für die Praxis viel gewonnen werde, auf alle Weise zu entfernen suchen.”93) Bei Thibaut läßt sich am stärksten eine grundsätzliche Verschiebung und Inkompatibilität der argumentativen Ebenen und der Begriffsbesetzung feststellen. 71

b) Mittermaier94)

Auffallend und zentral an der grundsätzlichen Kritik Mittermaiers gegenüber Feuerbach ist weniger eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dessen Philosophie oder Rechtstheorie als seine zunächst irritierenden Angriffe auf Feuerbachs Befähigung. In seinem für Bluntschlis Staatswörterbuch geschriebenem Feuerbach-Artikel führt er dessen Formalismus auf eine tiefe Unkenntnis der realen Verhältnisse zurück. "Unbekannt mit dem Rechtsleben und der Lage der Richter […]. Jeder verständige praktische Verehrer F's muß zugeben, daß wenn dieser Mann das Leben, die Menschen, ihre Natur und die Anwendung der Gesetze gekannt haben würde […]. Hätte F. das wirkliche Leben besser gekannt, so würde er nie dazu gekommen sein, bei jedem Verbrecher sich gewisse Motive, die zum Verbrechen treiben und so eine Art Normalgrad von Verschuldung zu konstruieren und darnach die Strafdrohung einzurichten.”95) Es äußern sich in dieser Kritik verschiedene Momente, die in Mittermaiers stark subjektiv-ethischer Betrachtung der Lebenswelt kulminieren. 72
Mittermaier nimmt für sich eine von philosophischem Räsonnement unversetzte Wahrnehmung der realen Sachverhalte in Anspruch. W. Naucke hat zum Vergleich von Feuerbach und Mittermaier gerade in diesem Bezug einen bezeichnenden Unterschied festgestellt. Mittermaier, sei - entgegen dem Vorwurf der fehlenden Praxis gegen Feuerbach - einer der ersten, die den Typus der reinen praxisfernen "Empirie” vertreten. Bei ihm treffe man "zum ersten Mal auf das wissenschaftliche Phänomen, daß das Leben für den Wissenschaftler gewonnen wird aus den Ergebnissen empirischer Wissenschaften”.96) Weniger der offene Widerspruch zur tatsächlichen Tätigkeit Feuerbachs97) ist daher von Interesse als die eigene Vorstellung der Erkenntnisfindung und Beurteilung der Lebenswelt. In Auseinandersetzung mit Feuerbach propagiert Mittermaier - bemerkenswerterweise in der Einführung zur posthumen Auflage von Feuerbachs "Merkwürdigen Verbrechen” - eine Beweistheorie, "gegründet auf die Vorschriften der Religion, auf die Philosophie der Natur, auf die Wahrheiten der Geschichte und auf die Erfahrungen des gewöhnlichen Lebens”.98) Mittermaiers Kritik zeigt sich geprägt von einer idealistischen Mentalität, einem Gerechtigkeitsempfinden, das auf ein organologisches, historisiertes Gesellschaftsverständnis im Sinne der politischen Romantik rekurrierte.99) Freiheit stellte sich hier nicht als Sicherung der subjektiven Rechte im Gemeinwesen dar, sondern als Freiheit des Gemeinwesens, an dessen Teilhabe man sich durch Bürgertugend und einen ethischen Kanon würdig zeigen muß. So erklärt sich die Unvereinbarkeit Feuerbachs und Mittermaiers und dessen Unverständnis an Feuerbachs Konzept. Dessen Formalismus, merkt Mittermaier abwehrend an, führe konkret etwa dazu, daß bei der Notzucht nurmehr die Disposition über den eigenen Körper geschützt werde, so daß "selbst von einer Notzucht an einer schamlosen Hure” gesprochen werden könne.100)73

c) Die historische Schule

Bemerkenswert ist, daß sich schon die Kritik an der Untersuchung des Hochverrats (1798) durch Gustav Hugo gerade gegen diejenigen Faktoren richten, welche für die Eigenart von Feuerbachs modernisierendem Ansatz bestimmend wurden: "das Bedürfnis haarscharfer Bestimmungen im Kriminalrechte und zweitens die Entstehung jeder Staatsverfassung durch ein Viertelsdutzend Verträge”101). Gerade die Bestimmung des Strafrechts aus den Bedingungen einer Zivilgesellschaft machte die Entwicklung von Feuerbachs wegweisender Rechtstheorie möglich. Mit der Argumentation für die Notwendigkeit solcher rechtstheoretischen Begründung stand er im Gegensatz zur historischen Schule. 74
Kennzeichnend für diese Unvermittelbarkeit ist der Widerspruch zwischen der kantischen Erkenntnistheorie und der Erkenntnislehre aus organisch gewachsenen Zusammenhängen. Nach Kant sind die Begriffe das, was wir von den Dingen zur Erscheinung bringen. Sie sind konstruierte Hilfsmittel des Menschen zur vorläufigen Beschreibung verschiedener Gesichtspunkte, die so in einen Zusammenhang gestellt werden. Für Savigny dagegen sind die "Begriffe und Sätze der Wissenschaft […] nicht durch Willkür hervorgebracht, es sind wirkliche Wesen, deren Daseyn und deren Genealogie ihnen [den Juristen, O.R.] durch langen vertrauten Umgang bekannt geworden ist”102). Das Recht wird so als Ausdruck des organisch gewachsenen Volksgeistes jeglicher Kritik entzogen. Der Volksgeist wird als mythischer und letztlich nicht hinterfragbarer Realgrund angesehen, aus welchem sich alle weitere Kultur ergibt.103) Feuerbach bemerkte zu der hier angesprochenen methodologischen Schwäche in einem Brief an Savigny mit deutlicher Kritik: Wohl müsse sich die Gesetzgebung an die geschichtliche Bedingtheit der Gesetze halten. "Da uns aber die Natur mißgünstig ist, müssen wir uns mit der Kunst begnügen. Da wir nicht selbst große Beispiele hervorbringen können, müssen wir große Meister studieren. Praxiteles wurde von der Natur begeistert; den Späteren war sein Werk Natur.”104)75

d) Welcker

Auch Welcker vertrat insofern ein organisches Gesellschaftsverständnis, wenn auch hier eher aus der aufklärerischen Tradition der Polis-Rezeption. Seine Mißbilligung der Feuerbachschen Straftheorie bezieht sich weniger auf Wahrnehmung und Philosophie Feuerbachs, sondern vor allem auf die Ethik des Gemeinwesens. 76
Der Zusammenhang, in den Welcker die hier verfolgte Ablehnung von Feuerbachs Theorie setzt, ist eine Apologie des aufgeklärten Vergeltungs- und Besserungsgedankens, den er sowohl in seinen Werken wie auch bezüglich des Badischen Entwurfs zu einer Strafgesetzgebung entschieden verteidigt.105) Auch er sieht die "Unentbehrlichkeit einer festen Strafrechtstheorie” als erste Bedingung eines Strafrechts. Rechtsgrund, Zweck und Maßstab der Strafen festzulegen sei "unendlich wichtig”, sowohl für die Gesetzgebung als auch für den Richter, der, bei prinzipieller Gesetzesbindung, sich im Zweifel an diese Grundsätze zu halten habe. Der Grund dafür sei, daß die Rechtsordnung eine "Willensordnung” ist, gegründet auf der Vereinbarung freier Menschen auf "gegenseitige zugestandene Achtung ihrer sittlichen Würde und Bestimmung und der damit verbundenen rechtlichen Freiheit”106). Welcker behält die sittliche Würde als leitendes Prinzip in der Rechtsstruktur. Er folgt in den meisten Bestimmungen Feuerbach, dessen Theorie im übrigen, "durch die Napoleonsche Zeit fast übermächtig geworden”, nun endgültig gestürzt sei. Indem Welcker das sittliche Prinzip zur Grundlage der Freiheit und der Rechtsordnung erklärt, führt er jedoch nun anstelle der Doktrin des absolutistischen Wohlfahrtstaates das Heils- und Funktionswissen der bürgerlichen Lebensführung als leitendes Prinzip ein. Bürgertum ist Welcker vielmehr eine ethische Kategorie als eine gesellschaftliche Utopie.107) Als Strafzweck dient ihm "die gerechte Aufhebung der durch den Verbrecher rechtswidrig verschuldeten Störung der Rechtsordnung.” Dem ordneten sich drei Hauptzwecke unter: Vergeltung, Abschreckung und Besserung. Da sich die Rechtsordnung auf sittlicher Achtung gründet, besteht der Schaden den der rechtswidrige Wille hervorbrachte, hauptsächlich in einem intellektuellen Schaden: in der Gefahr der rechtswidrigen Willensbestimmung, in dem verletzten Vertrauen der Mitbürger, in dem herabgewürdigten Ansehen des Rechtsgesetzes und in der Herabwürdigung des Opfers.108) Welcker trennt zwar auch Recht und Moral. Seine Vorstellungen des Staats und der Gesellschaft ist jedoch schon so stark von einem organischen Entwicklungsdenken beeinflußt, daß er die eigenen Moral- und Wertvorstellungen nicht von einer gesellschaftlichen Moral abstrahiert, nicht als aufgesetzte, persönliche Moralvorstellungen begreift. Dieser Gefahr wollte Feuerbach begegnen, daß das Strafrecht in der bürgerlichen Gesellschaft ethisiert und funktionalisiert wird zu einem sittlichen Ausgrenzungsstrafrecht. Welcker sieht diesen Vorwurf als "völlig grundlos” an, da er die private Ebene sittlicher Vorstellungen von der öffentlichen Ebene der Ethik nicht differenziert. "Die wahre freie und friedliche Rechtsordnung beruht nach dem Obigen, auch den Grundsätzen des Badischen Gesetzbuches gemäß, nur auf sittlicher Achtung des Rechts, wird verletzt durch erwiesenen rechtswidrigen Willen und begründet zur Aufhebung dieser Störung des Rechts, den rechtswidrigen Friedbrecher so lange von aller Teilnahme an der rechtlichen Gesellschaft auszuschließen, bis die juristische Annahme seiner sittlichen oder mindestens politischen Besserung wieder möglich ist.” Welckers Strafrecht stellt sich hier als reines Gesinnungsstrafrecht dar, indem er die Kompetenz des Urteils in die private Sittlichkeitsvorstellung stellt und die Beurteilungskategorien von Rechtswidrigkeit wie Unwert einer Tat vom Handlungsunrecht in das Bewußtsein des Täters verschiebt. Das Strafmaß habe sich nach dem Grad der "intellektuellen Störung der Rechtsordnung” zu richten.109)77

4. Zusammenfassung

Wie diese Kritiken bleiben auch die straftheoretischen Begründungen der seit dem Vormärz folgenden zahlreichen Kodifikationen merkwürdig diffus und unbestimmt.110) Eine Durchsicht der Motive legt, wie Welckers Begründungen zum badischen Strafgesetzbuch, durchgängig einen straftheoretischen Eklektizismus an den Tag. Leitendes Prinzip bleibt dabei ein ethisches Gerechtigkeitsprinzip, das als allgemein herrschender Konsens festgestellt wird.111)78
Eine Generation nach Feuerbachs entscheidenden Schriften deutet sich darin ein grundlegend vollzogener Wandel aller Begründungszusammenhänge für die Straftheorien an. 79
Vor allem Feuerbachs konstruktivistische Ausrichtung an einer idealisierten Zivilgesellschaft scheint nun, wie die Kritik bemerkt, "überholt” zu sein. Der immer wieder auftauchende Topos von Feuerbachs überflüssigem Räsonnement verweist neben den unterschiedlichen Verfahren der Erkenntnisproduktion auf eine gesellschaftspolitisch relevante unterschiedliche Wahrnehmung von Realität, auf eine unterschiedliche Rationalisierung der Lebenswelt. Während für Thibaut die Realität das gesetzte Recht ist, orientieren sich Mittermaier und Welcker, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen und verschieden stark, an einer naturgeschichtlichen Entstehung von Realität. Dagegen ist Feuerbachs Realität eine historisch und kulturell variable, indem sie vom Menschen gemacht und veränderlich ist. Daher ist bei ihm die philosophische Grundlegung auf der Basis der empirischen Erkenntnis von entscheidender Bedeutung. Vor allem haben sich jedoch die Argumentationszusammenhänge grundlegend gewandelt. Mußte Feuerbach noch von dem Ideal einer bürgerlichen Gesellschaft ausgehen, so zeigen sich jene sehr bald bestimmt von der Bedeutung der Selbstverortung und einer Politik der Definitionsherrschaft. 80
W. Schubert stellte fest, daß die Qualität des Gesetzgebungsdiskurses mit der historischen Schule, v. a. mit dem Kodifikationsstreit Thibaut - Savigny, eine entscheidende Wendung genommen hat. Während unter anderem die Arbeit an der Zivilgesetzgebung für das Königreich Bayern eine Synthese aus der Fortschrittlichkeit unter Orientierung an der partikularen Gesetzgebung anstrebte, war die Rechtsentwicklung nach 1814 bestimmt von dem Schulenstreit zwischen römischem und deutschem Recht.112) Dies ist ein Indiz dafür, daß sich die juristische Profession zunehmend als Profession definierte und sich die Gesetzgebung stärker an Ideen und der eigenen Positionierung und weniger an praktischer Problemlösung in Hinsicht auf eine Gesellschaftsordnung orientierte. 81

V. Schluß

Anselm v. Feuerbach hat in seiner Arbeit sowohl auf semantischem wie auf rechtstechnischem Gebiet für die Gesetzgebung eine neue Entwicklung gesetzt. Dasselbe gilt für die Strafrechtswissenschaft, die ihm die entscheidenden Impulse für das 19. Jahrhundert und wohl darüber hinaus verdankt. Seine Arbeit gilt als Grundstein für die Entwicklung der Kriminalpsychologie. 82
Es wurde zu Beginn die These entwickelt, daß Feuerbach eine formale Rechtstheorie entwickelt habe, um so die Rahmenbedingungen einer sich selbst verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft zu gewährleisten, ohne inhaltliche Bestimmungen, Moral- oder anderen Wertvorstellungen einer bestimmten Parteilichkeit die Chance einer Dominanz zu geben. Eine genaue Betrachtung seiner Straftheorie unterstützt diese Lesart. 83

Feuerbachs Strafrecht kann als grundrechtlich gebundene Straftheorie angesehen werden. Die Grundlage seiner Konzeption bildet die aus einer kulturrelativistischen Betrachtung gewonnene Reflexion der Rahmenbedingungen einer bürgerlichen Gesellschaft, die als Zivilgesellschaft verstanden wird und deren Bürgern nicht nur im rechtlichen Status vor dem Gesetz, sondern auch gerade als Mitglieder dieser Gesellschaft das Prinzip der Gleichheit, Selbstbestimmung und Würde zugestanden wird - freilich verbunden mit einem Grad an persönlicher Verantwortung, der häufig als überzogen kritisiert wurde. Dies und die weitere Beteiligung an dem Diskurs über ein neues Verhältnis zwischen Individuum, Gesellschaft und Staat führte ihn über die zeitgenössische Ablehnung des korporativen Ständewesens hinaus zu einer formalen Rechtstheorie, welche sich jenseits aktueller Abgrenzungsversuche bemühte, partikularen Rechtsinteressen in der Gesellschaft prinzipiell einen dominierenden Einfluß auf die Rechtsentwicklung zu nehmen. 84


Fußnoten:

1Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl., revidiert von Johannes Winckelmann, Tübingen 1980, Kapitel I, Soziologische Grundbegriffe, § 16.

2 Über die einzig möglichen Beweisgründe, 1795; Kritik des natürlichen Rechts, 1796; Anti-Hobbes, 1797.

3Thomas Hobbes, Leviathan or the Matter, Form and Power of a Commonwealth, Ecclestiastical and Civil, in: The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury; by Sir William Molesworth, Vol. III, London 1839, Kap. 14 und 15. Dazu Panaiotis Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, München 1986, S. 152 f.; Reinhart Koselleck, Kritik und Krise, Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, 7. Aufl., Frankfurt a. Main 1992, S. 18-32.

4Paul Johann Anselm v. Feuerbach, Kritik des natürlichen Rechts als Propädeutik zu einer Wissenschaft der natürlichen Rechte, ND der Ausgabe Altona 1796, Hildesheim 1963. S. dazu auch Hans-Ulrich Stühler, Die Diskussion um die Erneuerung der Rechtswissenschaft von 1780-1815 (Schriften zur Rechtsgeschichte 15), Berlin 1978, S. 196 ff..

5Feuerbach, Anti-Hobbes oder Über die Grenzen der höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der Bürger gegen den Oberherren, Erfurt: Henning 1798, Kap. 2, S. 22-25.

6Feuerbach, Anti-Hobbes, Kap. 2, S. 26 ff. Als Regent bezeichnet Feuerbach den theoretischen Inhaber der Regierungsgewalt, gleich welche Staatsform gewählt wurde.

7Feuerbach, Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts, Teil 1.2., Erfurt 1799 und 1800, ND Aalen 1966, S. 39 (folgend zitiert als "Revision I”; "Revision II”). Vgl. auch Anti-Hobbes, S. 21 ff.

8 "[…] das Recht der Oberaufsicht […], das Recht zu verfügen […], das Recht, die Unterthanen zu richten und das Recht, alles, was er nach den drei vorhergehenden Rechten bestimmt hat, zu exequiren […]”; Feuerbach, Anti-Hobbes, S. 29 f.

9Feuerbach, Anti-Hobbes, S. 32 ff.

10Feuerbach, Anti-Hobbes, Kap. 2, S. 167 ff.; vgl. auch S. 264 ff. Auf diese grundsätzliche theoretische Bestimmung Feuerbachs verweist entgegen dem Großteil der Literatur auch Arthur Kaufmann, Paul Johann Anselm von Feuerbach: ”Die hohe Würde des Richteramts”, in: Festschrift für Karl Larenz z. 80 Geburtstag am 23. April 1983, hrsg. v. Claus-Wilhelm Canaris und Uwe Diederichsen, München 1983, S. 319-328, S.327.

11 Die Wechselwirkung von formalen, strukturellen Rahmenbedingungen (hier die Freiheitssicherung des Einzelnen) und materieller Handlungsspielräume ist auf den Wandel der Rationalisierung von "Systemen” zurückzuführen. Ein System wird, ohne daß dies methodisch schon im einzelnen beschrieben worden wäre, nicht mehr als reine Kategorisierung, sondern zunehmend als eine einer inneren Gesetzmäßigkeit folgenden Einheit betrachtet. S. dazu unten Kap. II.1.a.

12 Vgl. auf das Strafrecht bezogen: Feuerbach, Anti-Hobbes, S. 231 ff.

13Feuerbach, Über Philosophie und Empirie in ihrem Verhältnisse zur positiven Rechtswissenschaft. Mit einem Vorwort zum ND v. W. Naucke (Reprint der Ausgabe 1804), Darmstadt 1969, S. 23 f.

14 S. dazu unten Kap. II.1.b). Vgl. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 2. Aufl., Frankfurt 1991, S. 148 ff.; Richard Sennet, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt am Main 1998.

15Feuerbach, Idee und Nothwendigkeit einer Universaljurisprudenz, in: Biographischer Nachlaß, veröffentlicht von seinem Sohne Ludwig Feuerbach, 2 Bde. in einem Bd., ND der 2. Ausgabe Leipzig 1853, Aalen 1973, Band 2, S. 378-401, S. 388 ff., 394 f.; ders., Über Philosophie und Empirie, passim. Näheres dazu i. f. zur Staatstheorie.

16 Revision II, S. 97 ff.

17 Revision II S. 107. So auch Wolfgang Naucke, Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs (Kieler Rechtswissenschaftl. Abh. Nr. 3), Hamburg 1962., S. 45, 47 Fn. 214.

18 Revision II. S. 100, 106.

19 Revision II. S. 117 f.

20 Vgl. hierzu auch E. Schmidt, Einführung, S. 235 (§ 224).

21Joachim Hruschka, Strafe und Strafrecht bei Achenwall - Zu einer Wurzel von Feuerbachs psychologischer Zwangstheorie, in: JZ 1987, S. 161-169.

22 Dabei verweist Feuerbach auf die Existenz von Nebenzwecken, die jedoch auf die "Bestimmung der Strafe selbst durchaus keinen Einfluß haben und die Art oder Größe derselben determinieren”; Revision I, S. 90.

23 Letzteres mit Verweis auf Grotius; Anti-Hobbes, S. 222. Es muß hier erinnert werden, daß wiederum das Bestimmtheitsgebot kein Gebot der rechtsstaatlichen "Fairneß” ist. S. u. Kap. I.5.

24 Vgl. zu Kants Straftheorie Naucke, Kant, passim, bes. S. 30-43. Gegen Naucke sieht Frommel die Entwicklung bei Feuerbach zu Recht nicht als Bruch mit Kant; Monika Frommel, Präventionsmodelle in der deutschen Strafzweckdiskussion, 1987, S.141 ff. Zur Ablehnung der Kantschen Straftheorie ebd..

25 Revision I, S. 5; vgl. auch Anti-Hobbes, S. 201 ff.

26 Anti-Hobbes, S. 204 ff.. Revision I. 6 ff., 14 ff.; Die Argumentation gegen Strafe als Züchtigung aufgrund ihrer "positiven” Handlungsbestimmung, S. 22 f.; Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, (1798) Werkausgabe Band VIII, hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1993, S. 452 ff.. Vgl. dazu Naucke, Kant, S. 20 f. und 32 ff.

27 Die Untauglichkeit der Abschreckung mittels harter Strafen ist von den Autoren der Aufklärung allgemein anerkannt. Spätestens mit dem von Beccaria vorgetragenen Argument, daß harte Strafen "die Gesinnung verrohten”, dem sich in einem gewissen Grad auch die Gesetzgebung unter Friedrich II. zumindest theoretisch anschloß, ist bekannt, daß Abschreckung nicht mit dem Grad der Strafen wächst. Vgl. etwa Hommel, Principis cura leges, Lipsiae 1765, Aus dem Lateinischen neu übersetzt mit kurzen Erläuterungen begl. v. Rainer Polley, Karlsruhe 1975, S. 108-111.

28 Sofern als das Unwerturteil über die gesellschaftliche Sanktion einer Handlung mit in die Überlegung einer Handlung eingeschlossen werden soll, handelt es sich freilich auch hier um ein "Einwirken” auf den Täter, jedoch nicht auf einer Ebene, die die freie Entscheidungsfindung in Frage stellt oder bestimmen will.

29 Revision I, S. 43. Vgl. hierzu das Zitat aus den Merkwürdigen Kriminalrechtsfällen, unten Kap. II.1.b.

30 Vgl. oben zur Freiheit, Kap. I.3.b. Dazu Heinz Holzhauer, Willensfreiheit und Strafe, Das Problem der Willensfreiheit in der Strafrechtslehre des 19. Jahrhunderts und seine Bedeutung für den Schulenstreit (Quellen und Forschungen zur Strafrechtsgeschichte, hrsg. v. Ekkehard Kaufmann und Heinz Holzhauer, Bd. 1), Berlin 1970, S. 47 ff., 52.

31 Revision I, S. 44.

32 Revision I, S. 49.

33Rainer Schröder, Rechtsgeschichte, S. 140 ff.; Ulrich Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 1999, Rn. 550; Uwe Wesel, Geschichte des Rechts, München 1997, Rn. 290 f.; Schmidt, Einführung, 223 ff., 261 ff

34 Hier wird häufig nur unzureichend zwischen dogmatischem Einfallsreichtum und publizistischem Talent unterschieden. Mittermaier hatte viel von letzterem und konnte in dogmatischen Fragen zumeist auf Feuerbach zurückgreifen. Möglicherweise speist sich daraus seine Kritik. Gustav Radbruch, Paul Johann Anselm Feuerbach, Ein Juristenleben (1934), 3. Aufl., Göttingen 1969, S. 152, sieht Feuerbachs "Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege” (ND der Ausgabe Giessen 1821-25, Bde. 1.2., Aalen 1969) aufgrund der Vielschichtigkeit der Argumentationsführung und der umfassenden Problemerfassung als dessen bedeutendste Arbeit an. Schon 1813 waren die "Betrachtungen über das Geschworenengericht” erschienen. Aufgrund einer seiner häufigen Querelen wurde Feuerbach 1821 auf eine Studienreise nach Frankreich geschickt, woraus seine Betrachtungen über die Gerichtsverfassung dieses Landes entstanden. Zum Verhältnis Mittermaiers zu Feuerbach vgl. Siegfried W. Neh, Die posthumen Auflagen von Feuerbachs Lehrbuch, Zu der Konzeption C.J.A. Mittermaiers und seinem Wissenschaftsverständnis, Berlin, 1991; Wolfgang Naucke, Von Feuerbach zu Mittermaier. Ein Fortschritt in der Strafrechtswissenschaft? in: Carl Joseph Anton Mittermaier. Symposium 1987, hrsg. v. W. Küper, Heidelberg 1988, S. 91-108. Die Problematik der Rezeption Feuerbachs steht sicherlich auch mit der nachhaltigen Kritik Mittermaiers in Zusammenhang, sofern er zugleich dessen publizistischer Nachlaßverwalter war.

35 Zur Dogmengeschichte vgl. Volker Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Berlin / New York 1983; Hans Ludwig Schreiber, Gesetz und Richter. Zur geschichtlichen Entwicklung des Satzes "nullum crimen sine lege”, Frankfurt am Main 1976.

36 Etwa Svarez, Vorträge über Recht und Staat, hrsg. v. Hermann Conrad und Gerd Kleinheyer, Köln / Opladen 1960, S. 235, IX, 3: ”Das Gesetz ist Norm der Handlungen”.

37Gerd Kleinheyer, Vom Wesen der Strafgesetze in der neueren Rechtsentwicklung. Entwicklungsstufen des Grundsatzes "nulla poena sine lege”, Tübingen 1968.

38Paul Johann Anselm v. Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 10. verb. Aufl., Gießen 1828.

39 Vgl. Frommel, Präventionsmodelle, S. 149.

40Naucke, Feuerbach, S. 868, sieht entgegen der in Kap. II. vorgeschlagenen Interpretation hier die "Entwicklung der Strafrechtslehre nach Kant. Das Strafrecht ist endgültig der Subjektivität der Politik ausgeliefert.”

41 Vgl. an einschlägigen neueren sozialhistorischen Arbeiten z. B.: Hannes Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, Sozialgeschichte der Rechtsanwälte in Deutschland, Italien und der Schweiz (18.-20.Jh.), Frankfurt a. Main 1996; Christina von Hodenberg, Die Partei der Unparteiischen. Der Liberalismus der preußischen Richterschaft, 1815-1848/49, Göttingen 1996.

42Max Weber, GARS I, S. 252

43 Bekannt wurde der Relativismus in den Rechtswissenschaften erst durch Gustav Radbruch, der ein positives Recht forderte, das sich nach den Grundwerten einer Kultur in der Art eines Naturrechts richtete. Vgl. Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1932, in: Gustav Radbruch Gesamtausgabe, hrsg. v. Arthur Kaufmann, Heidelberg 1987 f., Bd. 2, S. 221 ff., bes. 235; Klaus Lüderssen, Einleitung zu P.J.A. Feuerbach und C.J.A. Mittermaier, Theorie der Erfahrung in der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts. Zwei methodische Schriften, Frankfurt a. Main 1968 verweist S. 21 f. auf die frühere Formulierung des Verhältnisses von gesetztem Recht und "Kulturrecht” durch Max Ernst Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, Breslau 1903.

44Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in der Wissenschaft des 18. und 19. Jahrhunderts. München / Wien 1976.

45Jean Bodin, Six livres de la république, 1576 ; Montesquieu, Lettres persanes, 1721 ; ders., L'Esprit de Lois 1748 ; Joh. Heinr. Gottl. v. Justi, Vergleichung der Europäischen mit den Asiatischen und anderen vermeintlich barbarischen Regierungen, 1762; Adam Smith, Lectures on Jurisprudence, 1762 ff.; Joh. Gottf. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 1785-91; Aug. Lud. Schlözer, WeltGeschichte nach ihren HauptTheilen im Auszug und Zusammenhange, 1785-1789; Arnold Her. Lud. Heeren, Ideen über die Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der Alten Welt, 1793-1796.

46Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, hrsg. v. Ernst Forsthoff, Tübingen 1951, Buch VI, Kap. 2; Gaetano Filangieri, System der Gesetzgebung. Aus dem Italienischen des Ritters Caietan Filangieri, Bde. 1-8, Anspach: Haueisen 1784-93. Vgl. zu Filangieri mit weiterer Literatur: Paolo Becchi, Filangieri, a.a.O.; ders., Filangieri und Tanuccis Gesetze. Ein Beitrag der neapolitanischen Aufklärung zur Überwindung der arcana juris, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 78 (1992), S. 472-482; Kurt Seelmann, Gaetano Filangieri und die Proportionalität von Straftat und Strafe. Imputation und Prävention in der Strafrechtsphilosophie der Aufklärung, in: ZStW 97 (1985), S. 241-267.

47 So der Arbeitstitel nach Anton Mittermaier, Feuerbach, in: Deutsches Staatswörterbuch, hrsg. v. Johann Caspar Bluntschli, 3. Bd., Stuttgart u. Leipzig 1857, S. 503-513., S. 508.

48 Bf. v. Jan. 1817, in: Feuerbach, Nachlaß, Bd.2, S. 45.

49 Am ausführlichsten berichtet darüber Radbruch, Feuerbach, S. 191 ff. Vgl. auch Heinz Mohnhaupt, Universalgeschichte, Universal-Jurisprudenz und rechtsvergleichende Methode im Werk P. J. A. Feuerbachs, in: ders, Rechtsgeschichtlein den beiden deutschen Staaten 1988-1990, Ius Commune 53, Frankfurt am Main 1991, S. 97-128.

50Paul Johann Anselm Feuerbach, Versuch einer Criminaljurisprudenz des Koran, in: Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde, 2. Bd., Zweites Stück, hrsg. v. L. H. v. Almendingen, P. J. A. Feuerbach und Karl Grolman, Giessen (1804), S. 163-192, S. 164.

51Feuerbach, Idee und Nothwendigkeit, S. 278-401, S. 380 ff., 385 u. 399; vgl. Radbruch, Feuerbach, S. 192.

52 Idee und Nothwendigkeit, S. 399, 385.

53 Anti-Hobbes, Kap. 2, S. 10ff.

54Jan Schröder, Theoretische und praktische Jurisprudenz, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 16 (1993), S. 229-240, S. 233; ders., Wissenschaftstheorie und Lehre der "praktischen Jurisprudenz” auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1979.

55 Unter anderem ist auch die Wirtschaftslehre Adam Smiths unter diese funktional-utopistische Rationalisierung der Gesellschaft aus der Ablehnung des ständischen Modells eingereiht worden. Vgl. Hans-Joachim Stadermann, Ökonomische Vernunft. Wirtschaftswissenschaftliche Erfahrung und Wirtschaftspolitik in der Geschichte, Tübingen 1987.

56 Zu Stand und Klasse vgl. Kocka, Weder Stand noch Klasse, wie Anm. 1; Rudolph Walther, Artikel: Stand, Klasse, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. v. O. Brunner, W. Conze und R. Koselleck, Stuttgart, Bd. 6, 1990. Zur Konstruktion bürgerlicher Gesellschaftmodelle vgl. Paul Nolte, Gesellschaftstheorie und Gesellschaftsgeschichte. Umrisse einer Ideengeschichte der modernen Gesellschaft, in: Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft. Beiträge zur Theoriedebatte, hrsg. v. Thomas Mergel und Thomas Welskopp, München 1997, S. 275-298.

57 Die soziale Realität eines Bürgertums vor ca. 1848 ist umstritten, nicht zuletzt deshalb, da der Begriff schon von den Zeitgenossen als Selbstbeschreibung verwendet wurde. Durchgesetzt hat sich jedenfalls der von Jürgen Kocka vertretene Begriff der "Bürgerlichkeit” als analytischer Kategorie, wenngleich eine abgrenzbare soziale Formation, die sich über Kategorien der Bürgerlichkeit beschreiben läßt, feststellbar wäre; J. Kocka, Das europäische Muster und der deutsche Fall, in: Bürgertum im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Dems, Bd. 1, Göttingen 1995, S. 9-75. Dagegen wird im Einzelfall immer wieder für eine historische Realität des Bürgertums plädiert, vgl. etwa im konkreten Fall: Christina v. Hodenberg, Die Partei der Unparteiischen. Der Liberalismus der preußischen Richterschaft, 1815-1848/49, Göttingen 1996, S. 50 ff. Hodenberg kann diese Begriffsbestimmung jedoch nicht durchgängig aufrechterhalten, wenn sie etwa auf die disparaten Definitionen der Bürgerlichkeit durch die Gerichte verweist, vgl. S. 189 und unten zu Anm. 101. Übergreifend zum Bürgertum vgl. die Literatur in dem Forschungsüberblick von Utz Haltern, Die Gesellschaft der Bürger, in: GG 19 (1993), S. 100-134.

58 Dazu Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., München 1989, S. 233 ff.

59 Vgl. hierzu die Biographie Radbruchs. Bezeichnend etwa, daß Feuerbach, wenn auch nicht ganz freiwillig, mit Jena ein Zentrum der studentischen Ordensbewegung und der neuen Philosophien als Studienort gewählt hatte. Zur herausragenden Stellung der Jenenser Universität zu dieser Zeit vgl. mit weiterer Literatur Marita Baumgarten, Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert, Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 121), Göttingen 1997, S. 206 ff.

60 Vgl. Manfred Hettling und Stefan-Ludwig Hoffmann, Der bürgerliche Wertehimmel. Zum Problem individueller Lebensführung im 19. Jahrhundert, in: GG 23 (1997), S. 333-359.

61 Feuerbach unterscheidet im Anti-Hobbes, S. 21 f. zwischen "Bürger (Citoyen)” und "Burger (Bourgeois, burgernsis, burgarius)”. Zu den Schwierigkeiten, die sich im deutschen Sprachraum mit dem Begriff citoyen verbanden, vgl. Manfred Riedel, Bürger, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. v. O. Brunner, W. Conze und R. Koselleck, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 672-725., S. 695 ff.; zu Feuerbach S. 701. und Michael Stolleis, Untertan - Bürger - Staatsbürger. Bemerkungen zur juristischen Terminologie im späten 18 Jahrhundert, in: Bürger und Bürgerlichkeit, hrsg. v. Rudolf Vierhaus, Heidelberg, 1981, S. 65-99, bes. 73 ff.

62 Gemeint sind die "tierischen Triebe” der niederen Volksklassen, die fortwährende aggressive Einstellung gegenüber dem Nächsten, die nur durch Zwang ins soziale Verhalten überführt werden könne. Vgl. etwa die Vorstellung von der tief verwurzelten Asozialität des Menschen bei Carl Gottlieb Svarez, Vorträge, S. 64. Svarez war bekanntlich, zusammen mit E. F. Klein und Christoph Goßler, Redaktor auch des strafrechtlichen Teils des ALR.

63Paul Johann Anselm Feuerbach, Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen. Mit einer Einleitung v. Carl Joseph Anton Mittermaier, ND der 3. Aufl. Frankfurt a. Main 1848, Aalen 1970, S. IV f. (= Vorrede zur 2. Aufl., 1827).

64Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, 5. Aufl. München 1991, S. 500; Manfred Hettling und Stefan-Ludwig Hoffmann, Der bürgerliche Wertehimmel, passim; Wolfgang Kaschuba, Deutsche Bürgerlichkeit nach 1800. Kultur als symbolische Praxis, in: Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, hrsg. v. Jürgen Kocka, Bd. II, Göttingen 1995, S. 92-127; Jürgen Kocka, Das europäische Muster, S. 9-75.

65 Vgl. zum Problemfeld Anm. 15 (Habermas und Sennet). Zu dem neuen Begriff der Öffentlichkeit und der Rolle von Freiheit und Individualität für die Lebensführung, wie sie sich aus dem Wandlungsprozeß der studentischen Verbindungen um 1800 entwickelten, vgl. Wolfgang Hardtwig, Zivilisierung und Politisierung, in: ders., Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland 1500-1914, Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1994, S. 79-107, S. 83; ders. Protestformen und Organisationsstrukturen der deutschen Burschenschaft 1815-1833, in: Demokratische und soziale Protestbewegungen in Mitteleuropa 1815-1848/49, hrsg. v. Helmut Reinalter, Frankfurt a. Main 1986, S. 37-76, bes. S. 42 ff.

66 Die zwei maßgeblichen Modelle dafür stellen Hegel und die Romantik.Zu den Implikationen der romantischen Ordnungsvorstellungen bzgl. der Trennung von Staat und Gesellschaft vgl. Dieter Giesen, Die Intellektuellen und die Nation. Eine deutsche Achsenzeit, Frankfurt am Main 1993. Die hier vorgenommene Kategorisierung von "öffentlich” und "privat” schlägt freilich fehl, wenn man sie nicht als individuelle Handlungsräume versteht, sondern mit ökonomischen Begriffsfeldern wie Haus - Arbeit, Gesellschaft - Staat gleichsetzt. Dann wäre eine Trennung dieser Felder tatsächlich nicht mehr diskutierbar.

67 Vgl. ALR, § 2, Teil I, Titel 1: "Die bürgerliche Gesellschaft besteht aus mehreren kleineren, durch Natur oder Gesetz, oder beide zugleich verbundenen Gesellschaften und Ständen”. Dazu Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 3. Aufl., München 1981, S. 52 ff. In diesem Sinn dann natürlich auch Carl Gottlieb Svarez, Vorträge, S. 67 (Punkt 12.5). Zu Mittermaier und Welcker die folgende Darstellung unter II.3.

68 Vgl. diese Gegenüberstellung von Verbürgerlichung der Herrschaft und Aristokratisierung des Bürgers bei Utz Haltern, Zur politischen Metaphorik des Bürgertums, in: AfK 82 (2000), S. 121-155.

69 Die Rechtseinheit als primäre Bedingung der Rechtsentwicklung seit Mitte des 18. Jh. etwa bei Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, S. 326 ff.

70 1707 etwa läßt das Nürnberger Kriegsamt die vom benachbarten markgräflichen Amt aufgestellten Anschlagsäulen für Bettelmandate abschlagen und durch eigene, gleichen Inhaltes ersetzen; Ernst Schubert, Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jh., 2. Aufl., Neustadt / Aisch 1990, S. 285. Die neuere Forschung zusammenfassend: Jürgen Schlumbohm, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden - ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates?, in: GG 23 (1997), S. 647-663. Interessant in diesem Zusammenhang ist der patrimoniale Charakter der Strafjustiz, den Erich Fromm in seiner Analyse des Verbrechens hervorhebt: "Die Strafjustiz ist gleichsam der Stock an der Wand, der auch dem braven Kinde zeigt, daß der Vater ein Vater und das Kind ein Kind ist" (Erich Fromm, Zur Psychologie des Verbrechers und der strafenden Gesellschaft (1931), in: ders. Analytische Sozialpsychologie und Gesellschaftstheorie, Frankfurt a. Main 1970, S. 115-144, S. 139).

71 Vgl. dazu die Literatur zur Policey: Peter Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre. Die Entwicklung des Polizeibegriffs durch die Rechts- und Staatswissenschaften des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1983; Reiner Schulze, Policey und Gesetzgebungen im 18 Jh., Berlin 1982; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I + II, München 1988 u.1992.

72 Auch das ALR trägt noch diesen Charakterzug: Andreas Schwennicke, Die allgemeinen Strafrechtslehren im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 und ihre Entwicklung in der Rechtsprechung bis zum preußischen Strafgesetzbuch von 1851, in: 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten, hrsg. v. Barbara Dölemeyer und Heinz Mohnhaupt, Frankfurt a. Main 1995, S. 93 ff. Gerade die mangelnde Eignung der Gesetze führte zur Entwicklung der poena extraordinaria, vgl. Eberhard Schmidt, Einführung, § 155. Für die dogmatische Umgehung ungeeigneter Strafen und Tatbestände durch dogmatische Finessen ist der Kindsmord das Paradebeispiel, vgl. Wilhelm Wächtershäuser, Das Verbrechen des Kindsmordes im Zeitalter der Aufklärung. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung der dogmatischen und rechtssoziologischen Aspekte, Berlin 1973; Otto Ulbricht, Kindsmord und Aufklärung in Deutschland (Ancien régime, Aufklärung und Revolution; Bd. 18), München 1990.

73Thomas Laqueur, Crowds, Carnival and the State in English Executions, 1604-1868, in: A. L. Beier u. a. (Hrsg.), The first modern Society. Essays in English History in Honour of Lawrence Stone, Cambridge 1989, S. 305-355. Mit zu starker Gewichtung der herrschaftlichen Selbstdarstellung und des abschreckenden Zweckes der Strafen Richard van Dülmen, Theater des Schreckens, Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München 1985. 2. Aufl., München 1988. Dülmen vernachlässigt die interaktive Funktion des vorbürgerlichen Theaters. Vgl. dazu Richard Sennet (wie Anm. 14).

74Bruce Lenman, Geoffrey Parker, The State, the Community and the Criminal Law in Early Modern Europe, in: Crime and the Law. The social history of Crime in Western Europe since 1500, hrsg. v. V. A. C. Gatrell, B. Lenman u. G. Parker, London 1980, S. 11-48; Gerd Schwerhoff, Devianz in der alteuropäischen Gesellschaft. Umrisse einer historischen Kriminalitätsforschung, in: ZHF 19 (1992), S. 385-414, S. 391.

75Hans Ulrich Wehler, DG (wie Anm. 73), S. 233-240. Dieser Vorgang ist besonders anhand des Wandels des Policey-Begriffs gut nachvollziehbar; Franz-Ludwig Knemeyer, Art. Polizei, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hrsg. v. O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck, Bd. 5 (1984), S. 875-897. Für das 19. Jh. und die neuere Literatur diskutierend Ralph Jessen, Polizei im Industrierevier (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 91), Göttingen, 1991; Ulrich Scheuner, Die Staatszwecke und die Entwicklung der Verwaltung im deutschen Staat des 18. Jahrhunderts. in: Beiträge zur Rechtsgeschichte. Gedächtnisschrift f. Hermann Conrad, hrsg. v. G. Kleinheyer u. P. Mikat, Paderborn u.ö. 1979, S. 467-489.

76Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, S. 326.

77Renate Blickle, Agrarische Konflikte und Eigentumsordnung in Altbayern 1400-1800, in: Aufstände, Revolten, Prozesse. Beiträge zu bäuerlichen Widerstandsbewegungen im frühneuzeitlichen Europa, hrsg. v. Winfried Schulze, Stuttgart 1983, S. 166-187; Jürgen Kocka und Ralph Jessen, Die abnehmende Gewaltsamkeit sozialer Proteste vom 18. zum 20. Jahrhundert, in: P.-A. Albrecht und O. Backes (Hrsg.), Verdeckte Gewalt, Frankfurt 1990, S. 33-56.

78 Zur Verrechtlichung sozialer Konflikte vgl. Werner Trossbach, Soziale Bewegung und politische Erfahrung. Bäuerlicher Protest in hessischen Territorien 1648-1806, Weingarten 1987; ders. Bauern 1648-806, (Enzyklopädie Deutscher Geschichte Band 19), München 1993; Peter Blickle, Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300-1800 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte Band 1), München 1988, insbes. S. 78 ff.; Winfried Schulze, Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft in der frühen Neuzeit, Stuttgart 1980; Ralf-Peter Fuchs, Um die Ehre. Westfälische Beleidigungsprozesse vor dem Reichskammergericht (1525-1805), Paderborn 1999. E.P. Thompson hat den Blick geschärft für die analytische Reflexion des Rechtsbewußtsein innerhalb der Handlungsökonomien, vgl. The Moral Economy of the English Working Class, in: Past and Present 50 (1971) S. 76-136, wiederabgedruckt in: ders. Customs in Common, London 1991, S. 185-258. Dort S. 259-351 seine spätere Stellungnahme zu dem Konzept. S. aber auch die Kritik bei John Bohstedt, Moralische Ökonomie und historischer Kontext, in: Manfred Gailus / Heinrich Volkmann (Hrsg.), Der Kampf um das tägliche Brot. Nahrungsmangel, Versorgungspolitik und Protest 1770-1990, Opladen 1994, S. 27-51, und Manfred Gailus / Thomas Lindenberger, Zwanzig Jahre "moralische Ökonomie”. Ein sozialhistorisches Konzept ist volljährig geworden, in: GG 20 (1994), S.469-477, sowie die Kritik bei Kocka, Weder Stand noch Klasse, S. 33 ff., Anm. 26.

79Andreas Würgler, Das Modernisierungspotential von Unruhen im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Entstehung der politischen Öffentlichkeit in Deutschland und der Schweiz, in: GG 21 (1995), S. 195-217; ders., Unruhen und Öffentlichkeit. Städtische und ländliche Protestbewegungen im 18. Jahrhundert, Tübingen 1995. Zu den Gemeinden Robert v. Friedeburg, Ländliche Gesellschaft und Obrigkeit (Krit. Studien zur Geschichtswissenschaft 117), Göttingen 1997.

80Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 406 ff.

81 S. den Vergleich der Reformen bei Paul Nolte, Staatsbildung als Gesellschaftsreform. Politische Reformen in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800-1820, Frankfurt 1990, sowie Wehler, DG, Bd. 1, S. 362-472.

82Walter Demel, Die bayerische Gesetzgebungspolitik in der Ära Montgelas und die Entstehung des Entwurfs von 1811, in: Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern von 1811. Revidierter Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, eingel. und hrsg. v. Walter Demel und Werner Schubert, Ebelsbach 1986, S. XLIII-LVI., S. XLV, LII.

83 So wird die Abschaffung der Folter u.a. als Reaktion auf eine sich als untauglich erwiesene Praxis gesehen. Vgl. Schwerhoff, Aufgeklärter Traditionalismus - Christian Thomasius zu Hexenprozeß und Folter, in: SZ Germ 104 (1987), S. 247-260. So auch in England, Edward Peters, Torture, New York 1985.

84Radbruch, Feuerbach, S. 44 ff., S. 45.

85 Vgl. Werner Schubert, Der Entwurf von 1811 und die Tradition des bayerischen Landrechts, in: Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern von 1811. Revidierter Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, eingel. und hrsg. v. Walter Demel und Werner Schubert, Ebelsbach 1986, S. LVII-LXXXIX, S. LXVII

86 Vgl. Nolte, Staatsbildung, der dies als entscheidenden Unterschied zwischen Preußen und Bayern feststellt, mit dem Ergebnis, daß aber gerade die Orientierung in Bayern einer Verfassung auf den Weg half.

87 Irreführend ist schon die Einführung der Analysekategorie "Reformpartei” etwa bei Eisenhard, Deutsche Rechtsgeschichte, 3. Aufl., München 1999, S. 422.

88 Bezeichnend ist etwa die allgemein starke Skepsis gegenüber dem Anwaltsstand in Deutschland, die sich auf die Funktion der Vertretung von Individualinteressen bezog. Ihnen war eine politische Mitwirkung selbst auf kommunaler Ebene verwehrt. Vgl. Hannes Siegrist, Die Rechtsanwälte und das Bürgertum. Deutschland, die Schweiz und Italien im 19. Jahrhundert, in: Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 2: Wirtschaftsbürger und Bildungsbürger, hrsg. v. Jürgen Kocka, Göttingen 1995, S. 168-199, 173 ff. - Auf "Das Bildungsbürgertum als ständische Vergesellschaftung” verweist M. Rainer Lepsius, in: Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Teil III: Lebensführung und ständische Vergesellschaftung, hrsg. v. M. Rainer Lepsius, Stuttgart 1992, S. 8-18. Zur Nationalisierung über Turner, Burschenschaftler und Sänger vgl. Wehler, DG., Zweiter Band 1815-1845/49, 2. Aufl., München 1989, S. 394 ff.

89 Vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführungen Paul Nolte, Bürgerideal, Gemeinde und Republik. "Klassischer Republikanismus” im frühen Deutschen Liberalismus, in: HZ 254 (1992), S. 609-656.

90 "Die Philosophen können wohl von Staaten träumen …” (A. F. J. Thibaut, Beyträge zur Critik der Feuerbachschen Theorie über die Grundbegriffe des peinlichen Rechts, Hamburg 1802, S. 101).

91 Ebd., S. 24 f.

92 Von Hodenberg, Partei der Unparteiischen, S. 189.

93Thibaut, S. 104.

94 Vgl. zum Verhältnis Mittermaiers zu Feuerbach: Siegfried W. Neh, Die posthumen Auflagen von Feuerbachs Lehrbuch, wie Anm. 46.

95Anton Mittermaier, Art. Feuerbach, in: Staatswörterbuch, S. 508f. Ähnlich schon in seiner früheren Kritik: Über die Grundfehler der Behandlung des Kriminalrechts in Lehr- und Strafgesetzbüchern, (1819), abgedruckt in: Klaus Lüderssen (Hrsg.), Feuerbach, Johann Paul Anton und Anton Mittermaier, Theorie der Erfahrung in der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, Zwei methodische Schriften,1968.

96Wolfgang Naucke, Von Feuerbach zu Mittermaier. Ein Fortschritt in der Strafrechtswissenschaft? in: Carl Joseph Anton Mittermaier. Symposium 1987, hrsg. v. W. Küper, Heidelberg 1988, S. 91-108, S. 105.

97 Feuerbach war seit Juli 1801 Beisitzer am Schöppenstuhl zu Jena und nach seiner legislativen Tätigkeit seit 1814 zweiter Präsident am Appellationsgericht in Bamberg (was er als schwere Kränkung empfand) und seit 1817 Präsident des Appellationsgerichtes in Ansbach (Retzatkreis).

98Anton Mittermaier, Einleitung in: Paul Johann Anselm v. Feuerbach, Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen, ND der 3. Aufl. Frankfurt a. Main 1848, Aalen 1970, S. 19.

99 Mittermaiers Affinität zur politischen Romantik ist schon früh evident: Carl Joseph Anton Mittermaier, Über die Prinzipien des sogenannten Naturrechts (1807), in: Carl Joseph Anton Mittermaier. Symposium 1987, hrsg. v. W. Küper, Heidelberg 1988, S. 167-243, bes. 191-215. Dazu Manfred Maiwald, Zu Mittermaiers Manuskript, ebd., S. 263-269.

100Mittermaier, Theorie der Erfahrung, s. 119 ff., 151ff.

101 Darauf hatte schon Radbruch, Feuerbach, S. 40, mit der Bemerkung hingewiesen, daß hier der Gegensatz Savigny - Feuerbach vorweggenommen war.

102Savigny, Vom Beruf, S. 29. Ein Beispiel für das Kantische Verständnis von Begriffen durch Feuerbach sind die ersten Seiten der Revision: Begriffe sind Erklärungsmodelle a.) der Wissenschaft oder b.) des allgemeinen Sprachgebrauches.

103 Vgl. dazu Max Weber, Roscher und Knies, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. v. Johannes Winckelmann, 5. Aufl., Tübingen 1982,, S. 1-145, S. 9 ff.: "Savigny und seiner Schule kam es in ihrem Kampfe gegen den gesetzlichen Rationalismus der Aufklärungszeit auf den Nachweis des prinzipiell irrationalen, aus allgemeinen Maximen nicht deduzierbaren Charakters des in einer Volksgemeinschaft entstandenen und geltenden Rechts an.” Dasselbe gilt für die Ordnungsgedanken von Schlegel, Tieck, Wackenroder oder der Gebr. Grimm. Vgl. dazu die einschlägige Sammlung von Paul Kluckhohn, Die Idee des Volkes im Schrifttum. Von Möser und Herder bis Grimm, 1931.

104 Abgedruckt in: Paul Anselm Johann Feuerbach, Friedrich Carl v. Savigny, Zwölf Stücke aus dem Briefwechsel: omnia quae exstant. Hrsg., eingel. u. kommentiert v. Herbert Kadel, Lauterbach 1990, S. 35. und bei Horst Heinrich Jakobs, Paul Johann Anselm Feuerbachs Ansichten über Gesetzgebung und Deutschland überhaupt in sieben Briefen Feuerbachs an Savigny, SZ Rom. 108 (1991), S. 351-366, S. 357. Beide wollen aufgrund der Briefe Feuerbachs an Savigny (umgekehrt sind keine erhalten) das seit Radbruch herrschende Bild der wissenschaftlichen wie charakterlichen Gegensätzlichkeit revidieren. Besonders Kadel verwechselt hier gegenseitige Achtung mit wissenschaftlicher und philosophischer Übereinstimmung oder zumindest Nähe. Beide verkennen aufgrund ihrer juristischen Fixierung auf die Gesetzgebungsdebatte die grundsätzlichen rechtsphilosophischen Unterschiede zwischen der historischen Rechtsschule und Feuerbach, die sich nicht zuletzt darin äußert, daß jene dem Strafrecht so gut wie keine Bedeutung beimaß. Zur Gesetzgebungsfrage hatte sich Feuerbach, abgesehen von seinem praktischen Wirken, auch theoretisch eindeutig geäußert: Vgl. Blick auf die teutsche Rechtswissenschaft, in: Kleine Schriften vermischten Inhalts. ND d. Ausgabe Nürnberg 1833, Osnabrück 1966, S. 152-177.

105Carl Theodor Welcker, Strafrecht, Strafrechtstheorie, Strafpolitik, in: Staatslexikon, oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, hrsg. v. Carl von Rotteck und Carl Welcker, Bd. 15, Altona 1843, S. 226-274 (i. f. zitiert als "Strafrecht”). Der Artikel ist in weiten Teilen eine Rechtfertigung und Vorstellung des Badischen Entwurfs zu einem StGB, das 1845 erlassen wurde.

106Welcker, Strafrecht, S. 227f.

107 Vgl. zum Begriff Bürgertum als moralischer Kategorie Nolte, Bürgerideal, S. 628.

108Welcker, Strafrecht, passim, bes. 242-256; ders., Die letzten Gründe von Recht, Staat und Strafe, Philosophisch und nach den Gesetzen der merkwürdigsten Völker rechtshistorisch entwickelt, Giessen 1813, ND Aalen 1964., S. 249 ff. Vgl. auch zusammenfassend Hepp, S. 111.

109Welcker, Strafrecht, S. 251 f. u. 257 f.

110 Zur Kodifikationsbewegung vgl. Rainer Schröder, Die Strafgesetzgebung in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Die Bedeutung der Wörter. Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Festschrift für Sten Gagnér zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Michael Stolleis u. a., München 1991, S. 403-420.

111 Vgl. hierfür die Quellensammlung: Kodifikation Strafrechtsgeschichte, hrsg. v. Werner Schubert, Jürgen Regge, Werner Schmidt und Rainer Schröder, Frankfurt am Main 1988 ff.

112Werner Schubert, Der Entwurf von 1811, a. a. O., S. LVIII, mit weiteren Nachweisen.

Aufsatz vom 1. Dezember 2000
© 2000 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
1. Dezember 2000