Artikel vom 12.März, 2002
© 2002 fhi
Erstveröffentlichung

Adelheid Krah:

Chancen einer Gleichstellung im Frühmittelalter?

Sozialgeschichtliche Implikationen normativer Texte aus dem langobardischen Italien und aus dem bayerischen Rechtsbereich

 

Herrn Professor Hermann Nehlsen zum 15.8.2001 gewidmet.


1. Zum Problem der Spezialregelung sozialer Strukturen im Recht
2. Die Munt - eine frühe Wurzel zur Beschränkung der weiblichen Geschäftsfähigkeit?
3. Die Tendenz zur Besserstellung der Frau im langobardischen Recht
4. Zum Verfügungsrecht der Frau über Besitz im frühmittelalterlichen Bayern
5. Resümee
Chancen für eine Gleichstellung der Frauen im Frühmittelalter - gab es die? - Sicherlich darf an dieser Stelle nicht nach Gleichstellung im Sinne der modernen Diktion unserer Tage gefragt werden. Schließlich gab es im Mittelalter andere Rechtssysteme und Gesellschaftsstrukturen und es sollte noch lange dauern, bis für alle Menschen eines europäischen Staatswesens ein einheitliches Recht Geltung hatte. In jenen früheren Jahrhunderten hingegen, die bekanntlich unter dem Begriff Mittelalter eine Art Zwischenstufe der Ethnogenese in Mitteleuropa bilden, waren Familien- und Standeszugehörigkeit entscheidend für die Rechte der Person. Die Entwicklung des Individuums stand noch bevor, ebenso die Wertschätzung der Individualität und deren Anerkennung durch die Gesellschaft. Konnte es daher, vorsichtiger gefragt, eine Tendenz zur Besserstellung von Frauen überhaupt geben und wenn ja, warum? War nicht durch das Regulativ der Munt, der Vormundschaft der Männer innerhalb der Familien, durch ihre Funktion als Rechtsvertreter für unmündige Frauen und Töchter, der gesellschaftliche Rahmen vorgegeben, der in jedem Fall Gleichstellung verhinderte? 1
Es ist kein Novum, dass das Bild der Frau im Mittelalter nicht der strengen Begrifflichkeit entspricht, die im 19. und 20. Jahrhundert als vermeintlich zutreffend formuliert wurde, um ein Rollenbild der Frau zu kreieren und durch die Historie der germanischen Frühzeit und der folgenden Jahrhunderte zu untermauern. Die Frauenforschung der letzten Jahrzehnte hat in vielen Detailstudien gezeigt, dass dem nicht so war. Allerdings setzen die wichtigen Ergebnisse für das Mittelalter meist am Ende des Hochmittelalters an und konzentrieren sich auf das Spätmittelalter, somit eine Zeit, in der das Interesse am Individuum bereits artikuliert wird bei gleichzeitiger Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen. Das Frühmittelalter hingegen wurde weniger als Untersuchungszeitraum gewählt, obgleich diese Zeit bekanntlich für die Formierung der Gesellschafts- und Rechtsstruktur grundlegend ist und deshalb auch vor kurzem als „Achsenzeit“ der europäischen Mentalitätsgeschichte bezeichnet wurde.1 2
Daher soll hier die Frage diskutiert werden, ob und in welcher Form im Frühmittelalter Gleichstellung trotz Geschlechtsvormundschaft ein Thema war, das mit auswertbarem Befund in den Quellen überliefert ist. Aus dem umfangreichen Material, das für eine solche Fragestellung immerhin zur Verfügung steht, sollen hier Texte untersucht werden, die Aussagen über die soziale und rechtliche Struktur in zwei damals kohärenten Siedlungsräumen ermöglichen, nämlich für Oberitalien und Bayern. Für die Ergebnisfindung im italienischen Raum dient die langobardische Gesetzgebung des 7.-9. Jahrhunderts als Quellengrundlage, für Bayern das Freisinger Urkundenmaterial aus dem 8. und 9. Jahrhundert. Beide Untersuchungsfelder sind so gewählt, dass die gleiche Fragestellung aus unterschiedlicher Perspektive analysiert werden kann: einmal interessieren die Gesetze und deren Novellierung, das andere Mal die Rechtswirklichkeit, welche die Aussagen der Privaturkunden deutlich reflektieren. 3

1. Zum Problem der Spezialregelung sozialer Strukturen im Recht

Bekanntlich wurden die Rechte der Menschen einer Gesellschaft immer deshalb durch normierte Regelungen erfasst, um die Stabilität bestehender gesellschaftlicher Strukturen zu bewahren und Konflikte zu vermeiden. Dieser an sich konservative Charakter von Rechtssystemen wirkt grundsätzlich zunächst Neuerungen entgegen; er hemmt die Rechtsentwicklung. Dies gilt wohl insbesondere für Rechtsnormen, die als Regulative gesellschaftlicher Strukturen zu verstehen sind. Soziale Veränderungen erfahren erst dann eine sich in den Rechtsnormen niederschlagende Akzeptanz, wenn sie bereits über einen längeren Zeitraum existieren und gesellschaftlich so etabliert sind, dass tradierte Rechtsnormen die Rechtswirklichkeit nicht mehr zu erfassen vermögen. 4
Diese Wechselwirkung zwischen progressivem Wandel gesellschaftlicher Strukturen und einer eher retardierenden Tendenz zur Veränderung rechtlicher Regelungen des sozialen Lebens ist wohl verantwortlich für die wahrnehmbare zeitliche Diskrepanz gleichartiger historischer Phänomene während den einzelnen Phasen eines bestimmten Zeitraumes. Hieraus resultiert das Streben nach Reform, nach Veränderung, nach Verbesserung. 5
Doch bleibt zu fragen, ob dieses, uns bekannte Phänomen für weit zurückliegende Epochen mit gleicher Schärfe registriert werden kann, oder ob wir uns bei einem Blick auf die vergangenen Jahrhunderte nicht nur an dem orientieren, was von einer tradierten Begrifflichkeit aus der Retrospektive und dem Blick auf die eigene Gegenwart des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erfasst wurde, und damit lediglich eine mit Begriffen dieser Epoche umschriebene „Realität“ in das Raster unseres Ordnungsschemas für vergangene Zeiten, das unser Geschichtsbild darstellt, an der Position des gewählten Untersuchungszeitraumes einfügen? 6
Dies würde aber bedeuten, dass gesellschaftliche Strukturen ausschließlich nach strengen Ordnungsschemata zu begreifen wären, die es wohl tatsächlich gab, und dass sich das gesellschaftliche Leben ausschließlich in der Übernahme und Erfüllung sozialer Rollen abspielte – die menschliche Freizügigkeit und die Phasen des gesellschaftlichen Wandels blieben unberücksichtigt. 7
Jede begriffliche Einordnung sozialer Phänomene führt daher zunächst – gewollt oder ungewollt - zu einer Pauschalisierung ähnlich strukturierter gesellschaftlicher Phänomene. Diese Methode begünstigt das Rollendenken; und dies geschieht auch bei Betrachtung der historischen Entwicklung der sozialen Geschlechterdifferenz. Allerdings – positiv gedacht – gibt es ohne Rollendenken kein Rollenverständnis, welches freilich auch als emotionale Haltung für die Analyse von Einzelphänomenen und ihrer Eigenart hinderlich sein kann. Dessen muss man sich bewusst sein, auch wenn grundsätzlich davon auszugehen ist, dass mit dem Begriff der Geschlechtsvormundschaft die rechtliche Situation der Frauen als historisches Phänomen seit den Anfängen gesellschaftlicher Entwicklungsformen in Mitteleuropa zunächst zutreffend erfasst wird. 8
Die rechtliche Diskriminierung der Frau als eine Konsequenz aufgrund der Institutionalisierung der Munt im Frühmittelalter – eben besagter Geschlechtsvormundschaft – ist das hervorstechendste und durchgängige Kriterium, das die Handlungsfreiheit der Frau und die Entwicklung zur Selbständigkeit in ihren Auswirkungen verhinderte und bis in die Gegenwart hemmte. Wenn etwa – um ein Beispiel zu nennen – bei der Kodifikation des langobardischen Rechts durch König Rothar im Jahre 643 in dem berühmten Artikel 204 nach dem Gewohnheitsrecht konstatiert wird, keiner freien Frau im Reich sei es erlaubt, ohne einen Geschlechtsvormund zu leben und eigenständig ihre Rechtsgeschäfte zu führen, so heißt dies doch auch, dass die hier angesprochene und mit dem volkssprachlichen Wort „selbmundia“ vom lateinischen Gesetzestext abgehobene Bezeichnung für Mündigkeit auch für Frauen in jener Zeit offenbar bestehen konnte. Sie wurde nur deshalb verboten, weil das Verbot als notwendiges Regulativ eben erforderlich war, um die mit der Geschlechtsvormundschaft geregelten bestehenden Gesellschaftsstrukturen zu erhalten. Denn explizit wurde damals mit der Rechtsnorm folgender soziale Sonderfall geregelt: Wenn für eine Frau kein Rechtsvormund in ihrer Familie mehr vorhanden ist, dann übernimmt der Königshof die für sie notwendige Schutzfunktion.2 9
Demnach war die Geschlechtsvormundschaft zunächst durch die Ehemänner und andere männliche Angehörige innerhalb der Sippenverbände institutionalisiert, zugleich jedoch als „staatliches“ Regulativ funktionalisiert, vielleicht um eine Unterwanderung etwa durch allein stehende Frauen und besonders durch Witwen zu verhindern. Es gehörte zu den Aufgaben des Königshofes, die Rechte der Frauen zu schützen. Dies galt besonders für den Sonderstatus der Witwen im Trauerjahr und über diese Zeit hinaus.3 10

2. Die Munt - eine frühe Wurzel zur Beschränkung der weiblichen Geschäftsfähigkeit?

In seinem beachtenswerten, grundlegenden historischen Überblick zum Thema „Geschlechtsvormundschaft von der Antike bis ins 19. Jahrhundert“ setzte Ernst Holthöfer den Schwerpunkt seiner Untersuchungen auf die neuzeitliche Entwicklung. Er stellte den Verzicht auf die geschlechtsspezifische Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896 heraus, womit „ein wichtiger Schritt zur Gleichberechtigung der Frau im Privatrecht getan“ worden sei.4 Wenn er weiter ausführt, dass im Anschluss an das Grundgesetz und an das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. 6. 1957 in der Gesetzgebung wie in der Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichtes die Diskriminierung der Frau bei der ehelichen Vermögensverwaltung beseitigt wurde, so schließt dieser Fortschritt der historischen Entwicklung der jüngsten Vergangenheit nicht aus, dass es bereits in früheren Epochen Bestrebungen gab, die Geschlechtsvormundschaft im Erbrecht, im Eherecht und hinsichtlich der Verwaltung des in die Ehe eingebrachten Vermögens der Frau zu reduzieren oder gar zu beseitigen. Hinzuweisen ist beispielsweise auf Novelle 118 des justinianischen Rechtes, mit welcher einschlägig festgesetzt wurde, weibliche und männliche Erben seien gleichermaßen erbberechtigt mit allen nach dem römischen Recht hieraus resultierenden Konsequenzen für die Vermögensverwaltung.5 11
Das die Gesellschaftsstruktur und die rechtliche Situation der Frau im Mittelalter prägende Rechtsinstitut der Munt – die überwiegend als Geschlechtsvormundschaft definiert wurde – hat seinen Ursprung in den archaischen Strukturen der germanischen Gesellschaftsordnung, die während der Völkerwanderungszeit entstanden. Ihnen liegt die Vorstellung einer Kongruenz von Waffenfähigkeit und Rechtsfähigkeit zugrunde: Wer sich mit der Waffe verteidigen konnte, der konnte sich auch vor Gericht verteidigen und damit zugleich auf privatrechtlicher Ebene voll geschäftsfähig handeln, seine Sache sozusagen nach außen verteidigen - oder wie es Holthöfer für die Rechtsposition der Frau formuliert hat: „die Frau war also, weil nicht wehrfähig, auch nicht prozessfähig, und aus demselben Grunde erschien auch eine privatrechtliche Handlungsfähigkeit der Frau als nicht vorstellbar“.6 12
Als notwendiger Ausgleich dieser Diskriminierung aufgrund der geschlechterspezifischen Rollenverteilung bei der Verteidigung gegen äußere Feinde galt die Verpflichtung zum Schutz der nicht-waffenfähigen Mitglieder der Gesellschaft, insbesondere der Frauen, wobei der Schutzgedanke Inhalt der Munt ist und den Vormund zur Rechtsvertretung und Wahrung der Rechte der Frau im öffentlichen und privaten Leben verpflichtete.7 13
Das von Holthöfer erkannte Axiom der geschlechterspezifischen Verteilung von Funktionen und Rechten darf nicht als starre Größe verstanden werden, nicht als Rahmen für Handlungsnormen, die nicht durchbrochen worden wären. So wird etwa die Vermögensverwaltung des Frauengutes durch den Ehemann für das gesamte Mittelalter in der Literatur ausschließlich als Rechtsprinzip behandelt und viel zu wenig danach gefragt, ob, wo und wann oder unter welchen Voraussetzungen dieses Prinzip durchbrochen wurde oder gesellschaftlich nicht mehr relevant war. Das gleiche gilt für die Definition der Rechtsposition einer freien Frau. Ihr wird stereotyp bei allen Fallkonstellationen im System der Munt der vermeintlich richtige Platz zugewiesen. Dabei wird nicht gefragt, ob und inwieweit etwa die Schutzbedürftigkeit der nicht waffenfähigen Frauen in den Gesetzen artikuliert wurde und zwar – unabhängig von der Geschlechtsvormundschaft – im Sinne einer Individualschutzgesetzgebung für Frauen und damit als geschlechtsspezifische Ausformung von Rechtsnormen. 14
Diesen beiden Problemstellungen soll im Folgenden in einem sehr frühen Zeitraum nachgegangen werden. Zunächst werden anhand der kontinuierlich durch Novellierung aktualisierten Gesetzgebung des langobardischen Italiens vom 7. bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts die damals erlassenen, individuellen Schutzbestimmungen für Frauen untersucht. Dabei erscheint insbesondere die Fragestellung wichtig, ob nicht durch diese Schutzbestimmungen eine Art „Sonderrecht“ für Frauen entwickelt wurde. Könnte es etwa sein, dass im Sinne des „Fürsorgecharakters“ von Seiten der Gesetzgebung eine Gleichstellung durch eine Individualschutzgesetzgebung favorisiert wurde? 15
Im zweiten Teil soll dann zum Thema Vermögensverwaltung der Blick auf die Rechtswirklichkeit im bayerischen Raum während des 8. und 9. Jahrhunderts gelenkt werden. Methodisch soll damit zugleich auch komparatistisch vorgegangen werden, um die Untersuchung nicht nur auf einen Siedlungsraum zu beschränken. Ein positives Ergebnis könnte nämlich, basierte es nur auf dem langobardischen Quellenmaterial, allzu leicht zu dem Fehlschluß verleiten, dass eine Besserstellung der Frau im Frühmittelalter als eine nur dort mögliche Ausnahmeerscheinung zu bewerten sei. 16
Deshalb sollen zur Beantwortung der Frage nach der aktiven Beteiligung der Frauen an der Vermögensverwaltung im Frühmittelalter nicht die zahlreich überlieferten langobardischen Privaturkunden herangezogen werden, sondern der Blick auf das Material der Freisinger Traditionen gelenkt werden – das Kompendium der Schenkungen wohlhabender Menschen des bayerischen Siedlungsraumes an das Hochstift Freising, das der Schreiber Cozroh im 9. Jahrhundert anhand der vorhandenen Originale gefertigt hat. In diesen Urkunden sind ganz unterschiedliche Fallkonstellationen überliefert und nachvollziehbar, die Rückschlüsse auf die Herkunft von Frauengut zulassen und auch zeigen, dass damals Frauen ihr Vermögen durchaus eigenständig verwalten konnten und nicht - wie das Prinzip der Geschlechtsvormundschaft generell suggeriert - gezwungen waren, mit der Vermögensverwaltung den Ehemann oder einen männlichen Verwandten zu beauftragen. 17
Die Auswahl der Quellen erfolgt somit nach objektiven und subjektiven Kriterien: nach objektiven, aufgrund des besonderen Stellenwertes, der dem Frühmittelalter in der Gesellschafts- und Rechtsgeschichte zukommt, nach subjektiven, aufgrund der außerordentlich guten Quellenlage mit positiven Aussagen über die Stellung und die Geschäftsfähigkeit der Frau. Denn bereits in diesen frühen Quellentexten ist die Tendenz zur Gleichstellung der Frau zu erkennen, wenn diese auch nach unserem heutigen Verständnis nur eine modifizierte Form von Gleichstellung sein kann. Doch soll noch einmal betont sein, dass die Zeit der Rechtskodifikation im Anschluss an die Sesshaftwerdung von Stammesverbänden der Völkerwanderungszeit im europäischen Raum eine wichtige Etappe in der Entwicklung der mittelalterlichen Gesellschaft ist. Geht man nämlich von einer fortschreitenden Ethnogenese der Gesellschaft Europas seit der Spätantike aus, dann sind die Rechtstexte der Leges Barbarorum als Quellen der gesellschaftlichen Integration zu interpretieren. Sie überliefern die Strukturen des menschlichen Zusammenlebens dieser Zeit und auch den Wandel: die ältere Rechtsnorm zeigt die frühere Stufe, die Novellierung die Veränderung.8 Hierauf basiert die Entwicklung frühmittelalterlicher Rechtsvorstellungen, und dies gilt auch für die Rechte der Frauen. 18

3. Die Tendenz zur Besserstellung der Frau im langobardischen Recht

Im Folgenden soll zunächst gezeigt werden, dass die geschlechterspezifische Differenzierung eine Konstante der langobardischen Gesetzgebung war. Hiervon ausgehend ist dann zu überlegen, inwieweit ein normiertes geschlechtsspezifisches Individualrecht auf Gleichstellung bei grundsätzlich beibehaltener Rechtsdifferenz abzielte. 19
Einen ersten Einblick in die Problematik gibt das von König Rothar im Jahre 643 erlassene Edikt, in welchem fast vier Generationen nach der Einwanderung in Oberitalien ein bislang orales Volksrecht erstmals aufgezeichnet und vereinheitlicht wurde. Sehr modern mutet die Beteiligung der Richter an der Gesetzgebung an, auf welche ausdrücklich hingewiesen wird. Die Spruchpraxis war demnach neben den Rechtsnormen des Gewohnheitsrechtes die Basis der Gesetzgebung. Die Promulgation des nunmehr geltendes Rechtes soll damals vor versammeltem Heer erfolgt sein - eine Vorstellung, die bei der Länge des umfassend kodifizierten Rechtes kaum nachvollziehbar ist, es sei denn, man beschränkte sich auf das Inhaltsverzeichnis.9 So kann gesagt werden, dass in diesem Edikt der Status des menschlichen Zusammenlebens bis zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich erfasst wurde.10 Der später einsetzende gesellschaftliche Wandel bedurfte dann der Novellierung und der Modifizierung von Rechtsnormen. 20
Die auf Rothar folgenden langobardischen Fürsten, vor allem sein zweiter Nachfolger Liutprand, haben diese Tendenz der Rechtsentwicklung erkannt, auf Anfragen der Richter und Rechtskundigen am Hofe reagiert und das Recht durch in Jahressatzungen erlassene Rechtsnormen den sozialen Veränderungen angepasst. Die Novellierung hat daher den Charakter eines Fallrechts: sie spiegelt die gesellschaftlich relevanten Veränderungen und Prozesse. Die Gesetzgebung war damit effektiv, weil konstant aktualisiert, wodurch ein möglicher Rechtsformalismus sukzessiv abgebaut wurde, wie Gerhard Dilcher im Ergebnis feststellte.11 21
Zugleich zeigt sich eine Art Instanzenzug: Der Königshof fungierte als oberstes Regulativ für offene Rechtsfragen und gewährte grundsätzlich Schutz vor Rechtsminderung und Rechtsmissbrauch. Damit war auch das in einzelnen Normen angesprochene Petitionsrecht für Frauen, bei Rechtsmissbrauch des Vormundes am Königshof zu klagen, im System verankert:12 Eine Frau konnte jederzeit am Königshof klagen, wenn ihre wirtschaftliche Versorgung nicht mehr sichergestellt oder ihre Entscheidungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit durch rechtswidrige Übergriffe des Vormunds gefährdet waren. 22
Aus den zahlreichen Verordnungen des Edikts und den Novellen König Liutprands geht hervor, dass Grundbesitz zunächst nur Männern und deren legitimen männlichen Abkömmlingen vorbehalten war – offenbar in Weiterführung des archaischen Prinzips der Inbesitznahme des Siedlungsraumes. Damit waren aber gleichermaßen der Schutz und die wirtschaftliche Versorgung der Frauen an die Männergesellschaft delegiert worden. Das Edikt Rothars legt für den Erbfall nach dem Tod des Familienvaters detaillierte Regelungen fest: Erbberechtigt sind an erster Stelle die ehelichen Söhne, die zwei Drittel des Vermögens des Erblassers erhalten, natürliche Söhne – von denen der Gesetzgeber ausgeht – das letzte Drittel. Fehlen eheliche Söhne, ist die eheliche Tochter erbberechtigt, allerdings nur an einem Drittel des Vermögens und neben den natürlichen Söhnen sowie der übrigen Sippschaft des Erblassers, je zu einem Drittel. Mehrere eheliche Töchter erhalten – wenn eheliche Söhne nicht vorhanden sind – gemeinsam eine Hälfte des Vermögens, die natürlichen Söhne und die Sippe des Verstorbenen die andere Hälfte. 23
Bei einer solchen Fallkonstellation muss die Munt, also der Schutz der Rechtsstellung der Frau, für die ehelichen, unverheirateten Töchter aufgeteilt werden und zwar wegen des Standesunterschiedes, der zwischen ehelich und unehelich gezeugten Kindern bestand: Ein Drittel des Schutzes können die nichtehelichen Söhne übernehmen, zwei Drittel die männlichen Sippenverwandten, oder – wenn diese fehlen – der Königshof.13 Diese Regelungen betrafen nur ledige, noch dem Hausstand des Erblassers angehörende Töchter, deren standesgemäße Verheiratung der Gesetzgeber mitbedachte: Demzufolge konnten natürliche Söhne eine Eheschließung nicht in die Wege leiten – weil sie keine standesgemäßen Rechtsvertreter waren –, sondern es erforderte die Beteiligung ehelich gezeugter Verwandter oder des Königshofes. Gleiches galt auch für den Fall des Klostereintritts von ehelichen Töchtern. - Nicht erbberechtigt und daher im Erbrecht des Ediktes nicht erwähnt sind die Ehefrauen und die verheirateten ehelichen Töchter beim Tod des Vaters. Ihr vermögensrechtlicher Status galt mit dem „Vorab“ auf das Erbe bei ihrer Heirat, durch die Mitgift und die „dos“, offenbar als hinreichend abgesichert. 24
Das zentrale Thema des Standeswechsels der Frau bei Verlöbnis, Heirat, Witwenschaft, Wiederverheiratung oder einem Klostereintritt war die Sicherstellung ihrer wirtschaftlichen Versorgung durch die Sippe, konkret durch den Vater, Bruder oder nächsten männlichen Verwandten. In Rothars Edikt kommt diese Zuwendung einer Abschichtung gleich, somit einer Zuwendung eines Teils des elterlichen Gesamtvermögens vor dem Erbfall, die den Ausschluss aus der zukünftigen Erbengemeinschaft als natürliche Folge hat. Die dem Erbrecht hier übergeordnete Rechtsnorm aus dem Eherecht ist in Artikel 181 so formuliert: „Verheiratet ein Vater seine Tochter oder ein Bruder seine legitime Schwester, so soll sie mit so viel Vater- oder Muttergut zufrieden sein, wie ihr am Tage der Hochzeit gegeben wurde. Mehr soll sie nicht fordern – ´amplius non requirat`“.14 25
Die Abschichtung der Tochter bei der Heirat mag nach heutigem Verständnis primär negativ erscheinen, da sie die Benachteiligung der Tochter hinsichtlich ihrer Erbfähigkeit impliziert. Nach damaligem Verständnis ist diese Form der Ausstattung der Braut mit Besitz durch ihre Familie Ausdruck familiärer Fürsorge, denn man wollte die junge Frau bei ihrer Heirat nicht in eine ungewisse wirtschaftliche Zukunft entlassen. Hier wird eine Quelle des Frauengutes erkennbar, die andere fließt aus den Zuwendungen des Ehemannes bei Verlöbnis, der Heirat und aus den Schenkungen an die Frau während der Ehe.15 26
Auffällig ist, dass König Liutprand sofort nach seinem Regierungsantritt das Erbrecht zugunsten der unverheirateten ehelichen Töchter verbessert hat - und zwar zunächst für den Fall, dass keine ehelichen Söhne erben: Jetzt wird die übrige Sippschaft des Erblassers - auch seine, dem Hausstand angehörenden Schwestern - von der Erbengemeinschaft ausgeschlossen. Dafür sollen seine Töchter, die unverheiratet oder verwitwet sind und in seinem Hause wohnen, zu gleichen Teilen erben, wie sonst die Söhne – „omnes aequaliter in eius substantia heredis succedant, tamquam filii masculini“.16 Die ehelich gezeugten Töchter des Verstorbenen bleiben damit zwar nach wie vor ihren Brüdern in der Erbfolge nachgeordnet, doch ist ihre Erbfähigkeit aufgrund ihrer Stellung innerhalb des Sippenverbandes deutlich aufgewertet. 27
Die Nähe zum römischen Recht ist hier frappierend: Alle ehelichen Abkömmlinge – ob männlich oder weiblich - sind nach dem Gesetz Liutprands gleichermaßen erbfähig, allerdings mit der Einschränkung, dass sie nicht nebeneinander und damit gleichzeitig zu gleichen Teilen erben können, sondern nacheinander, indem die eheliche Tochter an die Stelle des ehelichen Sohnes tritt. Hingegen wurde von Kaiser Justinian in Novelle 118,4 zum Erbrecht festgesetzt, dass Erbregelungen generell nicht nach Geschlechterdifferenz erfolgen sollten: „Nullam vero esse volumus differentiam in quacumque successione aut hereditate inter eos qui ad hereditatem vocantur masculos ac feminas, quos ad hereditatem communiter definimus vocari.“17 Damit regelt das römische Recht für jeden Erbfall die gleichberechtigte Erbfähigkeit weiblicher und männlicher Erben, natürlich entsprechend des Verwandtschaftsgrades, wie dann im Folgenden in der Novelle noch detailliert erläutert wird. 28
Die Ausrichtung des gesamten langobardischen Rechtssystems nach der Geschlechterdifferenz dürfte die Novellierung einer ähnlichen Gleichstellung der Frauen im Erbrecht verhindert haben. Dem Individualrecht der Männergesellschaft entsprach grundsätzlich ein Individualrecht der Frauen, das rein quantitativ in den Rechtsnormen allerdings erheblich hinter dem Individualrecht der Männer zurückbleibt. So betrifft die ausführliche „Gliedertaxe“ zur Buße von Körperverletzungen in Form von geldwerten Genugtuungsleistungen nahezu ausschließlich Körperverletzungen an Männern – einzige Ausnahme ist die Tötung des Kindes im Mutterleib. Denn die geschlechtsspezifische Rollenteilung schloß die Beteiligung der Frauen an bewaffneten Auseinandersetzungen auch bei Sippenfehden aus.18 29
Ergreifen sie dennoch die Waffen - von ihren Männern dazu deshalb angestiftet, um mit diesem „Kunstgriff“ Genugtuungsleistungen zu umgehen –, so greift hier zunächst nach Liutprand 141 nicht das Bußensystem sondern das Strafrecht: für einen derartigen Rollen- und Standeswechsel sind entehrende Strafen angesetzt, wie das Scheren der Haare und das öffentliche Auspeitschen. Bezweckt wurde somit die öffentliche Zurschaustellung der streitbaren Frauen einschließlich des Strafvollzuges als Form der Sozialdisziplinierung und zwar zur Abschreckung für andere. Für den angerichteten Schaden haften selbstverständlich ihre Männer.19 Wenn der Gesetzgeber für das Delikt der Unruhestiftung durch bewaffnete Frauen die peinliche Strafe ausdrücklich in Form einer Rechtsentscheidung anordnet, so kann man hierin durchaus ein weiteres Beispiel für die von Günter Jerouschek beobachtete Infiltration der Punitivierung im Frühmittelalter sehen, also der Rechtsvorstellung, Delikte zu bestrafen und nicht ausschließlich den Betroffenen materiell entschädigen zu wollen.20 Die „compositio“, der materielle Vergleich mit den Geschädigten,21 wird solchen Frauen nicht überbürdet, denn sie handeln ja im Auftrag ihrer Männer – und hier greift die Geschlechtsvormundschaft als Regulativ in der Haftungsfrage. Wohl aber sieht der Gesetzgeber eine drastische Bestrafung des Rollenwechsels vor, mithin des Versuchs der Frauen, sich mit Billigung ihrer Männer über geschlechtsspezifisch normierte, sittliche Verhaltensformen und Standesgrenzen hinwegsetzen zu wollen. 30
Ein weiteres Beispiel: Klar erkennbar ist der Zusammenhang von Geschlechterdifferenz, der standesspezifischen Waffen- und Wehrunfähigkeit der Frauen und einer geschlechtsspezifischen Individualschutzgesetzgebung als notwendiges Regulativ, bei der unterschiedlichen Bewertung des auf den ersten Blick skurril anmutenden „Deliktes“ der „Wegwehr“ durch den Gesetzgeber, je nachdem, ob ein Mann einem anderen Mann oder einer Frau den Weg versperrt. Wörtlich steht im Text: ihr in den Weg tritt und sie daran hindert, ihren Weg fortzusetzen - oder sie auf andere Weise bei diesem zufälligen Treffen kränkt. Da davon ausgegangen wird, dass sich der Mann gegen eine solche Art der Belästigung wehren kann, ist in der Rechtsnorm nur eine geringe Bußzahlung von 20 Schillingen angesetzt. Kommt es dabei zu Handgreiflichkeiten und Körperverletzungen, so soll der Rechtsfrieden entsprechend den üblichen Zahlungen nach der „Gliedertaxe“ des Kompositionensystems wiederhergestellt werden. 31
Diese Art der Belästigung ist zwischen Männern eine Bagatelle, die sogar die Standesgrenzen zwischen frei und unfrei nicht tangiert. Denn Wegwehr ist unter Männern grundsätzlich mit 20 Schillingen zu büßen, auch wenn der Betroffene ein Knecht ist. Bei gleicher Belästigung einer freien Frau hingegen wird die Summe ihres vollen Wergeldes in Höhe von 900 Schillingen als Bußzahlung für die erlittene Kränkung ihrer Ehre fällig. Die Höhe der Bußzahlung entspricht in diesem Fall dem im Recht geschätzten Wert der Person. Die besonders auffällige Diskrepanz von Entschädigung und Delikt und deren Erklärung durch den Hinweis auf Sitte und Moral kann nur so verstanden werden: Diese Rechtsnorm hatte den Charakter einer Generalprävention, weil der Gesetzgeber die Sicherheit der Frauen außerhalb von Haus und Hof garantiert wissen wollte.22 32
Der Grund der stark differierenden Entschädigung bei gleichem Delikt liegt in der unterschiedlichen, geschlechterspezifischen Bewertung des Deliktes: Wegwehr wird nur gegenüber der Frau als „iniuria“, als unehrenhafte Behandlung, als erhebliche Kränkung der Person bezeichnet, nicht aber gegenüber dem Mann. Die Erklärung ist in sozialen Verhaltensmustern zu sehen, sowie in dem Regulativ des Muntgedankens, der hier einen herrschaftlichen Schutzgedanken impliziert. Demzufolge übernahm der Gesetzgeber die Verantwortung für die Sicherheit der freien Frauen außerhalb von Haus und Hof, also immer dann, wenn sich Frauen außerhalb des von den Männern ihrer Sippe geschützten Bereiches bewegen mussten. Dies geschah in Form einer Generalprävention. 33
Die hier vorgesehene Wergeldzahlung über 900 Schillinge ist daher als Generalklausel mit eindeutig präventivem Charakter zu verstehen. Das deutliche Übermaß rückt die Rechtsnorm in die Nähe einer strafrechtlichen Bestimmung. Hierfür dürfte die Erfahrung entscheidend gewesen sein, dass damals die Gefahr für eine Frau außerhalb von Haus und Hof eben groß war, nicht mehr sicher nach Hause zu kommen, und dass deshalb bereits bei einer Belästigung durch einen Mann die männlichen Verwandten dieser Frau in jedem Fall die volle Bußzahlung fordern konnten. 34
In diesem Zusammenhang interessiert, wie das Zusammentreffen einer Frau mit einem Mann bei einem Schlichtungsversuch zwischen kämpfenden Männern bewertet wurde: Wurde die Frau dabei verletzt, so konnte sie nicht auf unehrenhafte Behandlung klagen. Denn Artikel 378 des Edikts legt mit Blick auf die Wegwehr fest, dass sich die Frau in diesem Fall durch ihr Verhalten selbst in Gefahr gebracht habe; nicht 900 Schillinge seien pauschal einzufordern, sondern die Frau müsse in ihrem Wert entsprechend ihres Besitzes geschätzt werden. Danach richtete sich dann die Höhe der Bußzahlung für den ihr zugefügten Schaden. 35
Eine solche Art der Schadensbemessung sieht Rothars Edikt auch für Männer vor, wenn ein freier Mann ohne Anlass und Absicht von einem anderen (sozusagen versehentlich) getötet wurde. In beiden Rechtsnormen wird damit auf gleiche Weise – nämlich durch Schätzung des Besitzes der Person – die Schadensbemessung ermittelt ohne Geschlechterdifferenz. Hieraus ist zudem ersichtlich, dass die Höhe des Vermögens einer freien Frau im langobardischen Italien sehr unterschiedlich sein konnte und das oben angeführte Wergeld von 900 Schillingen nicht als Richtwert dessen verstanden werden darf, was einer Frau als Vermögen damals zugestand.23 36
Diese Generalklausel in Rothars Edikt zum Schutz der Frauen außerhalb von Haus und Hof wurde von König Liutprand durch Spezialgesetzgebung modifiziert. Denn es konnte natürlich durchaus berechtigte Gründe geben, einer Frau in den Weg zu treten, etwa dann, wenn sie, um abzukürzen, die sprießenden Saaten eines Feldes zertrat. Freilich wurde schon im Edikt im 29. Kapitel für diesen Fall festgelegt, dass der Eigentümer nicht im Sinne der Wegwehr zu belangen sei, weil er seine Arbeit schütze. Liutprand ergänzte nun diese Bestimmung und zwar ausdrücklich mit Blick auf den Schutzgedanken des Gesetzgebers gegenüber den Frauen durch den Zusatz, dass der Geschädigte von der Frau nur ein Pfand fordern dürfe, um eine pauschale Schadensforderung in Höhe von 6 Schillingen gegen ihren Vermund geltend machen zu können. Hält er die Frau aber auf und nimmt sie gar mit auf seinen Hof, dann muss er eine Buße von 100 Schillingen leisten, je zur Hälfte an den Vormund der Frau und an den Königshof.24 Grundsätzlich soll damit auch im Schadensfall der höhere Rechtsschutz für die Frau erhalten bleiben, der durch die an den Königshof zu leistende Bußzahlung - die selbstverständlich bei gleichem Delikt für einen Mann als Schädiger entfällt - in der Rechtsnorm ausdrücklich garantiert wird. Den durch die Frau verursachten Schaden bewertet die Rechtsnorm durchaus nicht als Bagatelle. 37
Der Rechtsschutzgedanke gegenüber der Frau wurde bei sukzessiver Novellierung des langobardischen Rechtes zugunsten einer Besserstellung der Frauen ausgebaut. Dies soll durch einige Beispiele erläutert werden. 38
1. Die in archaischen Zeiten des Gewohnheitsrechtes tolerierten Übergriffe im Rahmen der Selbstjustiz in Haus und Hof durch das Familienoberhaupt kennt noch Rothars Edikt, wenn eine Frau die Ehe brach, und zwar gegenüber beiden Beteiligten. Solche Übergriffe will Liutprand abgeschafft wissen, denn grundsätzlich sei die Unversehrtheit von Leib und Leben der Frau - auch bei erwiesenem Ehebruch - zu garantieren. Darüber hinaus schiebt er mittels eines diffizilen Beweisverfahrens Affekthandlungen des Ehemannes einen Riegel vor - nicht nur weil sich die freie Frau bei Misshandlung durch den Vormund jederzeit hilfesuchend an den Königshof wenden konnte.25 Das Beweisverfahren hatte vielmehr einen ganz anderen, bereits in der Novellierung des Eherechtes durch König Grimoald, den Vorgänger Liutprands, genannten Rechtsgrund: Es scheint nämlich Usus geworden zu sein, die Ehefrau des Ehebruchs zu beschuldigen, um sie einzuschüchtern und loszuwerden ( im übrigen eine über die Jahrhunderte in mittelalterlichen Quellen immer wieder berichtete, erfolgreich praktizierte Vorgehensweise). Kann die Frau jedoch mittels Sippeneid die Beschuldigung widerlegen, dann muss der Ehemann an ihren Bruder eine Buße in Höhe der Hälfte ihres geschätzten Wertes entrichten. Die andere Hälfte geht wiederum an den Königshof.26 Auf diese Weise wurde von Liutprand das archaische Gewohnheitsrecht des Ehemannes zumindest in der Rechtstheorie ganz entschieden modifiziert. 39
2. Ein weiteres Beispiel: Nach langobardischem Recht übte die freie Frau das Verfügungsrecht über ihren Besitz selbst aus. Dem steht nicht im Wege, dass Frauen damals nicht rechtsmündig und ohne männlichen Vormund auch nicht geschäftsfähig waren. Veräußerungen von Frauenbesitz waren nämlich nur dann gültig, wenn in der Kaufurkunde eine notarielle Ausführungsverordnung beachtet wurde. Durch diese war festgelegt, dass die Urkunde eine Erklärung der Verkäuferin enthalten musste, aus der hervorgehen sollte, dass sie das Rechtsgeschäft aus freiem Willen und ohne irgendeinen Zwang durch Dritte ausgeführt hatte. Ihrem Vormund – dem Ehemann, Vater oder Bruder – wurde nur ein Zustimmungsrecht eingeräumt.27 Diese Rechtspraxis unterscheidet sich ganz erheblich von der sonst üblichen Verwaltungsgemeinschaft von Eheleuten, bei der in umgekehrter Weise die Veräußerung der Liegenschaften der Ehefrau durch ihren Ehemann bis in die Neuzeit Usus war und der Frau lediglich ein Zustimmungsrecht dabei einzuräumen war. 40
Nach langobardischem Recht freilich führte die Frau die Geschäfte auf ihren Besitzungen; bei Transaktionen war die Zustimmung des Ehemannes notwendig. Lag hingegen Verwaltungsgemeinschaft vor, waren die Rechts- und Machtverhältnisse der Eheleute umgekehrt: die Frau konnte nicht eigenständig über ihren Besitz verfügen, der in der Rechtswirklichkeit in der Regel dem Besitz des Mannes hinzugeschlagen wurde.28 41
3. Auch der Rechtsschutz, den Liutprand Witwen während des Trauerjahres einräumt, ist primär ein wirtschaftlicher Schutz vor materiellen Übergriffen durch die eigenen Familien – und zwar sowohl auf das vorhandene eigene Vermögen der Witwen, als auch auf das ihnen zustehende Witwengut. Denn wenn man eine Frau nach dem Tod des Ehemannes zum Klostereintritt bewegen konnte, dann hatte ein solcher Schritt für die Verwandtschaft - vor allem die Kinder - eine zweite Erbregelung zur Folge, weil die Witwe beim Klostereintritt nur ein Drittel ihres Besitzes als Unterhalt beanspruchen durfte; zwei Drittel wurden für die Erben frei. Eine Trauernde sollte daher nicht vorschnell von ihrer Familie zum Klostereintritt gezwungen werden können - so die Rechtsentscheidung, die Liutprand subtil begründen läßt: 42
„Wenn aber jemand wagt, vor Jahresfrist und ohne Bewilligung des Königs ihr dies anzutun, muss er dem König sein Wergeld erlegen. Die Munt über die Frau und ihr Eigengut unterstehen fortan der Verfügungsgewalt der Königspfalz (sint in potestatem palatii). Wer ihr solches Tun vor Jahresfrist ansinnt, verlangt es aus Gewinnsucht und dergleichen weltlichem Trachten, nicht aber aus Liebe zu Gott oder um ihre Seele zu retten. Denn nach dem Tode ihres Mannes, solange der Schmerz noch frisch ist, kann ihr Gemüt leicht dahin gebracht werden, wohin man will“.29 43
Hingegen gewährt der Königshof keinen Rechtsschutz, wenn eine Frau durch ihr Verhalten den sozialen Komment der Sippen- und Familienverbände bewusst missachtete. Ein Paradebeispiel aus der Gesetzgebung Liutprands hierzu ist seine Bewertung der „heimlichen Ehe“. Denn mit einem solchen Schritt verzichtete eine Braut auf ihre im Brauchtum verankerte und im langobardischen Recht schriftlich fixierte vermögensrechtliche Absicherung während der Ehe, ritualisiert durch die öffentliche Verlobung und das Hochzeitsfest. Stirbt in diesem Fall dann gar der Ehemann, bevor er seiner Frau ein Witwengut versprochen oder gegeben hat, so kann sie die Verwandten ihres Mannes am Königshof nicht auf Witwenversorgung verklagen. In der Rechtsbegründung nimmt Liutprand deutlich darauf Bezug, dass die Frau die sozialen Regeln ihres Sippenverbandes und das im Gewohnheitsrecht damals begründete Eheschließungsrecht nicht beachtet hat. Sie lautet: „Denn da sie ohne Rücksicht auf den Willen ihrer Eltern zu dem Manne zog, war halt auch niemand da, der ihre Rechte geltend machen konnte“.30 44
Eine eidesstattliche Erklärung der Frau über die Höhe der Morgengabe – etwa als Schwur der Witwe auf ihren Zopf wie im alemannischen Recht ritualisiert 31 – kennt das langobardische Recht nicht. Denn der Öffentlichkeitscharakter der Eheschließung und die materielle Ausstattung der Braut durch den Bräutigam und ihre Familie sollten erhalten bleiben. Ihre Teilhabe am Vermögen des Ehemannes und dem ihrer Eltern durch die Zuwendung der Mitgift ist – auch um den Sippenfrieden zu wahren – eine öffentliche Familienangelegenheit. 45
Ganz anders wurde das „Delikt“ der heimlichen Ehe im alemannischen Volksrecht behandelt. Hier sollte offenbar der Brauch des Brautraubes unterbunden werden. Denn behandelt wird die Fallkonstellation, dass die Frau stirbt, bevor der Mann rechtmäßig ihre Munt erworben hat. In diesem Fall muss der Ehemann dem Vater der Frau ihr Wergeld entrichten, das gesetzlich auf 400 Solidi festgelegt ist. Nebenbei sei bemerkt, dass diese Rechtsnorm ein weiteres Beispiel für Individualschutzgesetzgebung zugunsten der Frauen aus einem anderen Bereich der Leges Barbarorum ist. Sie regelt allerdings primär die Schadensbegleichung für die Familie der Braut.32 46
Die rigide Abweisung der Rechtsuchenden im langobardischen Recht ist freilich nicht als Versuch zu deuten, ein antiquiertes System zu stabilisieren, sondern eher als Plädoyer für den Öffentlichkeitscharakter der Eheschließung, um eben die Frau materiell abzusichern. Natürlich ist diese Rechtsentscheidung auch als Indiz zu werten, dass das Rechtsinstitut der Munt einem Wandel unterlag, der – auch wenn es nach diesem Fallbeispiel nicht einsichtig erscheinen mag – synchron verlief zu einer sukzessiven Besserstellung der Frau. Die Durchsicht der langobardischen Rechtsnormen erlaubt jedoch weitere konkrete Schlußfolgerungen, die hier nur kurz skizziert werden können: 47
Mit der oben bereits angesprochenen Erbfähigkeit der verheirateten Tochter verliert ihre materielle Ausstattung als ausschließliche materielle Zuwendung im Sinne eines „Vorab“ bei der Heirat an Gewicht. Sie wird reduziert und im Ritual des Brauchtums institutionalisiert. Die Gabe des Vaters oder Bruders an die Braut erfolgt jetzt in Form einer Schenkung und hat nicht mehr den Charakter der Aushändigung ihres Erbteils. Auch die Zuwendung des Bräutigams an die Braut wird reduziert: Die Braut kann maximal ein Viertel seines Vermögens oder eine entsprechende Geldzahlung, die sich aus der beruflichen Qualifikation des Bräutigams und seinen zu erwartenden Einkünften errechnet, als Morgengabe erhalten. Der Höchstsatz beträgt 400 Schillinge und ist von einem dem Richterstand angehörenden Ehemann zu erwarten. Angehörige anderer vermögender Schichten – „reliqui nouilis homines“ - können ihren Ehefrauen maximal 300 Schillinge als Witwengut verschreiben. 48
Diese, doch einschränkend gemeinten Regelungen wurden in der Praxis durch Schenkungen an die Ehefrauen häufig umgangen. Besonders interessant ist aber, dass die „meta“, das Witwengut, in der Gesetzgebung Liutprands als direkte Zuwendung an die Ehefrau bezeichnet wird, die ihr persönlich ausgehändigt wurde und nicht ihrer Sippe, wie die älteren Regelungen in Rothars Edikt zunächst vermuten lassen.33 Schließlich bringt König Aistulf in seiner Novelle zum Erbrecht vom Jahre 755 erstmals die Erbfähigkeit der Ehefrau ins Spiel, wenn er festlegt, dass der Ehemann ihr neben der Morgengabe und dem Witwengut zusätzlich das Recht auf die Hälfte der Erträge seiner Wirtschaftsgüter vermachen kann. Bei einer Wiederverheiratung muss die Frau allerdings auf diesen Versorgungsteil verzichten, der dann komplett den Kindern aus erster Ehe zugute kommen soll.34 49
Der Wandel der Rechtsstruktur der Munt zeigt sich in Gesetzesnormen, die sich gegen Veränderungen festgelegter sozialer Verhaltensregeln richten. Sie betreffen ganz allgemein das Heiratsalter sowie das Trauerjahr der Witwen. Galt bisher für das Mädchen die Vollendung des 12. Lebensjahres und für einen Mann die Vollendung des 18. Lebensjahres als Mindestheiratsalter, weshalb der Mann in der Regel älter als die Frau sein sollte, um die Munt über sie erwerben zu können, so scheint genau dieses Regulativ während der Regierungszeit Liutprands unterlaufen worden zu sein. In seinem 19. Regierungsjahr will Liutprand nämlich den als Modeerscheinung angeprangerten Usus abgestellt wissen, dass ältere und reifere Frauen sich mit noch unmündigen Knaben verheiraten. Was die Bestimmung als sittlich unerlaubte Ehe bezeichnet, war vor allem eine Praxis, mit der geschäftsfähige, vielleicht bereits verwitwete, vermögende Frauen die Munt umgingen.35 Aus anderen Rechtsentscheidungen ist bekannt, dass Witwen den Rechtsfreiraum während des Trauerjahres zu nutzen verstanden, etwa um als Religiosen, als religiös lebende Frauen nach der damaligen Diktion, im eigenen Haus unter dem Deckmantel des Schleiers ein ihnen adäquates Leben ohne Rechtsvormund zu führen, das ihnen nach dem Gesetz ja auch ausdrücklich zustand. Um dies abzuschaffen, will Fürst Arichis von Benevent im Jahre 774 den Schutz der Witwe im Trauerjahr nicht mehr gewährleistet sehen. Vielmehr möge ein Rechtsvormund für ihren baldigen Klostereintritt noch vor Ablauf der Jahresfrist sorgen.36 50
Dass hier restriktiv und nicht zeitgemäß argumentiert wurde, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Ein offensichtlich unbequemer Rechtsfreiraum, der die Möglichkeit bot, ohne Rechtsvormund zu leben, sollte beschnitten werden, indem - bei offensichtlicher Negierung der Novelle Liutprands - Witwen ins Kloster abgeschoben wurden. Fraglich ist, ob der Eintritt ins Kloster für verwitwete Frauen hier als Sozialdisziplinierung verstanden wurde, oder ob bereits der theologische Zeitgeist jener Konzilsbeschlüsse greift, die wenig später Witwen den Zugang zu den niederen Weihen verwehren sollten.37 Das Gesetz impliziert freilich eindeutig folgende konkrete Situation: Während der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts lebte in Benevent ein etablierter Stand der Frauen, nämlich der Witwenstand, ohne Rechtsvormund, und es war zu befürchten, dass auch die Ehefrauen diese Rechtsstellung fordern würden. Deshalb wurde den Witwen ihre Rechtsfreiheit genommen. 51
Ein weiteres Beispiel: Sozialgeschichtlich interessant ist das Zusammenleben von germanischen Langobarden und Romanen in Italien. Der sicherlich intensive interkulturelle Transfer zwischen beiden Bevölkerungsteilen läßt für die Gesetzgebung zugunsten der Stellung der Frau eine Orientierung am römischen Recht vermuten. Dazu kommt, dass die langobardischen Könige, insbesondere Liutprand, das römische Recht als das kulturell höher stehende betrachteten, ferner dass der Stand der Witwen zuerst nach Kirchenrechtsnormen der Spätantike, somit nach römischem Recht, definiert worden war. So zeigt sich die Infiltration des römischen Rechts etwa in einer langobardischen Bestimmung zum Eherecht, und zwar bei Mischehen: Heiratete eine Langobardin einen Romanen, dann lebte sie während der Ehe und auch als Witwe nach römischem Recht und nicht ihrer Herkunft entsprechend nach langobardischem. Denn die einmal erworbene Rechtsfreiheit sicherte ihr für immer ein Leben ohne Vormund.38 52

4. Zum Verfügungsrecht der Frau über Besitz im frühmittelalterlichen Bayern

Die Frage nach der aktiven Beteiligung der Frau am Wirtschaftleben durch Veräußerung oder Erwerb von Immobilien und deren Bewirtschaftung lässt sich methodisch durch die Auswertung von Schenkungsurkunden und Tauschverträgen des Früh- und beginnenden Hochmittelalters für regional begrenzte Siedlungsräume erörtern und beantworten. So wurden in letzter Zeit Untersuchungen für das alemannische Siedlungsgebiet am Material des St. Galler Urkundenbestandes vorgelegt, weiter für das langobardische Italien anhand langobardischer Schenkungsurkunden sowie eine Übersicht der Verhältnisse im bayerischen Raum.39 53
Einen außerordentlich vielfältig strukturierten Quellenfundus stellen in diesem Zusammenhang die zahlreichen Dotationen an die Domkirche von Freising vom 8. bis etwa zur Mitte des 9. Jahrhunderts dar. Er enthält die gesamte Palette an Fallkonstellationen, gibt Auskunft über die Tradenten, ihr Vermögen, die Vermögensverwaltung und über die Struktur der Immobilien und deren Rückgabe als zinspflichtige Kirchenlehen an die Schenkenden und ihre Nachkommen. 54
Schenkungen waren immer öffentlichkeitswirksam. Schenkte eine Frau womöglich gar ohne Rechtsvormund, so stand sie im Mittelpunkt des Geschehens; agierte ein Vormund, nahm sie dagegen nur eine Randposition ein. Es ist daher vorab zu fragen, ob in Bayern Frauen über ihren Besitz frei verfügen konnten und wenn ja, in welcher Form sich dies in den Urkunden zeigt. 55
Meistens wird als Schenkungsgrund die Sorge um das zukünftige Seelenheil im Jenseits genannt. Mit Grundbesitz konnte als Gegenleistung liturgisches Gebetsgedenken für Einzelpersonen oder die gesamte Familie der Tradenten über Generationen hin sichergestellt werden. Das Gedächtnis an die Toten war durch Jahresmessen ritualisiert. So gehörten ganze Familienverbände für immer zur Schenkungsgemeinschaft des Hochstiftes Freising. Durch dieses elitäre Gebaren wird klar, dass es sich um Mitglieder der wohlhabenden Bevölkerungsschicht handelte, welche nach der auf der Synode von Dingolfing um 776/7 formulierten Standesdefinition eindeutig zum bayerischen Adel gehörte. Denn damals wurde entschieden: adlig sei, wer die „potestas“, also die Verfügungsgewalt, über einen Erbbesitz ausübe und berechtigt sei, diesen auch ohne die Zustimmung Dritter an Kirchen zu verschenken.40 Hinsichtlich der Rechte von Frauen wurde wenig später – um 790 – in einem Kapitular König Pippins, Sohn Karls des Großen, für Italien die langobardische Rechtsnorm bestätigt, die der Frau die Verwaltung ihres Vermögens einräumt, wenn es dort heißt, dass jede Frau ihren Besitz verkaufen oder verschenken könne, freilich mit Zustimmung des Ehemannes.41 Es ist damit zu rechnen, dass diese Bestimmung die Rechtspraxis auch in Bayern nach dem Jahre 788 beeinflusste und die Tendenz der eigenständigen Vermögensverwaltung durch Frauen stützte. Von einem Zustimmungsrecht des Ehemannes ist allerdings in den Freisinger Traditionen dann schon nicht mehr die Rede.42 56
Auch fällt auf, dass die Frage der Vermögensverwaltung durch Frauen in Bayern zunächst für den Witwenstand thematisiert wurde, denn das damals aktuelle Stammesrecht setzt für die Witwenversorgung eigenes Vermögen und ein gesetzlich gesichertes Witwengut voraus. Ferner kann sie die Wirtschaftsgüter des verstorbenen Ehemannes, somit den an die Söhne vererbten Grundbesitz wirtschaftlich mit nutzen, denn sie soll an den Erträgen beteiligt sein. Diese Rechtsnorm des bayerischen Stammesrechtes belegt eindeutig, dass Frauen im Geltungsbereich über eigenes Vermögen verfügten und an den Wirtschaftsgemeinschaften und der Vermögensverwaltung ihrer Familien aktiv beteiligt waren. Die Frau war demnach „femina“ und zugleich immer auch „matrona“, das heisst, sie war am Wirtschaftsleben beteiligt, wie auch der Sprachgebrauch der Schenkungsurkunden nahelegt.43 - Wie aber sah die Rechtswirklichkeit konkret aus? Lässt sich das gewonnene Bild weiter auffächern? 57
Eine systematische Durchsicht der Freisinger Traditionsurkunden für den Zeitraum von circa 100 Jahren führt zu folgenden Ergebnissen: 58
1. Zunächst die demographische Übersicht zur Beteiligung von Frauen an den überlieferten Schenkungen: 59
In der Zeit zwischen 730 und 835 erwirkten fünf Bischöfe des Hochstiftes Freising insgesamt 597 Schenkungen von adeligen Personen aus dem bayerischen Raum. Wenn man die Pontifikate der Bischöfe Ermbert (730-748) und Joseph (748-764) mit 19 Urkunden als Vorphase einer Entwicklung versteht, so lässt sich der weitere Zeitabschnitt entsprechend den Amtszeiten der folgenden Bischöfe in drei Phasen unterteilen. Bereits auf den ersten Blick fällt eine Dynamisierung der Schenkungstätigkeit auf: Für Bischof Arbeo sind für 19 Jahre 88 Traditionen überliefert, davon 12 von Frauen oder unter weiblicher Beteiligung, für Bischof Atto werden in 28 Jahren 190 Traditionen verzeichnet, davon 28 von oder unter Beteiligung von Frauen. Unter Bischof Hitto setzte dann im ersten Drittel des 9. Jahrhunderts geradezu eine Schenkungseuphorie ein: er erhielt in 24 Amtsjahren 300 Traditionen, davon 44 von Frauen. Damit lässt sich numerisch eine ziemlich konstante Beteiligung der Frauen errechnen, nämlich für die erste Phase 13,6%, für die zweite Phase 14,6% und für die dritte 14,3%. Nimmt man die Vorphase mit immerhin einer Schenkung durch eine Frau hinzu, so wurden bei insgesamt 597 Traditionen 85 von Frauen veranlasst, eigenständig oder mitbeteiligt. Daraus ergibt sich ein Satz von 14,24%.44 60
2. Die sprachlichen Kriterien: 61
Der Wortlaut der überlieferten, am Beginn des 9. Jahrhunderts vom Schreiber Cozroh aufgezeichneten Traditionsurkunden und -notizen weist Varianten in den Verbformen auf. Es wird deutlich, dass die einzelnen Rechtsschritte jeder Schenkung so formuliert wurden, dass die Handlungen der Beteiligten erkennbar und nachvollziehbar sind: Schenkungen von Einzelpersonen sind sowohl in der Ich-Form, der ersten Person Singular, notiert, als auch in der dritten Person Singular, wodurch entweder die Handlung der/des Schenkenden oder das Rechtsgeschäft im Text zentriert werden. Schenkten mehrere Personen Immobilien, so wurden sie entweder namentlich genannt entsprechend den Rechtsverhältnissen und Anteilen oder als Schenkungsgemeinschaft im Plural, etwa bei Ehegatten, Eltern mit Kindern, Mutter und Sohn, Schwestern und den weiteren Personengruppierungen eines Familienverbandes. Wurde von mehreren Personen ein gemeinsamer Besitz an Freising geschenkt, so enthielt die Urkunde den Zusatz, dass die Schenkung von gemeinsamer Hand – „manu commune“ – erfolgt sei - so geschehen etwa am 20. 12. 772: 62
Muniperht und seine Mutter Adalnia schenkten Freising ihre an der Würm errichtete Erlöserkirche im Beisein Bischof Arbeos. Sie hatten diese Kirche auf gemeinsamem Besitz erbauen lassen, wobei die Mutter die Kirche mit Witwengut und Besitz aus ihrem Anteil am ehelichen Zugewinn ausgestattet hatte.45 63
Ein weiteres Beispiel: Zu einer Schenkungsgemeinschaft, die „manu commune“ das gemeinsam errichtete und mit Besitz ausgestattete Bethaus zu Berganger an Freising gab, gehörte eine „religiosa femina“. Sie wurde im Schriftstück namentlich neben zwei männlichen Schenkern genannt; (ihr Name ist heute leider nicht mehr vollständig lesbar). Aus der Beschreibung dieser Rechtshandlung geht deutlich hervor, dass die Frau eigenständig handelte, indem nämlich zuerst der Mitbeteiligte Rihheri sein Land, auf welchem das Bethaus stand, dem Bischof schenkte und die Frau stattete es dann mit einem Drittel ihres Grundbesitzes aus. Nach ihrem Tod sollten auch die ihr verbliebenen zwei Drittel zur weiteren Ausstattung des Bethauses verwendet werden. Dies alles geschah am Tage der Konsekration in Anwesenheit Bischof Arbeos.46 64
Andere mögliche Fallkombinationen sollen hier kurz skizziert werden: Zum ersten Mal wird für Freising Frauenbesitz in einer Urkunde aus dem Jahre 757 erwähnt und zwar nach traditionellem Muster. Die Söhne der Familie hatten schon früher aufgrund ihrer Stellung als Rechtsvormund ihrer Mutter deren Besitz dem Hochstift geschenkt. Denn der Priester Eparheri - ein weiterer Sohn dieser Familie - bestätigte im Jahre 757 anlässlich der Schenkung seines väterlichen Erbbesitzes an Freising die frühere Schenkung der Mutter, die „per manum meam et fratrum meorum“ erfolgt sei.47 Jedoch schon in der zweiten überlieferten Schenkung von Frauenbesitz, wenige Jahre später und während der Amtszeit Bischof Arbeos, sind die Möglichkeiten der Geschäftsausübung einer adeligen Frau genau beschrieben: Man erfährt, dass die Witwe Kepahild bei ihrer Heirat Güter am Germansberg, einem westlich von München bei Alling gelegenen kleinen Höhenrücken, als „dos legitima“ erhalten hatte. Durch Bewirtschaftung und Zugewinn, insbesondere des väterlichen Erbbesitzes, gelang ihr hier der Aufbau eines kleinen eigenständigen Siedlungszentrums. Als dessen Mittelpunkt ließ sie eine Kirche errichten, die am 20. Januar 769 von Bischof Arbeo der Gottesmutter geweiht und noch am gleichen Tag mittels Schenkung vertraglich dem Hochstift unterstellt wurde. Diese Rechtsgeschäfte der Kepahild, einschließlich der Dotation zweier Höriger an Freising sind in der Ich-Form im Text festgehalten, also „adquisivi“, „coacervavi“, „donavi“ - die Frau war demnach eigenständig ohne einen Rechtsvormund aufgetreten. Doch noch am selben Tag wurde von der Schenkerin und ihrem Sohn und zukünftigen Rechtsnachfolger ein Nutzungsvertrag mit dem Bischof geschlossen, der die sofortige Bestätigung der Schenkung der Mutter erforderte. Interessanterweise wurde der Sohn lediglich mitbeteiligt; das Verfügungsrecht stand also primär jener Kepahild zu, die deshalb auch den Text der Rechtsformel öffentlich vortrug, wie in der Urkunde vermerkt wurde.48 Ein wichtiger Gesichtspunkt ihrer Schenkung an das Hochstift Freising dürfte sicherlich auch der Schutzgedanke gewesen sein. Denn die Anbindung ihres Privatbesitzes an den mächtigen Eigentümer garantierte ihr auf Lebenszeit die wirtschaftliche Nutzung. 65
Bei Familien- und Erbbesitz wurden die einzelnen Besitzanteile getrennt tradiert, ebenso bei gemeinsamer Schenkung von Ehegatten. Die Urkunden vermerken in solchen Fällen zwei Rechtshandlungen der Tradenten in einem Text, so geschehen bei der Bestätigung der Schenkung der Ehegatten Uualdprand und Ata im Beisein eines illustren Familienkreises im Jahre 825 - während der Amtszeit Bischof Hittos von Freising. Da es sich um Erbbesitz der Ehepartner handelte, musste jeder zunächst die frühere Schenkung bestätigen, um dann - in einem zweiten Schritt - weiteren Besitz an Freising zu verschenken.49 66
Aus diesen Beispielen geht hervor, dass sehr genau nach Eigentumsverhältnissen differenziert wurde und eine verheiratete Frau in eigener Sache geschäfts- und rechtsfähig neben ihrem Mann agieren konnte, ohne dass ein Anzeichen für eine Vormundschaft des Mannes in irgendeiner Weise im Schriftstück zu erkennen wäre. Da dies kein Einzelfall ist, verwundert es nicht, dass eine Ehefrau sogar nach dem Tode des Mannes das Verfügungsrecht über seinen Erbbesitz ausüben konnte. Nach dem Willen des Verstorbenen wirkte sie als seine Rechtsnachfolgerin, indem sie seine Güter als Seelenstiftung und somit als materielle Gegenleistung für Gebetsgedenken an den Verstorbenen dem Hochstift tradierte. Es bedurfte bei solchen Rechtshandlungen allerdings in der Regel der Anwesenheit eines „advocatus“, der die Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise der Witwe vor allem gegenüber den betroffenen Erben bestätigte. 67
Hierzu lässt sich ein hervorragendes Beispiel für das Selbstbewusstsein einer wohlhabenden Frau dieser Zeit anführen: die Witwe des Grafen Gundhart trat auf der Synode von Freising im Jahre 815 auf und übergab dem Bischof Hitto die soeben der heiligen Maria geweihte Kirche im nahegelegenen Moosach, nachdem sie den noch von ihrem Mann begonnenen Bau vollendet hatte.50 In einer ebenso feierlichen wie gewagten Handlung stand eine Frau im Mittelpunkt des Geschehens und agierte im Kreis der versammelten Kleriker. 68
Während Hittos Pontifikats ist freilich eine gewisse Schenkungseuphorie und die Tendenz zur „Spiritualisierung“ des Wirtschaftslebens auffällig. Überall in Bayern entstanden damals adelige Klostergründungen, die meist nicht lange überlebten. Die Dotationen an Freising erfolgten so zahlreich, dass durchaus von einer Anbindung der gesamten bayerischen Adelsfamilien mit ihren Besitzungen an dieses Bistum gesprochen werden kann. Die hl. Maria, die Patronin von Freising, war die spirituelle Schutzherrin des Landes geworden, der Bethäuser, Kirchen und Klösterchen als Familienstiftungen geweiht wurden, materiell durch Schenkung mit dem Bistum verbunden. Es verwundert nicht, dass besonders viele Frauen beteiligt waren. Um die Mitte des Jahrhunderts wurde allerdings ein gewisser „Sättigungsgrad“ erreicht, denn Tauschverträge über kleine und kleinste Immobilien signalisieren jetzt allgemein die Notwendigkeit einer bescheideneren Umgangsweise mit Grundbesitz, auch um die Versorgung der Nachkommen noch zu gewährleisten. Ein Grund für das frühere Übermaß der Schenkungen dürfte das geradezu charismatische Auftreten Bischof Hittos gewesen sein, das durch entsprechende Epitheta in den Urkunden bezeugt ist. So wird er beispielsweise bei der Tradition der „femina Tota“ als „piissimus pontifex protector noster“, als „gänzlich frommer Bischof und unser Schutzherr“ bezeichnet. Damit erfuhr er bereits zu Lebzeiten eine Wertschätzung, wie sie sonst nur den großen heiligen Bischöfen der merowingischen Epoche zukam.51 69
Vergleicht man die Schenkungspraxis während der Amtszeiten Bischof Attos (783-811) und seines Amtsvorgängers Arbeo (764-783), zeigt sich eine Entwicklung zur wirtschaftlichen Besserstellung von Ehefrauen und Töchtern: Auch für letztere ist in Schenkungsverträgen ein Nutzungsvorbehalt vorgesehen. Töchter schenkten eigenständig neben den Eltern und verfügten demnach über eigenen Besitz, auch dann, wenn sie noch oder etwa als Witwen bereits wieder dem elterlichen Hausstand angehörten. Mehrfach traten Töchter als Klägerinnen auf, weil sie offenbar über ihr künftiges Erbe oder ihr in die Familie eingebrachtes Witwengut frei verfügen und sich nicht dem Schenkungswillen der Familie anschliessen wollten. 70
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Familienstiftung der Kirche zu Ehren des Erzengels Michael und der hl. Maria in Rottbach bei Fürstenfeldbruck um 792: Die Ehegatten Oazo und Cotani haben damals gemeinsam mit ihrer Tochter Engilsnot diese Kirche errichtet. Der Vater tradierte sie an Freising, indem er Bischof Atto zur Konsekration einlud. Beim Rechtsakt übergab der Vater gemeinsam mit seinem Sohn Meiol an die Kirche zu Rottbach Hörige, die zum Erbteil des Sohnes gehörten. Ein Priester Tutilo stattete daraufhin die Kirche mit den nötigen liturgischen Geräten und mit seinem väterlichen Erbbesitz aus und gibt sich somit als nächster Verwandter, möglicherweise als weiterer Sohn der Stifterfamilie, zu erkennen, der offensichtlich die Pfarrstelle in Rottbach übernehmen sollte. Die Tochter Engilsnot lebte als Nonne im Hause ihrer Eltern. In einer anderen Schenkungsnotiz erfährt man, dass sie Grund und Boden, den sie in Rottbach zu ihrem Lebensunterhalt nutzen konnte, bereits an Bischof Atto gegeben hatte und von diesem zinspflichtig zurückerhielt. Die Mutter Cotani hatte ebenfalls schon vorher ihren väterlichen Erbbesitz in Jesenwang im Landkreis Fürstenfeldbruck in Anwesenheit von Mann und Tochter der Familienstiftung in Rottbach übereignet. Ganz selbstverständlich handelte sie bei diesem Rechtsgeschäft eigenständig und ohne Rechtsvormund - wie der Wortlaut nahelegt: „dono“, „transfundo“, „trado“.52 71
Als Klägerinnen in Liegenschaftsprozessen unterlag eine Wolfswind durch Zeugenbeweis gegen Freising, ferner eine Hroadpirinna, die sich der Schenkung ihrer Mutter und ihres Bruders nicht angeschlossen hatte und ihren Besitz in Rott am Inn behielt, ihn dann aber doch ihrem Rechtsbeistand aushändigen musste, der ihn offenbar an Freising gab. Ob sie ihn als Benefizium oder Prekarie zur Nutzung zurückbekam, wird in der kleinen Notiz über diesen Rechtsstreit nicht mehr überliefert.53 Bekannt ist freilich, dass bei Schenkungen an Freising die Versorgungsfrage der Kinder und ihr Anrecht auf das Erbe berücksichtigt wurden, wie die Ausstattung der Familienstiftung Rottbach zugunsten der Tochter Engilsnot zeigte. Klar ist auch die Handhabung der Versorgungsfrage bei der Tradition, die Suuitmoat veranlaßte. Sie lebte als Nonne nach dem Tod ihres Mannes und schenkte Freising ihren Besitz. Diesen gab Bischof Atto dann als Lehen an ihre Tochter Elismot zurück mit der Maßgabe, dass sie sich wiederum verpflichtete, ihr Erbe sofort an Freising zu schenken. Auf geschickte Weise wurde dadurch die gesamte Besitzmasse der Witwe an Freising gebunden, indem dem Bischof selbst aus der Versorgungsfrage der Tochter noch ein Vorteil erwuchs: Er hatte sie sich als Schenkerin verpflichtet und wusste damit auch die übrige Besitzmasse vor Ansprüchen anderer Familienmitglieder abgesichert.54 72

5. Resümee

Die Gesetzestexte im langobardischen Italien zielten vor allem in der Novellierung König Liutprands auf eine rechtliche Besserstellung der Frauen ab. Entscheidend war der Fürsorgegedanke, um Benachteiligung aus der Geschlechtsvormundschaft zu beseitigen. Der Königshof fungierte als Appellationsgericht bei Rechtsminderung gegenüber Frauen und garantierte in solchen Fällen grundsätzlich Rechtsschutz und Standeszugehörigkeit, wenn etwa das für eine standesgemäße Verheiratung einer Frau erforderliche männliche Sippenmitglied fehlte. 73
Ausdruck des Fürsorgegedankens ist eine ausgeprägte Individualschutzgesetzgebung für Frauen, um ihre mangelnde Wehrfähigkeit durch rechtliche Privilegierung auszugleichen. Bemerkenswert ist, dass die Gesetzgebung bei der Neuordnung des Beweisverfahrens für Ehebruch besonders den Schutz der Ehefrauen in den Blick nahm. Ferner wurde den Frauen das Verfügungsrecht über ihren Besitz garantiert, den Witwen das Trauerjahr. Immer ging es darum, Frauen ihre Entscheidungsfreiheit im Rahmen des sozialen Komments zu belassen und sie vor Übervorteilung durch ihre Ehemänner oder männlichen Verwandten zu schützen, falls diese Geschlechtsvormundschaft als Möglichkeit der materiellen Vorteilssicherung missverstanden. 74
Bei der Novellierung der Rechtsnormen zeigte sich der Wandel sozialer Strukturen vor allem darin, dass die Geschlechtsvormundschaft als Rechtsinstitut zunehmend reduziert wurde. Die sukzessiv erweiterte Erbfähigkeit der Frauen, der eigene Besitz, die freizügigere Lebensform der Witwen und nicht zuletzt die Geltung des römischen Rechts in Italien forcieren diesen Wandel und damit die Emanzipation der Frauen vom gesellschaftlichen Regulativ der Geschlechtsvormundschaft. 75
Für den bayerischen Raum liess sich nachweisen, dass Frauen an Freising ohne männlichen Rechtsvormund schenkten, eigenständig Grundbesitz verwalteten, sowohl als Erbbesitz oder Witwengut, als auch als zinspflichtiges Kirchenlehen, und damit den Männern hinsichtlich der Kompetenzen der Vermögensverwaltung gleichgestellt waren. Die Gründung kultureller Zentren und deren Anbindung an das Bistum Freising wurde vornehmlich von den Frauen der Adelsfamilien als Aufgabe verstanden, eine Gedächtnispflege für ihre Familien nach dem Tode einzurichten. Die spirituelle „Gegenleistung“ war die Präsenz der Toten im liturgischen Gebetsgedenken und zugleich der Fortbestand ihres Lebenswerkes, dessen Höhepunkt mit der Konsekration der Familienstiftung erreicht wurde. In diesem Bemühen sind Ehefrauen ihren Männern rechtlich gleichgestellt und so sollte es auch in Zukunft bleiben.55 Voraussetzung allerdings war, dass sie über eigenes Vermögen verfügten. 76
In späterer Zeit bringt freilich die patriarchalische Struktur der Adelsfamilien das Stammbewusstsein mit Hausverträgen und Abkommen zum Ehegüterrecht, vermögensrechtlichen Absprachen sowie Verträgen durch Sippenkonsens und die Ausgrenzung der Ehefrauen von der Stammherrschaft. Die Anfänge dieses bekannten, von Karl-Heinz Spieß vortrefflich analysierten Phänomens, zeigt ein „Hausvertrag“ des bayerischen Adels aus dem 11. Jahrhundert. 56 Er ist im Freisinger Traditionsbuch überliefert, weil er den damalige Domvogt Adalpert und seine Gemahlin Berta betraf: im Beisein von 85 Personen, der gesamten männlichen Sippe der Vertragspartner und ihrer Vasallen, wurde zu einem Zeitpunkt, als die Ehe bereits mehrere Jahre bestand und Nachkommen geboren worden waren, für den gesamten Besitz des Ehepaares Gütergemeinschaft vereinbart, um den Besitz den Söhnen zu erhalten. Es wurde verfügt, dass beim Tode des ältesten Sohnes der nächstältere sein Erbteil erhalten sollte. Heiratete eine Tochter, so sollte die gesamte Sippe über ihre Ausstattung beraten. - Die Vereinbarung der Gütergemeinschaft der Ehepartner wurde taktisch recht geschickt arrangiert, indem zuerst Adalpert seinen gesamten Besitz Berta schenkte und sie ihn anschließend zusammen mit ihrem Erbbesitz an den Gatten zurückgab. Es wurde ihr nur ein kleines Witwengut belassen.57 77
So bleibt zu fragen, warum es im Frühmittelalter die skizzierten „Chancen einer Gleichstellung“ für Frauen gab? Waren es der Zeitgeist, das Rechtssystem, ein Gesetzgeber, der den Fürsorgegedanken ernst nahm, oder Eigeninitiativen von Frauen? Jedenfalls waren es nicht das Streben nach Innovation und Reform sondern das Streben nach Besserstellung und die Umsetzung von Möglichkeiten, die den Frauen nicht verwehrt wurden. 78


Fußnoten:

1 Aus der umfangreichen Literatur seien stellvertretend für mehr angeführt: Katherine WALSH, Ein neues Bild der Frau im Mittelalter. Weibliche Biologie und Sexualität, Geistigkeit und Religiosität in West- und Mitteleuropa. Forschungsbericht. In: Innsbrucker Historische Studien 12/13. Innsbruck 1990, S. 395-580, mit Literaturhinweisen, Maria-Milagros RIVERA GARRETAS, Orte und Worte von Frauen. München 1997, sowie Hans-Werner GOETZ, Frauen im frühen Mittelalter. Weimar u. a. 1995; von einem anderen Gesichtspunkt ausgehend nähert sich dem Thema Wilfried HARTMANN, Über Liebe und Ehe im frühen Mittelalter. Einige Bemerkungen zu einer Geschichte des Gefühls. In: Studia Gratiana 27 (=Festschrift für Rudolf WEIGAND). Rom 1996, S.189-216. Zum Begriff der „Achsenzeit“ vgl. bei A. 8.

2 Franz BEYERLE (Ed.), Die Gesetze der Langobarden. Weimar 1947, Edictus Rothari c. 204, S. 80f. Hierzu Ruth SCHMIDT-WIEGAND, Der Lebenskreis der Frau im Spiegel der volkssprachlichen Bezeichnungen der Leges barbarorum. In: Werner AFFELDT, Frauen in Spätantike und Frühmittelalter. Sigmaringen 1990, S. 195-209, hier S. 209.

3 Im Überblick Bernhard JUSSEN, Der „Name“ der Witwe. Zur Konstruktion eines Standes in Spätantike und Frühmittelalter. In: Michel PARISSE, Veuves et veuvage dans le haut moyen âge. Paris 1993, S. 137-175; dazu die Artikel „Witwe“ im LexMA, 1998, von Karin NEHLSEN-VON-STRYK, Giulio VISMARA und Bernhard JUSSEN, Sp. 277-281.

4 Ernst HOLTHÖFER, Die Geschlechtsvormundschaft. Ein Überblick von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. In: Ute GERHARD, Frauen in der Geschichte des Rechts. München 1997, S. 390-451, hier S. 395.

5 Corpus iuris civilis III, Novellae, hgg. v. R. SCHOELL, W. KROLL. Berlin 1895, Dublin, Zürich 101972, NOV. 118, S. 567ff.

6 HOLTHÖFER, S. 408.

7 Vgl. Werner OGRIS, Munt, Muntgewalt. In: HRG III. Berlin 1984, Sp.755ff.

8 Herwig WOLFRAM, Ethnogenese im frühmittelalterlichen Donau- und Ostalpenraum (6. bis 10. Jahrhundert). In: Frühmittelalterliche Ethnogenese im Alpenraum. Nationes 5, hgg. v. Helmut BEUMANN und Werner SCHRÖDER. Sigmaringen 1985, S. 97ff. – Der Begriff „leges barbarorum“ wird hier entsprechend der Definition von Hermann NEHLSEN, Sklavenrecht zwischen Antike und Mittelalter (=Göttinger Studien zur Rechtsgeschichte 7). Göttingen u. a. 1972, S. 37 in A. 1 übernommen; denn bereits durch diese Bezeichnung wird die schwierige Konstellation der Einflußnahme des römischen Vulgarrechts auf die Rechtsentwicklung und Kodifikation der germanischen Leges plausibel, s. ebd. S. 48ff.; vgl. jetzt auch Georg SCHEIBELREITER, Die barbarische Gesellschaft. Mentalitätsgeschichte der europäischen Achsenzeit 5.-8. Jahrhundert. Darmstadt 1999.

9 ED. ROTH. Prolog u. c. 386.

10 Zu den langobardischen „gentes“ vgl. bei Herwig WOLFRAM, Das Reich und die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter. Berlin 1998, S. 390ff., zu Rothar S. 416.

11 Gerhard DILCHER, Langobardisches Recht. In: HRG I, Berlin 1971, Sp. 1607-1618, hier Sp. 1612. Zum Problem der Effektivität s. Franz WIEACKER, Zur Effektivität des Gesetzesrechts in der späten Antike. In: Festschrift für Hermann HEIMPEL zum 70. Geb., Bd. III (=Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 36/III). Göttingen 1972, S. 546-566, sowie Hermann NEHLSEN, Aktualität und Effektivität germanischer Rechtsaufzeichnungen. In: Recht und Schrift im Mittelalter, (=VuF 23). Sigmaringen 1977, S. 449-502.

12 S. bei A. 25.

13 ED. ROTH. c. 154-161, S. 50-53.

14 ED. ROTH. c. 181, S. 64f.

15 Für den langobardischen Rechtsbereich wurden die Zuwendungen des Ehemannes detailliert untersucht von Brigitte POHL-RESL, „Quod me legibus contanget auere“. Rechtsfähigkeit und Landbesitz langobardischer Frauen. In: MIÖG 101, 1993, S. 201-227.

16 LIUTPRAND 2, S. 170f.

17 NOV. 118, 4, S. 571.

18 ED. ROTH. 75, S. 26ff.

19 LIUTPRAND 141, S. 310ff.

20 Günter JEROUSCHEK, Buße, Strafe und Ehre im frühen Mittelalter. Ein Beitrag zur Entstehung und Begründung des peinlichen Strafens. In: Peter LANDAU, Hermann NEHLSEN, Mathias SCHMOECKEL (Hgg.), Karl von Amira zum Gedächtnis, Rechtshistorische Reihe 206. Frankfurt a. M. u. a. 1999, S. 231-43, hier S. 235ff.

21 Vgl. K. O. SCHERNER, Kompositionensystem. In: HRG II, 1978, Sp. 995-997, und insbesondere Hermann NEHLSEN, Die Entstehung des öffentlichen Strafrechts bei den germanischen Stämmen. In: Gerichtslauben Vorträge (Freiburger Festkolloquium zum 75. Geb. v. Hans THIEME), hg. v. Karl KROESCHELL. Sigmaringen 1983, S. 3-14.

22 ED. ROTH. 26-28, S. 14f.

23 Ed. ROTH. 378, S. 152f., u. 387, S. 156f.; auch die Bußzahlung bei Körperverletzung der Schwangeren und Tötung des Kindes im Mutterleib wird durch Schätzung des Wertes der Frau errechnet, wobei der Gesetzgeber feinsinnig zwischen „nobilitas“ und „generositas“ der Frau unterscheidet; letztere wird höher bewertet ( wie A. 18).

24 LIUTPRAND 146, S. 316f.

25 LIUTPRAND 120, 121, S. 284ff.

26 GRIMOALD 6 u. 7, S. 164ff. mit LIUTPRAND 121, S. 286f.

27 LIUTPRAND 22, S. 192ff. mit der sogen. Novelle 29; dazu POHL-RESL S. 208.

28 Vgl. Werner OGRIS, Verwaltungsgemeinschaft. In: HRG V, Sp. 877ff., hier Sp. 878 mit Erklärungen zur Rechtspraxis.

29 LIUTPRAND 101, S. 264f.

30 LIUTPRAND 114, S. 279; zu den Eheschließungsformen im germanischen Recht vgl. den Artikel „Ehe“ von Paul MIKAT. In: HRG I, 1971, Sp. 809ff., hier Sp. 810ff. Die in der Rechtsnorm gemeinte „heimliche Ehe“ ist auch keine Friedelehe oder Konsensehe, welche ebenfalls durch öffentliche Heimführung der Braut begründet wurde, ebd. Sp. 816. Vorstellbar sind Initiationsriten beim Übertritt der Braut in ihren neuen Lebenskreis im Brauchtum, mit welchen die neue Rechtskonstellation der Braut im Beisein aller Anwesenden öffentlich inszeniert wurde, wie etwa beim Ritual des Brautlaufs, hierzu Hans-Rudolf HAGEMANN, Brautlauf. In: Festschrift für Karl Siegfried BADER. Zürich u. a. 1965, S. 185-190.

31 Vgl. zuletzt bei Doris HELLMUTH, Frau und Besitz. Zum Handlungsspielraum von Frauen in Alamannien (700–940). Sigmaringen 1998, S. 110, zum sogenannten „Nesteleid“ auch bei Ruth SCHMIDT-WIEGAND, wie A. 2.

32 L.ALAM. 53 (54), S. 111; vgl. bei HELLMUTH, S. 98f.

33 LIUTPRAND 7, S. 174f. sowie 89, S. 254f.; vgl. ferner zur „meta“ in ED. ROTH. cc. 167, 178f.,182f., 190f., 215, zur Schenkungspraxis POHL-RESL a. a. O.

34 AISTULF 14 (II,5), S. 373f. Zum Begriff des „ususfructus“ mit den entsprechenden sprachlichen Varianten des Rechtsinstituts s. J. F. NIERMEYER, Mediae latinitatis lexicon minus. Leiden 1984, S. 1053f. Erbliches Nießbrauchrecht für Witwen findet sich auch in der Lex Baiuvariorum, Titel XV, 7 u. 8, hg. v. Konrad BEYERLE. München 1926, S. 148f.

35 LIUTPRAND 129, S. 292ff.

36 AREGIS PRINCIPIS CAPITULA 12, S. 388ff.

37 Vgl. etwa im Text der Synode von Paris vom Jahre 829, c. 42 u. 45, ed. v. A. WERMINGHOFF (MGH Conc. II, 2). Hannover u. a. 1908; dazu JUSSEN, S. 155ff. Grundlegend zur Tendenz des kirchlichen Lehrverbotes für Frauen bereits im frühen Christentum und in der Spätantike: Klaus THRAEDE, Der Ärger mit der Freiheit. Die Bedeutung von Frauen in Theorie und Praxis der alten Kirche. In: Gerta SCHARFFENORTH, Klaus THRAEDE, „Freunde in Christus werden“. Die Beziehung von Mann und Frau als Frage an Theologie und Kirche. Hannover u. a. 1977, S. 31ff.

38 LIUTPRAND 127, S. 290f.

39 S. die genannten Arbeiten von HELLMUTH und POHL-RESL, sowie dies., Vorsorge, Memoria und soziales Ereignis: Frauen als Schenkerinnen in den bayerischen und alemannischen Urkunden des 8. und 9. Jahrhunderts. In: MIÖG 103, 1995, S. 265-287.

40 Concilium Dingolfingense a. 770, MGH CONC. II,1, c. 6, S. 95. - Die Synode von Dingolfing ist nach Herwig WOLFRAM, Salzburg, Bayern, Österreich (=MIÖG Erg. Bd. 31). Wien, München 1995, S. 148, und Joachim JAHN, Ducatus Baiuvariorum. Das bairische Herzogtum der Agilolfinger (=Monographien zur Geschichte des Mittelalters 35). Stuttgart 1991, S. 512-514, auf 776/777 zu datieren.

41 Pippini Capitulare ca. a. 790, MGH CAPIT. 1, c. 11, S. 201.

42 Auf die romanischen Personennamen in den Freisinger Traditionsurkunden weist Wilhelm STÖRMER, Romanen und Slawen als Grundherren in der karolingischen Diözese Freising. In: Festschrift für Peter HERDE (=Forschungen zur bayerischen und fränkischen Geschichte 52). Würzburg 1998, S. 1-13, hin und zwar anschließend an die Forschungen von Josef STURM und Heinrich FICHTENAU; romanische Frauennamen finden sich demnach in der bayerischen Adels- und Grundbesitzerschicht.

43 Wie A. 34; s. auch Karl Ferdinand WERNER, Der fränkisch-französische Königs- und Lehnsstaat bei Heinrich Mitteis. Eine kritische Würdigung. In: Heinrich Mitteis nach hundert Jahren (=Bayer. Akad. d. Wiss. phil. hist. Kl. Abhlg. NF 106), hg. v. Peter LANDAU u. a. München 1991, S. 23ff., hier S. 32.

44 Die Traditionen des Hochstiftes Freising I, (744-926), hg. v. Theodor BITTERAUF (=Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte NF 4). München 1905.

45 FREIS. TRAD. I, nr. 52, S. 80f.; das Witwengut heißt in bayerischen Quellen bezeichnenderweise auch „iustitia“, s. dazu POHL-RESL, Vorsorge, S. 273ff.

46 FREIS. TRAD. I, nr. 80, S. 103.

47 FREIS. TRAD. I, nr. 9, S. 35f.

48 FREIS. TRAD. I, nr. 30, S. 58f.: „Post haec peracta traditione pariter manu commune cum filio meo iterando firmavi super ipsum altarem in eadem verba ut superius.“

49 FREIS. TRAD. I, nr. 521, S. 445f.

50 FREIS. TRAD. I, nr. 349, S. 298. Zum Sprachgebrauch für „advocatus“, allerdings im Spätmittelalter, s. Klaus GRUBMÜLLER, Advocatus: fürsprech – vogt – advokat. In: Sprache und Recht. Festschrift für Ruth SCHMIDT-WIEGAND zum 60. Geburtstag, Bd. 1. Berlin u. a. 1986, S. 158ff. mit weiterer Literatur.

51 FREIS. TRAD. I, nr. 608, S. 512. -Eine genaue Analyse der 85 Schenkungen durch Frauen an Freising wird a.a.O. erscheinen.

52 FREIS. TRAD. I, nr. 144, S. 149f., nr. 159, S. 158, nr. 157, S. 157.

53 FREIS. TRAD. I, nr. 169, S. 165, nr. 239, S. 219.

54 FREIS. TRAD. I, nr. 224, S. 208.

55 Vgl. zum Stiftungs- und Schenkungsverhalten der bayerischen Herzoginnen und Pfalzgräfinnen bei Rhein im Hoch- und Spätmittelalter Gabriele SCHLÜTTER-SCHINDLER, Die Frauen der Herzöge (=ZBLG, Beiheft 16, Reihe B). München 1999.

56 Karl-Heinz SPIEß, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters (=VSWG Beihefte 111). Stuttgart 1993, S. 132ff., S. 531ff.

57 FREIS. TRAD. 2, nr. 1469, S. 319.

 

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