Artikel vom 31. August 1998
© 1998 fhi
Erstveröffentlichung

Bettina Theben

Eingabenarbeit. Zur Rolle der volkseigenen Betriebe bei der Schlichtung zivilrechtlicher Streitigkeiten mit dem Bürger

1. Einleitung
2. Die Rechtslage
2.1. Das Zivilgesetzbuch
2.2. Das Eingabengesetz
3. Zur Quellenlage
4. Auswertung
5. Résumée und Ausblick

1. Einleitung

Die DDR als verbraucherfreundlicher Staat, der Einsatz der Betriebe für die bestmögliche materielle Versorgung der Bevölkerung, die schnelle und unbürokratische Bearbeitung von Problemen und Anregungen -- Sätze, die scheinbar, zumindest in der heutigen Formulierung, so gar nicht mit dem behäbigen, zentralistischen Staat der chronischen Mangelwirtschaft vereinbar sind. Jede Betrachtung der DDR, auch jede rechtshistorische Analyse, läuft Gefahr, Opfer zu werden -- Opfer von Vorurteilen auf der einen Seite, Opfer eigener Erfahrungen und dem Problem, sich mit seinem Forschungsgegenstand wenigstens ein wenig zu identifizieren. 1
Gerade wegen dieser spannungsgeladenen Aura, welche die Analyse des Rechtssystems im zweiten deutschen Staat, auch im Bereich des Zivilrechts umgibt, scheint es notwendig, zunächst einmal die Fakten zu sammeln. 2
Auch in dieser gekürzten Fassung habe ich daher eine Erläuterung der Regelungen des Zivilgesetzbuches der (ZGB) für das Kaufrecht, also für den Bereich, den die untersuchten Eingaben tangieren, sowie des Eingabenrechts der DDR vorgesehen. Hierbei habe ich mich auf die Regelung von 1969 und das Eingabengesetz von 1975 beschränkt, die Verordnungen von 1953, 1961 und 1966 werden hier nur am Rande erwähnt. 3
Damit soll kein apodiktischer Eindruck erweckt werden, sondern lediglich die Normen in ihrem Zusammenhang dargestellt werden, Hinweise zu einer dogmatischen Einordnung bzw. eine kritische Würdigung, bei der auch das Spannungsverhältnis von Rechtsanspruch und Rechtstatsächlichkeit beleuchtet wird, sind in dieser Fassung wegen der gebotenen Kürze nicht enthalten. Aus dem selben Grund stelle ich die Eingabenanalyse auch nur an einem Beispiel dar - dem Kosmetikkombinat Berlin. 4

2. Die Rechtslage

2.1. Das Zivilgesetzbuch

Am 19. Juni 1975 beschloß die Volkskammer die Verabschiedung eines weitreichenden Gesetzes, des Zivilgesetzbuches (ZGB), welches am 1. Januar 1976 in Kraft trat und damit das bis dahin auch in der DDR geltende Bürgerliche Gesetzbuch vom 1.1.1900 ablöste. Nicht nur, weil das BGB auch in der systemkonkurrierenden Bundesrepublik die Verhältnisse der Bürger untereinander regelte, betrieb die Partei- und Staatsführung der DDR die Außerkraftsetzung. Vielmehr wurde das BGB als unmodern und den neuen, veränderten Strukturen und Aufgaben der Gesellschaft als nicht mehr angemessen empfunden. Mit dem ZGB wurde die letzte umfassende Kodifizierung sozialistischen Rechts geschaffen. 5
Das Gesetz selbst deklamiert diese Funktion, so heißt es programmtisch in § 1 I ZGB: "Die weitere Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes und die Entwicklung der Bürger zu allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeiten sind wesentliche Aufgaben der sozialistischen Gesellschaft. Diesen Aufgaben dient auch das Zivilrecht." Auf westdeutscher Seite wurde hinsichtlich der Modernität des BGB hingegen stets betont, weil es nur Strukturen und nicht Inhalte regele, sei es auf ganz verschiedene Gesellschaftsverhältnisse anwendbar und habe daher den Systemwandel von der Monarchie über die Demokratie, den Faschismus hin wieder zur Demokratie ohne Schaden überstanden. Gerade diese Abstraktheit wurde dem BGB jedoch von seiten sozialistischer Rechtswissenschafter mit dem Verweis, sie diene alleine dem Machterhalt der herrschenden Klassen, vorgehalten. 6
Um die wichtige Rolle des Bürgers zu betonen, finden sich in § 7 grundrechtsähnliche Rechte, eine Konkretisierung des Art. 30 der Verfassung von 1969.1) Dies entspricht einer wichtigen, auch im ZGB an exponierter Stelle, § 1 Abs. 2 genannten Funktion des Zivilrechts -- die weitere Ausgestaltung der verfassungsmäßigen Grundrechte (und -pflichten!).2) Daß hier bei gleichem Prinzip wie in der BRD, wo ebenfalls unbestimmte Rechtsbegriffe und alle Rechtsverhältnisse im Lichte und damit in Konkretion der Verfassung zu betrachten sind, sich mit der Aufgabe von Staatszielbestimmungen und staatlichen Verpflichtungen in das ZGB ein anderes Ergebnis präsentiert, ist einer dogmatischen Konstante des sozialistischen Zivilrechts geschuldet: der staatlichen Leitung zivilrechtlicher Verhältnisse. 7
So entstehen in einer eigentlich "staatsfreien" Sphäre staatliche Direktiven. Der Wortlaut des § 14 verdeutlich dies beispielhaft: "Bei der Vorbereitung, der Begründung und der inhaltlichen Ausgestaltung und der Erfüllung zivilrechtlicher Beziehungen haben die Bürger und die Betriebe vertrauensvoll zusammenzuwirken. Sie haben sich von den Grundsätzen der sozialistischen Moral sowie von der Notwendigkeit der Übereinstimmung der individuellen und kollektiven Interessen mit den gesellschaftlichen Erfordernissen leiten zu lassen."3) 8
Damit greifen letztlich Staats- und Zivilrecht ineinander, eine klare Trennung ist nicht möglich.4) Dieses Phänomen liegt ebenfalls in der staatlichen Leitungsfunktion begründet. 9
Im Kontext der Analyse einer schlichtenden Funktion volkseigener Betriebe bei zvilrechtlichen Streitigkeiten ist nach den einschlägigen Regelungen des ZGB zu fragen. 10
Grundsätzlich konnten Betriebe (Definition in § 11 Abs. 2), zu denen auch staatliche, gesellschaftliche und selbständige Organisationen gehörten (Abs. 3) als juristische Person Rechtsfähigkeit erlangen, gemäß § 11 Abs. 1 hing dies von den jeweiligen Rechtsvorschriften ab.5) 11
Kollisionen zwischen Bürgern und Betrieben konnten, wie erläutert, v.a. im Bereich des Kaufvertrages auftreten, hier regelmäßig des Kaufes neuer Gegenstände, so daß im folgenden der Blick auf die Kaufvertrags- Regelungen des ZGB zu werfen ist. 12
Das dritte Kapitel regelt den Sach-Kauf umfassend: § 133 Abs. 2 bestimmt die Aufgaben der folgenden Paragraphen: Vertragspartner können sowohl Bürger untereinander als Bürgern und Betriebe, Vertragsinhalt können Mobilien und Immobilien aller Arten, neu oder gebraucht sein. Da die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung -- in der DDR gerade Anfang der 70er Jahre ein Problem -- zu den Pflichten des Einzelhandels gehörte (§ 134), gleichzeitig aber das politische Ideal des Interessenausgleiches verfolgt wurde, bestimmt § 135 eine Mitwirkung der Bürger durch Kundenbeiräte und -ausschüsse,6) nach § 136 mußten alle Betriebe des Einzelhandels Kundenbücher7) für Anregungen und Kritik führen, die Einträge wurden als Eingabe verstanden und unterlagen damit dem Eingabenrecht.8) Während das Konsensualprinzip, konstruierte das ZGB zusätzlich zu den auch in § 433 BGB formulierten Rechten und Pflichten aus dem Kaufvertrag weitere Pflichten der Betriebe, quasi in Anbahnung des Vertrages: Sie mußten das vorhandene Warenangebot vollständig präsentieren, die Preise deutlich ausweisen (§ 138), sachkundig beraten und die Ware nach Möglichkeit auch vorführen, sondern waren verpflichtet, bei Übergabe auch alle Instruktionen mit zu übergeben (§ 137).9) Was bei Kenntnis der tatsächlichen Lage in sehr vielen Verkaufseinrichtungen der DDR mindestens ein Lächeln auf die Lippen des Lesers zaubert und damit erneut das bei einer solchen Analyse immer virulente Spannungsfeld von Rechtsanspruch und -wirklichkeit verdeutlicht, ist auf der anderen Seite Ausfluß des in § 133 Abs. 2 S. 3 formulierten staatlichen Anspruchs, mit einer bestimmten Zielsetzung die Rechtsverhältnisse nicht nur zu überwachen, sondern sie aktiv mitzugestalten: "Die Bestimmungen über den Kauf dienen der Sicherung der Rechte der Bürger und der Erhöhung der Verantwortung der Betriebe des Einzelhandels bei der Versorgung der Bürger mit Konsumgütern entsprechend ihren wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnissen." 13
Auch andere moderne Verkaufsweisen berücksichtigt das ZGB: Versendungskauf, Ratenkauf, Kauf nach Muster oder zur Probe (§§ 142-145).10) 14
Was nun aber, wenn der Käufer der hohen Ansprüche an den Betrieb und sein Zusammenwirken mit ihm zum Trotz doch nicht mit der gekauften Ware zufrieden ist?11) Grundsätzlich sind -- wie im BGB -- zwei Varianten zu unterscheiden: a) im gefällt die Ware nicht, b) die Ware hat einen Mangel. Im erstgenannten Fall läßt § 146 dem Verkäufer die Freiheit, einen Umtausch zu gestatten, verpflichtet ihn aber nicht dazu. Bei der zweiten Variante hat der Verkäufer weit weniger Freiheiten: Der verkauften Sache eignet ab Übergabe eine Garantie12) zu, die sich einerseits auf die Übereinstimmung mit Güte-, Sicherheits- und Schutzvorschriften, auf die Beschaffenheit zum üblichen, vom Hersteller vorgesehenen oder zugesicherten Gebrauch hat, auf vom Verkäufer zugesicherte Eigenschaften13) oder dem Vertragszweck entsprechenden Erfordernisse bezieht (§ 148).14) Außer bei Waren, die bald verzehrt werden oder durch ihre Beschaffenheit eine eingeschränkte Nutzungsdauer haben und bei denen die Frist entsprechend verkürzt ist, beträgt die Garantiezeit sechs Monate, kann aber im Einvernehmen beider Parteien auch verlängert werden (§ 149). 15
Aufgrund der Funktion des Zivilrechts im Prozeß des gesellschaftlichen Fortschritts bestimmt § 150 in Form einer Soll-Vorschrift die Verpflichtung der Hersteller, für "geeignete Waren eine längere Garantiezeit" zu gewähren, die allerdings auch auf bestimmte Bereiche beschränkt werden kann.15) Bei einem auftretenden Mangel stehen dem Käufer dieselben Rechte wie bei der "üblichen" Garantie zu. Diese Rechte sind umfassend, denn nach § 151 kann der Käufer wahlweise Nachbesserung (auch von einer Vertragswerkstatt), Ersatzlieferung (auch vom Hersteller), Preisminderung oder -rückzahlung verlangen. Im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes des Käufers konzipiert das ZGB hier einen Übergang der Forderung zu Lasten Dritter.16) Andererseits war diese Lösung in ihren Folgen so dramatisch nicht, da zwischen Einzelhandel und Werkstätten respektive zwischen Einzel- und Großhandel faktisch Kontrahierungszwang bestand, die unfreiwillig übernommenen Verpflichtungen sich also nicht wettbewerbsmindernd auswirkten und zugleich in solchen Fällen regelmäßig Ausgleichszahlungen vereinbart wurden. Die Garantieansprüche des Käufers sind noch unter einem zweiten Aspekt umfangreich: Dem Käufer steht ein Ersatzanspruch für alle im Zusammenhang mit der Wahrung des Anspruches entstandenen Kosten zu, bei Sachen, die gemäß § 140 frei Haus zu liefern sind, erstreckt sich der Anspruch auch auf Abholung und erneute Lieferung. Gleichzeitig findet mit Übergabe oder Einsendung ein Gefahrübergang zu Lasten des Garantieverpflichteten statt.17) Zusätzlich wird die Position des Käufers durch die einen weiteren Schadensersatzanspruch hinsichtlich aller Mangelfolgeschäden (§ 156) gestärkt. 16
Eine Sonderrolle bei den Garantierechten spielt die Nachbesserung: § 152 bestimmt, daß Verkäufer oder Hersteller ihr unter bestimmten Voraussetzungen -- einwandfreie Mangelbeseitung und Wahrung der Interessen des Käufers -- den Vorzug geben können, freilich verlängert sich die Garantiezeit dann um den Zeitraum zwischen Mängelanzeige und Rückgabe an den Käufer (§ 154 I). Fristen und Bedingungen wurden durch Rechtsverordnung bestimmt18). Schlägt die Nachbesserung jedoch fehl oder erfolgt sie nicht fristgemäß, kann der Käufer alle andern Rechte geltend machen, § 153. Insofern wurde also die Wahlfreiheit der Käufer eingeschränkt. 17
Es existiert jedoch auch noch eine gesetzessystematische Einschränkung, denn im Kapitel über die Stellung der Betriebe regelt § 10 Abs. 2 S. 1 deren Verpflichtung, "solche Waren bereitzustellen und Leistungen zu erbringen, die eine planmäßige Versorgung"19) sichern. Dem Bürger kommt damit ein allgemeiner Versorgungs-20), aber kein Rechtsanspruch zu; zudem umfaßt dieser nur Waren oder Dienstleistungen, die dem jeweiligen Plan entsprechend zu realisieren waren21) -- auf Angestrebtes, Gewünschtes, aber nicht Geplantes bestand überhaupt kein Anspruch. 18
Abschließend noch ein Blick auf die Erfordernisse einer Geltendmachung der Garantieleistungen: Die verbindliche Ausschlußfrist setzt nach § 157 Abs. 2 zwei Wochen nach Ablauf der Garantiezeit ein, allerdings sollen die Ansprüche gleich nach Mangelfeststellung erfolgen (Abs. 1). Weitere Voraussetzungen sind die Beibringung entsprechende Nachweise und die Geltendmachung dem Verkäufer gegenüber.22) Die weitere Abwicklung obliegt dem Anspruchsgegner, auch hierbei ist die Orientierung des ZGB an den Interessen der Käufer nicht zu übersehen: Zum einen muß die Entscheidung über eine Anerkennung sofort bei Bekanntwerden gefällt werden, nur in Ausnahmefällen ist eine Zweiwochenfrist zulässig, zum anderen ist eine Weiterverweisung an andere Garantieverpflichtete untersagt, und schließlich darf eine Garantieleistung des Einzelhandels nicht von der des Großhandels oder Herstellers abhängig gemacht werden. 19
Durch die ergänzende Rechtsverordnung wird die Rechtsposition des Käufers zusätzlich gestärkt: Ist er mit der Entscheidung des Betriebs nicht einverstanden, kann er sich zur erneuten Überprüfung an den jeweiligen Leiter wenden;23) die Einlegung von Rechtsmitteln wird dadurch nicht berührt.24) Diese Regelung weist zugleich auf ein großes Problem bei der Bearbeitung von Garantieansprüchen -- ein Problem, das auch im folgenden Abschnitt hinsichtlich der Eingaben auftauchen wird. Zwar bestimmt § 157 Abs. 1, der Käufer mache den Anspruch dem Verkäufer gegenüber geltend, damit ist jedoch regelmäßig nicht die Person, sondern die Verkaufseinrichtung gemeint,25) zudem trifft die Mitarbeiter oder den Leiter nach § 158 Abs. 1 bei jeder möglichen Einlegung von Garantieansprüchen eine Beratungspflicht. Auf der anderen Seite wird er verpflichtet, die Durchführung des Gesetzes zu kontrollieren; da aber die Gewährung von Prämien häufig von der Qualität der Waren, und damit mitttelbar auch von der Zahl der Garantiefälle abhing, war eine Interessenkollision damit fast schon vorprogrammiert. Ob es diese tatsächlich gegeben hat, respektive, ob Entscheidungen über eine Garantieleistung hiervon abhingen, ist eine Frage, der im empirischen Teil dieser Untersuchung nachzugehen sein wird.. 20

2.2. Das Eingabengesetz

Am 20.11.1969 erließ der Staatsrat neue Regelungen zum Eingabenwesen,26) die als Konkretisierung der Art. 21 u. 103-10527) der DDR-Verfassung gesehen wurden. Dieser Erlaß bietet erstmalig eine Definition der Eingaben,28) deren "gründliche Prüfung und sorgfältige Bearbeitung" ebenfalls zum ersten Mal innerhalb des Erlasses explizit als Verfassungsgebot interpretiert wird.29) Außerdem findet sich nun eine deutliche Festlegung, die Eingaben müßten "auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen"30) entschieden werden. In der Fasssung von 1961 respektive 1966 hatte es noch recht unkonkret geheißen: "Die Leiter […] sind verpflichtet, im Rahmen der Gesetze […] den Bürgern bei der Überwindung persönlicher Schwierigkeiten zu helfen."31) Diese Formulierung zielt nicht direkt auf die Eingabenbearbeitung ab, da sie auch 1969 neben der zitierten Wendung als weiterer Punkt in den Bearbeitungsgrundsätzen enthalten sind.32) 21
Ein weiteres Novum stellt der im Vergleich zu den alten Fassungen deutlich ausgeweitete Adressatenkreis dar: Auch die Leiter von Wirtschaftsorganen, Kombinaten, Betrieben und anderen sozialistischen Einrichtungen werden nun verbindlich zur Eingabenarbeit verpflichtet.33) Dabei sind bei der Analyse zugleich höhere Anforderungen zu erfüllen: So ist grundsätzlich der Kreis derjenigen, die von den Eingabenergebnissen zu unterrichten sind, bzw. ein Mitspracherecht bei der Auswertung haben, vergrößert, muß die Kritik an Arbeits- oder Verhaltensweise verantwortlicher Mitarbeiter im Rahmen von Dienst- oder Personalbesprechungen diskutiert werden und sollen die Ergebnisse anderer Organe bei der Auswertung ebenfalls miteinbezogen werden.34) 22
Wesentliche Neuerungen enthalten auch die Abschnitte IV und V des Eingabenerlasses, in denen erstmalig die Möglichkeit der Beschwerde gegen Entscheidungen über Eingaben sowie die Beschwerden über die Ergebnisse dieser erneuten Überprüfung von Eingaben regelt. Freilich beschränken sich die Festlegungen auf die persönliche, sachliche und örtliche Zuständigkeit, die Modalitäten der Entscheidungsfindung, Fristen etc. sind nicht bestimmt. Ausführlicher sind die Regelungen über den Beschwerdeausschuß, die auf Bezirks-, Kreis- und Stadtebene bestehen und an die sich der Bürger einzeln oder als Gemeinschaft wenden kann, wenn einer Beschwerde gegen ein dem Eingabenwesen unterliegendes Organ nicht oder nicht ausreichend abgeholfen wurde. Diese Ausschüsse stellen jedoch kein gesetzliches Rechtsmittel dar,35) es handelt es sich um eine freiwillige Schlichtungmöglichkeit, die erst nach Ausschöpfung der Rechtsmittel bemüht werden soll.36) Die Rechte dieses Ausschusses sowie die Anforderungen an die Entscheidungsfindung werden anschließend geregelt. Aus westdeutscher Sicht läßt sich formulieren, daß eine Prüfung der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der Entscheidungen vorzunehmen ist, zu der jedoch noch weitere, subjektive Bewertungsfaktoren hinzu kommen: So ist zu prüfen, ob die sozialistische Leitungstätigkeit korrekt durchgeführt und ob die berechtigten Interessen des einzelnen beachtet wurden.37) 23
Insgesamt zeigen die Änderungen des Jahres 1969, daß das Eingabenwesen zuvor noch immer nicht die ihm zugedachte Position ausgefüllt hatte, so erfolgten exaktere Festlegungen, der Geltungsbereich wurde weiter ausgedehnt. Zugleich wurden auch die Einspruchsmöglichkeiten für Bürger (freilich mit den oben genannten Problemen), die mit dem Ergebnis der Eingabenbearbeitung unzufrieden waren, erhöht, so daß diesem Erlaß -- auch in Anbetracht des mit 31 Paragraphen deutlich vergrößerten Umfangs -- die Attribute einer großen Transparenz und einer Stärkung der Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten zukommen. Ob diese formal gegebenen Möglichkeiten in der Rechtswirklichkeit auch umgesetzt werden konnten, ist eine andere, hier nicht zu beantwortende, Frage. 24
Am 19.6.1975 und damit gleichzeitig mit dem Zivilgesetzbuch wurde das Eingabengesetz vom Vorsitzenden des Staatsrates verkündet.38) Im Gegensatz zum ZGB trat es allerdings schon zum 1.7.1975 in Kraft. 25
Das Gesetz übernimmt die Eingabendefinition des vorstehend erläuterten Erlasses: Sie kann als Vorschlag, Hinweis, Anliegen oder Beschwerde39) vom Bürger oder anderen gesellschaftlichen Organisationen mündlich oder schriftlich an einen Personenkreis gerichtet werden, der im Vergleich zur Regelung von 1969 noch einmal erweitert ist: Abgeordnete, Volksvertretungen, Kombinate, volkseigene Betriebe, staatliche und wirtschaftliche Organe sowie sozialistische Einrichtungen und Genossenschaften40) sind nach § 1 Abs. 1 mögliche Eingabenempfänger. Auch der seit der ersten Normierung 1953 geltende Grundsatz, den Einlegern dürften keine Nachteile entstehen, findet wieder Aufnahme in das Gesetz.41) Nicht als Eingabe zählten, wie schon im Erlaß des Jahres 1969, die Geltendmachtung von Rechtsmitteln42) und die Einlegung von Neuerervorschlägen43). 26
Bei der Eingabe handelte es sich um ein mehrstufiges Rechtsinstitut: Zunächst sollte44) die Eingabe bei dem Organ, Betrieb, Kombinat oder der Einrichtung eingelegt werden, dessen Struktur oder das Verhalten einzelner Mitglieder sie verursacht hatte. Dabei ist auch hier die Tendenz, die Hemmschwelle möglichst weit abzusenken, zu beobachten; es wurden daher Regelungen, die schon von 1953 an galten, auch in dieses Gesetz übernommen: Die Eingaben konnten mündlich zur Niederschrift erfolgen; weiterhin sind die Leiter aller möglichen Eingabenadressaten verpflichtet, regelmäßig öffentlich angekündigte Sprechstunden anzubieten, in denen sich Bürger beraten lassen sowie ihre Kritik oder Anregungen auch persönlich vorbringen können.45) 27
Die Entscheidungsbefugnis, auch hinsichtlich der Weiterleitung an andere Stellen, blieb bei den Leitern des jeweiligen Eingabenadressaten; eine Neuerung stellt die nunmehr explizit genannte persönliche Verantwortung für den ordnungsgemäßen Umgang mit den Eingaben dar.46) Hierzu zählte auch, daß die Nichtbeachtung der Eingabe oder die Nichtdurchführung von auf ihrer Grundlage angekündigten Maßnahmen regelmäßig Grund eines Disziplinarverfahrens war.47) Das bereits oben konstatierte Bemühen um eine hohe Transparenz prägt auch dieses Gesetz, in dem schon zuvor angewandte Elemente wie die Festlegung, daß Mitarbeiter oder Leiter, deren Verhalten oder Arbeit die Eingabe kritisierte, sie nicht bearbeiten durften48) und der Eingabensteller einen Anspruch auf eine mündliche oder schriftliche Begründung der Antwort hatte.49) Daneben traten neue Bestimmungen, so die einheitliche Bearbeitungsfrist von vier Wochen50) und vor allem die Verpflichtung der Leiter, die Modalitäten der Eingabenbearbeitung in einer Eingabenordnung genau festzulegen.51) Im Gegensatz zur Fassung von 1969, welche bei der Eingabenbearbeitung die Anwendung gesetzlicher Regelungen mit den Maßgaben sozialistischer Leitungstätigkeit verband, heißt es im Eingabengesetz nur noch, die Entscheidung "erfolgt auf der Grundlage der jeweiligen Rechtsvorschriften"52). 28
Vereinheitlicht wurde auch die Möglichkeit, gegen unbefriedigende Entscheidungen über Eingaben vorzugehen: Das Gesetz begründet hierfür generell, freilich mit Ausnahme der Leiter zentraler Staatsorgane, die Zuständigkeit der Leiter jeweils übergeordneter Organe.53) Allerdings fehlen Regelungen über die bei einer Überprüfung anzuwendenden Maßstäbe. Die Beschwerdeausschüsse wurden abgeschafft,54) an die Stelle der Beschwerde tritt die Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung nach dem schon 1971 in Kraft getretenen Rechtsmittelgesetz. 29
Das Bestreben, den immer wieder in der Literatur begegnenden Widerspruch zwischen Dogmatik (wichtige Rolle des Eingabenwesens in der sozialistischen Demokratie) und Realität (Eingaben werden schlecht, falsch oder gar nicht bearbeitet) aufzulösen, findet seinen Niederschlag in zwei Normen, die auf die Erziehung der Eingabenadressaten zielen: Gleich in § 2 des Gesetzes wird ein "achtungsvolles Verhalten gegenüber den Bürgern" sowie eine "sorgfältige und schnelle Bearbeitung" als grundlegende Verhaltenspflicht festgelegt (Abs. 1). Das Ziel sei, "den Bürgern bei der Überwindung persönlicher Schwierigkeiten zu helfen, ihr Vertrauen zu den Staatsorganen zu stärken [...] und die sozialistische Gesetzlichkeit zu festigen" (Abs. 2). 30
Auch das Eingabengesetz schreibt eine regelmäßige Auswertung, die Grundlage der folgenden Planerfüllung und Rechenschaftslegung sein müsse, sowie Pflicht der Volksvertretungen, ihre Entwicklungsplanung von der Eingabenauswertung abhängig machen, vor.55) Bindeglied zwischen ihnen und den Eingabenadressaten ist der jeweilige Rat, dem zugleich bereits eine Interpreationsfunktion zukommt, denn er nicht über alle Eingaben, sondern nur über die "Schwerpunkte" der zu einem bestimmten Bereich vorliegenden Eingaben berichten (§ 10). 31
Ebenfalls aus den Erlassen übernommen ist die Bearbeitung der Eingaben in enge Zusammenarbeit der Leiter mit Ausschüssen der Parteien (Nationaler Front), Gewerkschaften und andern gesellschaftlichen Organisationen.56) Dies legt die Vermutung nahe, daß Beschlüsse von Partei und Regierung zur Wirtschaftsstruktur, Innen- und Außenpolitik etc. für die Klärung von Eingaben nicht ganz unbedeutend waren, wenngleich dieses Gesetz nicht explizit die Orientierung an ihnen vorschreibt. Gerade vor dem Hintergrund des Bestrebens, gesellschaftlichen Fortschritt und individuelle Ansprüche in Kongruenz miteinander zu bringen, ist es fast schon vorprogrammiert, daß im Rahmen der Eingabenbearbeitung beim Bürger Verständnis für die aktuelle gesamtökonomische oder warenwirtschaftliche Lage geweckt wird. In der Literatur wird diese Entwicklung auch beschrieben.57) Inwieweit dieses Spannungsverhältnis zu einer wirklich von politischen Vorgaben unabhängigen Bearbeitung der Eingaben führte oder führen konnte, hängt von vielfältigen Faktoren (politische und wirtschaftliche Lage, Art der Eingabe, Struktur und Funktion des Organs, Person und Funktion des Leiters etc.) ab, so daß sich die Antwort nur für einzelne Betriebe oder Institutionen und nur nach einer genauen Eingabenanalyse geben läßt. 32

3. Zur Quellenlage

Es war das Jahr 7 nach der Wende, in dem ich begann, mich mit dem Thema Eingaben zu beschäftigen, ein Jahr der Umorientierung im Umgang mit dem ehemaligen zweiten deutschen Staat: Die DDR war längst zu einem Kapitel, manchmal auch zu einer Episode deutscher Geschichte geworden. Während in den ersten Jahren nach der Wende aber die Verdrängung, die Ignorierung dieses Staates -- nicht nur durch die Bürger der Bundesrepublik -- im Vordergrund stand, ging es nun verstärkt um eine -- mal mehr, mal weniger intensive -- Auseinandersetzung mit dem Leben in der DDR. Die hochgeschlagenen Wellen gegenseitiger Anschuldigungen und Mißverständnisse, aber auch der gesamtdeutschen Einheitsfreude ebbten ab, stattdessen wehte ein leichter Wind der neuen Normalität, der gesamtdeutschen Identität, der ruhigeren Diskussion oder auch des (trotzigen) Stolzes auf die DDR. 33
Hinsichtlich der Situation der hier interessierenden Akten, allesamt Unterlagen von Betrieben und Kombinaten, war es allerdings schon zu spät: Kurz nach der Wende, im Gedanken, nur schnell mit der 40-jährigen Ost-Vergangenheit abzuschließen, wurden die Akten vernichtet, nur teilweise aufbewahrt oder bei Konkurs bzw. Schließung ihrem Schicksal überlassen. Einen genaueren Überblick über das zur Verfügung stehende Material gebe ich sogleich. Zuvor jedoch einige Bemerkungen zu einer zweiten Disparität, die bei Beschäftigung mit dem Aktenmaterial zunehmend an Bedeutung gewann: 34
So wenig Archivmaterial es auf der einen Seite gibt, oder besser: so wenig systematisch Erhaltenes und Erschlossenes, so groß die Lücken und so zufällig die Aufbewahrung ist, so viele Zeitzeugen gibt es auf der anderen Seite. Das erscheint zunächst evident, es ist jedoch festzuhalten, daß diese Zeitzeugen selten die Gelegenheit haben, ihre Kenntnisse und Erfahrungen einzubringen -- das birgt zwei Probleme: Zunächst heißt dies für die Wissenschaft, daß sie, wenn wenigstens in einigen Jahren die umfassende wissenschaftliche Beschäftigung mit der DDR einsetzt, zumindest bei der "oral history" auf Augenzeugen zurückgreifen muß, deren Erinnerung durch den langen dazwischenliegenden Zeitraum vielleicht nicht getrübt, so doch verändert ist. Die späte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und den Zeitzeugen verdeutlicht diese Problematik hinreichend. 35
Die andere Schwierigkeit wiegt für den einzelnen schwerer, es ist die individuell-psychologische: Wenngleich ich hier nicht an die mittlerweile vorliegenden tiefen- oder massenpsychologischen Deutungen anknüpfen möchte, liegt es auf der Hand, daß die Situation der DDR-Bürger, eine Biographie zu haben, die nicht dem "West-Standard" entspricht, Erfahrungen, Hoffnungen, Träume und Frustrationen gehabt zu haben, die für viele aus der Bundesrepublik stammende Menschen nicht nachvollziehbar sind, Opfer von Vorurteilen zu sein -- kurzum eine Biographie zu haben, die heute eigentlich niemanden so recht interessiert, eher Anlaß zu Entschuldigungen als zum Stolz bietet, eine belastende ist. 36
Ich erwähne dies deshalb, weil mir bei meinen Recherchen immer wieder aufgefallen ist, wie zwiespältig die Situation in der Regel war: Zunächst das kritische Abwarten, wenn eine Frau aus dem Westen kommt und an Erfahrungen mit Eingaben interessiert ist -- zu welchem Zweck, was will sie damit, welche Einstellung hat sie zur DDR? Alles völlig legitime Fragen und auch ein Grund zur Distanz; dann aber, wenn deutlich wurde, daß ich schon ein längerfristiges Interesse an dem Thema habe und nicht nur mein DDR-Vorurteil bestätigt haben wollte, daß ich gar selber Erfahrungen mit dem Leben in diesem Staat habe, eine sehr große Aufgeschlossenheit und die Bereitschaft, mir nicht nur -- teilweise unter großem Aufwand -- Material zu beschaffen, sondern fast eine Erleichterung, daß Erlebnisse und Erfahrungen, Stationen des eigenen Lebens nachgefragt wurden und wichtig waren. Teilweise war dies fast bestürzend, weil daran deutlich wurde, welchen Druck die Ignorierung der DDR in der öffentlichen Diskussion auf die betroffenen Menschen ausübt. Wenngleich dies ein Exkurs ist, halte ich die Auseinandersetzung mit der Situaiton und Motivation von Zeitzeugen, also letzlich mit Millionen Bürgern, für konstitutiv bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Zivilrecht der DDR. 37
Ich habe -- gerade weil die Aktenlage oft unvollständig war bzw. mir Detailkenntnisse betrieblicher Abläufe fehlten -- große Unterstützung erfahren, hierdurch ist mir vieles transparenter, das Gesamtbild vervollständigt worden. Dafür schulde ich allen Beteiligten großen Dank. 38
Zurück zur Quellenlage: Aus der Themenstellung ergibt sich, daß es bei meiner Untersuchung um Eingaben bei, respektive hinsichtlich Betrieben der Konsumgüterindustrie ging. Ich habe mich dann an größere Betriebe bzw. ehemalige Kombinate im Raum Berlin gewandt, um zu recherchieren, ob und in welchem Umfang dort noch Eingaben vorhanden sind, bzw. ob der weitere Verbleib bekannt ist. Gerne hätte ich einen Schwerpunkt auf die Geschichte des "Bebosher (2000)", eines Herren-Trockenrasieres der Firma Bergmann Borsig in Wilhelmruh gelegt, weil ich mit den Problemen dieses Gerätes durch meine Familie vertraut war und es sich dabei zugleich um ein Produkt handelte, das innerhalb der DDR selten -- und dann zu einem hohen Verkaufspreis -- zu erstehen war. Der "Bebosher" wäre ein ideales Untersuchungsobjekt gewesen, da einerseits seine Tücken zu einer Flut von Eingaben geführt haben muß, andererseits die Bürger bei Nicht- oder Schlechtfunktionieren eines solchen teuren Geräts höhere Ansprüche an die Gewährleistung durch den Betrieb stellten und es diesem schließlich, anders etwa als bei Massenwaren, nicht möglich war, einfach die Eingabe mit einer Ersatzlieferung zu bescheiden. Die Effektivität des Eingabenwesens als Konfliktvermeidungs- bzw. Beilegungsmechanismus hätte sich in diesem Bereich besonders gut -- weil unter erschwerten Bedingungen -- ablesen lassen. 39
Leider verfügt zwar das Landesarchiv Berlin über umfangreiche Akten des Kombinatsteils Bergmann-Borsig58), die jedoch keine Eingaben enthielten. Zwar war es durch das Material möglich, die innerbetriebliche Geschichte -- Planung, Maßnahmen, Qualitätssicherung, Prüfung, Fehlerberichte etc. -- des Rasierapparats zu rekonstruieren, allein das wäre eine andere Untersuchung. 40
Jedoch fanden sich im Archivteil an der Breiten Straße zahlreiche andere "Betriebsnachlässe" aus dem gesamten Zeitraum des Bestehens der DDR, der Berlin-Chemie etwa59), des Getränkekombinats60), aber auch sie enthielten keine Eingaben. Glück hatte ich hingegen mit zwei Kombinaten -- dem Kosmektik-Kombinat Berlin, dessen Existenz in die Endphase der DDR fällt, und mit den Unterlagen des Betriebsteils "Libelle" des Back-Kombinats Berlin (BaKo) in Biesdorf aus den Jahren 1968-1970. Bei beiden finden sich zwar keine Originaleingaben, sondern nur die statistischen Auswertungen, die aber im Fall des Kosmetik-Kombinats gut nutzbar waren, da der Inhalt der Eingaben aus anderen Quellen rekonstruierbar ist. Diese Dokumente sind außerdem wichtig, weil sie für den gesamten Zeitraum des Bestehens des Kombinats erhalten sind und somit einen umfassenden Blick auf die Eingabenarbeit erlauben. 41
Das BaKo stellt eher eine Episode dar, aber auch hier ließ sich rekonstruieren, was die Kunden bei den Back-Produkten bemängelt hatten; der Grund, warum ich hiermit beschäftigt habe, liegt primär darin, daß es sich um -- zudem billige -- Massenprodukte mit schnellen Verfallsdatum handelt, für deren Mängel Ersatz zu leisten den Betrieb nicht vor große finanzielle oder logistische Probleme stellt (wie etwa bei komplizierter und seltener Technik). Allerdings ist gerade hier die Frage, ob der Mangel nicht auf dem Tranport oder beim Händler aufgetreten ist und sich aus den Reaktionen des Betriebs -- bei aller Vorsicht hinsichtlich Verallgemeinerungen -- ablesen läßt, inwieweit die Eingaben nicht nur Regulans zur Behebung berechtigter Gewährleistungsansprüche, sondern auch Ausdruck der Kulanz des Betriebes sind. 42
Nachdem ich im Berliner Raum keinen Betrieb mehr aufgetan hatte, der seine diesbezüglichen Unterlagen noch besaß oder mir zur Verfügung stellen wollte, bekam ich von einer ehemaligen Konsum-Mitarbeiterin den Tip, es doch einmal beim Verband der Konsumgenossenschaften zu probieren, da sei noch vieles archiviert. Dort fand ich nicht nur freundliches Entgegenkommen, sondern auch die gesammelten Eingaben einzelner ehemaliger Konsumbetriebe. Glücklicherweise waren dies nicht nur die innerbetrieblichen Statistiken, sondern auch die Originalschreiben der Kunden bzw. Protokolle ihrer Anrufe sowie die Protokolle der Beschäftigung mit diesen Eingaben. 43
Das ist deshalb so wesentlich, weil die reinen Statistiken keinen Aufschluß über die Funktion der Eingaben und auch keinen Erklärungsansatz bieten. Auch die Gegenüberstellung der Zahl der Eingaben mit den Ergebnissen führt nur begrenzt weiter, weil sich der konkrete Inhalt, Ton und Argumentation der Eingaben, aber auch der Grund für ihre Bearbeitung mit diesem oder jenem Ergebnis oft nur erahnen läßt, wie das Beispiel des Backkombinats zeigt. 44
Von dem zahlreichen Material möchte ich hier zwei verschiedene Komplexe vorstellen: Zunächst die umfangreiche Sammlung von Eingaben des Seifenwerks in Riesa sowie, weil es ein spannendes und fast schon exotisches Kapitel der DDR-Warenwirtschaft ist, die Eingaben, die wegen der Schließung der einzigen Versandhäuser im zweiten deutschen Staat entstanden und deren Bearbeitungen die Hintergründe der heimlichen und stillschweigenden Schließung der gerade in Mode gekommenen neuen Art der Warenhäuser erhellen. 45

4. Auswertung

Das Kosmetikkombinat Berlin (KKB) wurde -- wie viele andere -- 1980 infolge des Beschlusses des Präsidenten und Ministerrats vom Juni 1979, v.a. aus 60 Betrieben der VVB61) Leichtindustrie, gegründet.62) Es hatte seinen Sitz in der Anklamer Str. 38 (heute Gewerbehof der "Weiberwirtschaft"), erster Generaldirektor war Wolfgang Teichmann, ab 1981 Günther Taubert, der im April 1986 von Christa Bertag abgelöst wurde. 46
Mit seinen sieben Kombinatsbetrieben und fast 9.000 Angestellten produzierte das KKB etwa 97% aller Kosmetika der DDR. Dazu gehörten u.a. Parfume, Make up, Mund-, Haut-, Haar- und Zahnpflegeprodukte. 47
1990/91 wurde das Kombinat aufgelöst, sein Stammbetrieb zur Berlin-Kosmetik GmbH, die nach zahlreichen finanziellen Turbulanzen noch immer besteht und v.a. die schon zu DDR-Zeiten bekannten, damals exklusiven, Marken "Indra" (Make up) und "Koivo" (Haut- und Haarpflege) vertreibt. Auch zwei andere ehemalige Betriebsteile produzieren bis heute (nicht nur) altbekannte Produkte mit neuer Ausstattung und geben damit auch dem gelernten West-Bürger die Möglichkeit, produktbezogene Schwerpunkte der Eingaben nachzuvollziehen: Die Elbe-Chemie, heute Dental-Kosmetik GmbH aus Dresden ("Elkadent", "Perlodont" etc.) und das chemische Werk Miltitz, heute Florena-Kosmetik GmbH mit Sitz im ehemaligen Zweigbetrieb Waldheim/Sachsen. 48
Im ersten Halbjahr 1980 arbeitete das KKB noch mit der Eingabenordnung des Stammbetriebes, die zum September geändert wurde. Die Eingabenbearbeitung folgte dem üblichen Verfahren: Alle Eingaben wurden im Büro des Generaldirektors gesammelt, dann -- nach entsprechenden Recherchen -- vom zuständigen Leiter beantwortet. Zudem wurde halbjährlich eine Analyse für das Ministerium, hier der Chemie-Industrie, gefertigt. 49
Die Aufschlüsselung der Eingaben, die sich nach der jeweiligen Eingabenordnung der Betriebe richtete, variierte nur leicht, so daß die Aufteilung im KKB auch stellvertretend für Eingaben in anderen Betrieben oder Bereichen steht: 50
1. Arbeits- und Lebensbedingungen 51
2. Versorgung der Bevölkerung 52
3. Kader und arbeitsrechtliche Probleme 53
4. Sonstige63) 54
In der ersten Gruppe stand die Wohnraumversorgung, in der dritten Fragen nach der tariflichen Einstufung im Vordergrund, der quantitative Schwerpunkt lag aber auf der zweiten Gruppe: Im 1. Halbjahr 1980 entfielen auf sie etwa 77% aller Eingaben.64) Aus diesem Grunde wurde sie näher aufgeschlüsselt: 55
a. Qualitätsfragen (183 Eingaben, 35%) 56
b. unzureichende Bereitstellung (154 Eingaben, 29%) 57
c. Preisfragen (187 Eingaben, 36%) 58
Die Verteilung, nach der über drei Viertel der Eingaben produktbezogen waren, blieb über den gesamten Zeitraum bis 1990 -- bei den üblichen leichten Schwankungen freilich -- unverändert. Ein Blick auf die inhaltlichen Schwerpunkte der Eingaben. 59
Hinsichtlich der Qualität wurde etwa moniert, daß das Mascara verschmiert, Tuben platzen, die "Perlodont"-Zahnpasta keine blauen Streifen (mit Pfefferminzgeschmack) hat bzw. die Mundwinkel rötet, eine Heimdauerwelle keinen entsprechenden Effekt erzielt, der Drehmechanismus der Lippenstifte defekt ist oder sich ein Shampoo zersetzt. -- Dies alles sind Sachmängel, die dem Käufer nach dem ZGB65) entsprechende Gewährleistungsrechte an die Hand gaben. Hier befindet sich das Eingabenwesen in direkter Konkurrenz zu einer gerichtlichen Einigung, bei der sich der Käufer jedoch gegen den Verkäufer -- also die entsprechene Verkaufsstelle -- gewandt hätte, nicht gegen das KKB. 60
Für den Bürger -- der seine Eingabe nach Eingabenrecht ja an jede staatliche Stelle richten konnte und somit auch mit dem KKB, zu dem auch ein sachlicher Bezug bestand -- den "richtigen" Adressaten hatte, wirkte sich die Verschiebung der rechtlichen Verantwortung negativ aus: Das KKB führte die meisten Eingaben entweder auf Benutzungsfehler der Käufer oder auf falsche Lagerung im Einzelhandel zurück. Damit hatte der Bürger zwar eine Antwort, aber keine Ersatzlieferung für das mangelhafte Produkt. Aus den Unterlagen läßt sich auch nicht ersehen, ob die entsprechenden Eingaben dann an den Einzelhandel zur Erledigung weitergereicht wurden. Auch die Frage, wie sich die Bürger nach einem solchen, für sie unbefriedigenden, Ergebnis verhielten, ob sie sich dann an den Einzelhandel wandten oder ihren Anspruch doch noch vor Gericht -- wenn die Fristen nicht schon abgelaufen waren -- durchzusetzen versuchten, müßte, idealiter an Produkten, die ziemlich teuer waren, untersucht werden. 61
So kam den Eingaben weniger der Charakter eines rechtlichen Behelfs, als vielmehr einer Anregung oder Beschwerde, bei der allein das Recht, eine Antwort zu erhalten, verbindlich war, zu. Der Generaldirektor des KKB wertete die Eingaben daher auch primär unter dem politischen Aspekt: Das Problembewußtsein der Bürger sei gestiegen, und man müsse sie an den anstehenden Veränderungen beteiligen. Anstelle der Rechtsposition oder der Verbrauchermentalität tritt hier das Recht der Teilhabe an der Planung und Produktion. 62
Dieses Verständnis des Eingabenwesens zeigt sich auch in der Interpretation des Kombinatsleiters in seinem Bericht an Minister Wyschofsky, bei dem jedoch darauf hinzuweisen ist, daß es sich quasi um die offizielle Lesart handelt: "Mit Hilfe der Partei- und Gewerkschaftsorganisation wird die politisch-ideologische Erziehungsarbeit verstärkt, um zu erreichen, daß jeder Werktätige auf seinen Vorschlag eine Antwort erhält und daß die erwarteten Veränderungen eintreten."66) 63
Auf die unzureichende Bereitstellung wurde v.a. bei zwei Produkten hingewiesen -- dem Prothesenreiniger "Helon" und den Augenbrauenstiften der Berlin-Kosmetik. Bei diesen Augenbrauenstiften war das Hauptproblem, daß sie aus dem sog. nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet importiert wurden. Wegen der chronischen Devisenknappheit der DDR wurden hier nur unzureichende Mengen beschafft und der Import Ende 1980 ganz eingestellt. Dies wurde den Bürgern, die sich mit entsprechenden Eingaben an das KKB gewandt haben, auch mitgeteilt. Wie genau die Argumentation verlief, läßt sich nur erahnen, da keine entsprechenden Muster erhalten sind, sondern nur die innerbetriebliche Auswertung. Es liegt aber die Vermutung nahe, daß man ähnlich verfahren ist wie bei der Einstellung des Versandhandels, wo der Bevölkerung die schwierige wirtschaftliche Situation vor Augen geführt und an ihr Verständnis appelliert wurde. 64
Jedenfalls ist dies ein Bereich, wo die Eingabenarbeit ganz explizit einen politischen Gehalt bekommt: Das KKB mußte dem unzufriedenen Bürger die staatliche Wirtschaftspolitik verdeutlichen. Hier diente die Eingabenbearbeitung nicht mehr nur dem Schlichtung von Streitigkeiten, sondern zugleich der Erziehung der Bürger. Ob diese allerdings immer das entsprechende Verständnis aufbrachten, erscheint mehr als zweifelhaft. So kann der Generaldirektor zwar in seiner Analyse für das erste Halbjahr 1984 vermerken, die Anzahl der Eingaben zur Versorgung mit Augenbrauenstiften und Mascara (auch hier mußten die Bürstchen aus dem westlichen Ausland importiert werden) sei um 85% zurückgegangen -- ob dies aus Einsicht geschah, oder einfach, weil die Bürger nicht mehr den Eindruck hatten, mit einer Eingabe etwas erreichen zu können, läßt sich anhand des vorliegenden Materials, das den Zahlenwert in den Vordergrund stellt und auch keine Interpretation abgibt, nicht feststellen, nur vermuten. Ein Indiz für den Frust der Bürger mit den Eingaben ist der Vergleich der Eingabenzahlen aus den Jahren 1981 bis 1985,67) der eine kontinuierliche Abnahme von 721 auf 492 verzeichnet, die sich bis auf die erste, auch in alle Gruppen widerspiegelt; die Anzahl produktbezogener Eingaben sank von 410 auf 295. Hierfür gab der Direktor allerdings im Rahmen der Eingabenanalyse eine andere Erklärung, die im wirtschaftlichen System der DDR, einem System in dem der ständige Rekurs auf die Erhöhung der Arbeitsqualität und -produktivität, der (Über-)erfüllung der Pläne, fast schon zum Reflex wurde, auch durchaus stimmig ist: "Hier spiegelt sich die verantwortungsbewußte Arbeit der Leiter mit den Kollektiven wider." 65
Auch der Prothesenreiniger "Helon" verdeutlicht den engen Spielraum, den das KKB bei der Bearbeitung der Eingaben aufgrund der wirtschaftlichen Situation hatte: Das in Dresden hergestellt Produkt war immer Mangelware und zog zahlreiche Eingaben nach sich. Aus Sicht des KKB ließ sich dieser Mangel, der auf einer nicht ausreichenden Versorgung der Elbe-Chemie mit den Grundstoffen und v.a. den erforderlichen Glausröhrchen68) basierte, nicht beheben, da im Rahmen des RGW keine größeren Kontingente importiert werden konnten. In der Analyse vom 17.8.1981 erklärte der Generaldirektor dem Ministerium noch, die Probleme beruhten auf vertragswidriger Zulieferung bzw. an zu spätem Transport / Auslieferung, der Ärger der Bevölkerung sei groß, und man müsse zusätzliche Schichten einlegen, um ihm abzuhelfen. Er stellte eine entsprechende Lösung mit den Vertragspartnern in Aussicht. 66
Die Mangelversorgung blieb jedoch aufgrund der zu geringen Gesamtproduktion weiterhin ein Problem, so daß sich Ende Januar 1986 die Erläuterung anders las: Das KKB habe sein vertraglich vereinbartes Kontingent geliefert, wenn das nicht reiche, habe der Handel eben falsch kalkuliert. 67
Schwerpunkt bei den Preisfragen waren Eingaben, bei denen die Bürger den höheren Preis der für ein vorgeblich verbessertes Produkt verlangt wurde, dessen neue Qualität sie jedoch nicht feststellen konnten, kritisierten. Auch hier war das KKB in der Bredouille, denn ein bestimmter Prozentsatz an verbesserten Produkten war Bestandteil der Pläne, bei der Frage, welche dies sind und welche Verbesserungen angestrebt werden sollten, mußten die Betriebe -- so jedenfalls ergibt es sich aus den Akten zu Bergmann-Borsig und so ist es mir auch von Leitenden Mitarbeitern nicht nur dort erzählt worden -- jedoch den Vorgaben aus den Ministerien oder dem Politbüro folgen. Daraus ergab sich oft das Problem, Dinge produzieren zu müssen, für die keine Kapazität bestand, oder die aus anderen Gründen den Qualitätsanforderungen nicht genügen. 68
Dies konnte man jedoch den Bürger bei der Eingabenbeantwortung nicht mitteilen, so daß in den Antworten darauf hingewiesen wird, daß die neue Substanz oder verbesserte Verpackung (etwa Fluor in der "Silca F" -- Zahncreme oder Protein in der Haarspülung) den höheren Preis verursachte. Daß dies den Käufern erstens wenig nutzte, wenn etwa das Protein ausflockte oder das Fluor die Zahncreme verhärtete und sie das Produkt nicht nutzen konnten, liegt auf der Hand. Aus den Eingaben beim Seifenwerk Riesa, die oft auf ähnliche Probleme hinwiesen, ergibt sich jedoch auch, daß die Bürger auch den Sinn der Verbesserung nicht einsahen und zurückschrieben, sie hätten lieber wieder das Ausgangsprodukt zum geringeren Preis. 69
Insgesamt zeigt die Eingabenbearbeitung beim KKB den engen Spielraum der Betriebe, weil der Grund vieler Eingaben die schlechte Versorgung oder mangelhafte Qualität der Gesamtproduktion, nicht nur einiger Stücke, war, die Zurückweisung der Eingaben als unberechtigt, aber auch eine geringere Bereitschaft, aus Kulanz, oder auch weil man die Eingabe als berechtigt ansah, Ersatz zu liefern. In diesem Bereich verhielt sich etwa das Konsum Seifenwerk in Riesa anders. 70
Aus heutiger Perspektive ist es auch schwierig zu klären, ob das restriktive Verhalten des KKB der Tatsache geschuldet ist, daß definitiv keine besseren Produkte, die man dem Bürger als Ersatz hätte schicken können, vorhanden waren oder ob man einfach eine andere Einstellung zur Eingabenbearbeitung hatte. 71

5. Résumée und Ausblick

Eine Betrachtung des Eingabenwesens ist -- das dürften die Ausführungen verdeutlicht haben -- nicht nur eine rechtshistorische, sondern auch eine ökonomische und v.a. soziologische Analyse bestimmter Verhältnisse in der DDR. Das Spannungsfeld zwischen Rechtswirklichkeit (Umgang mit den Eingaben, Funktion der Eingaben für den Bürger und den Betrieb) und Rechtsanspruch (Instrument zur umfassenden Beteiligung der Bevölkerung an den Produktions- und Planungsprozessen, besondere Rolle nicht als Kunde, sondern als Nutznießer eigener erbrachter Leistung, die zu einem kritischen Blick und entsprechenden Forderungen berechtigte) läßt sich so nur vorläufig und zum Teil hypothetisch beantworten. 72
Aufgrund der bisher schmalen Basis für die Analyse von Eingaben in den verschiedenen Ebenen -- Verhältnis zum Bürger, Umgang innerhalb des Betriebs, Rückkopplung zu den Ministerien -- und in verschiedenen Produktionsbereichen sind noch umfangreiche Quellenstudien nötig, um verallgemeinerungsfähige Aussagen treffen zu können und die Rolle des Eingabenwesens als Schlichtungsinstrument umfassend eintschätzen zu können. 73
Ein weiteres Desiderat meiner bisherigen Arbeit ist die fehlende Analyse der Sozialstruktur der Bürger, die sich mit Eingaben an Betriebe gewandt haben, auch hier sind viele Fragen noch offen. 74

Fußnoten:

1 So auch G. Baatz / G. Ballach / K.-H. Beyer et al. (Autorenkollektiv), Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975 und zum Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975, hrsg. vom Ministerium der Justiz, Berlin / DDR 1983, S. 34, im folgenden zit. als ZGB-Komm.

2 Vgl. mit zahlreichen Beispielen Joachim Göhring in: Werner Drews / Joachim Göhring / Eberhard Goldhahn et al. (Autorenkollektiv), Zivilrecht. Lehrbuch, Leitung und Gesamtredaktion: Joachim Göhring und Martin Posch, 2 Teilbände, Berlin/DDR 1981; hier Bd. 1, S. 40 (Bd. 1 wird im folgenden als ZR I zitiert).

3 Diese Formulierung begegnet fast wortgleich in § 44, dort in bezug auf Verträge. Zum Rekurs auf das Programm der SED vgl. ZGB-Komm. § 14, S. 42 f. mit wichtigem Hinweis darauf, daß die Pflicht zur Zusammenarbeit auch im Falle einer Leistungsstörung erhalten bleibt. Dies erklärt auch die Feststellung in Joachim Göhring / Manfred Mühlmann / Martin Posch, Unser neues Zivilgesetzbuch (= Schriftenreihe: Recht in unserer Zeit. Hrsg. vom Staatsverlag in Zusammenarbeit mit dem Büro der Sektion Staats- und Rechtswissenschaft der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse "Urania", Bd. 5), Berlin/DDR 1976, S. 80, im Gegensatz zum BGB sei das ZGB nicht primär auf die Lösung von Konflikten ausgerichtet. In diesem Zusammenhang sei auch noch darauf hingewiesen, daß das Hauptziel eine einvernehmliche Schlichtung von Konflikten durch beide Parteien ist, dies schlägt sich auch in § 16 S. 2 nieder und verdeutlicht zugleich den pädagogischen Anspruch auch des Zivilrechts als Teil des einheitlichen sozialistischen Rechts.

4 Diesen Eindruck bestätigt auch, freilich ohne weitere Belege, Johannes Klinkert, der von "bewußt fließend gehalten[en]" Grenzen redet (FS Raiser, S. 64). Das zitierte Bewußtsein spiegelt sich auch in dem von Joachim Göhring gestalteten und mit vielen Beispielen belegten Abschnitt (1.1.5.) im Zivilrechtslehrbuch wider (vgl. ZR I, S. 40 f.).

5 Vgl. hierzu im einzelnen die KombinatsVO vom 8.11.1979 (GBl. I Nr. 38, S. 355), das Musterstatut PGH (VO vom 21.2.1973, GBl. I, Nr. 14, S. 121) sowie das LPG-Gesetz vom 3.6.1959 (GBL. I, Nr. 36, S. 577) i.d.F. des EG-ZGB vom 19.6.1975 (GBl. I, Nr. 27, S. 517). Für private Betriebe richtet sich die Rechtsfähigkeit nach dem Inhaber, für OHG und KG galten die Regelungen des HGB (ZGB-Komm, S. 38). Eine Übersicht aller Betriebsformen und der als juristische Person anerkannten Betriebsarten bieten Joachim Göhring ZR I, S. 101-109, v.a. S. 106-109, sowie ders./Kurzhals 1981, S. 20-23.

6 Zu der Umsetzung durch einzelne untergesetzliche Regelungen vgl. ZGB 1988 nach § 135 und ZGB-Komm, S. 185.

7 Vgl. hierzu die AO über die Führung von Kundenbüchern in den Verkaufseinrichtungen und Gaststätten des sozialistischen Einzelhandels vom 2.1.1969 (GBl. II, Nr. 31, S. 218) sowie Kurzhals in ZR I, S. 359.

8 Vgl. § 136 S. 3. In der Praxis soll häufig eine "doppelte Buchführung" geherrscht haben, vgl. z.B. Mühlberg, Wenn die Faust auf den Tisch schlägt. Eingaben als Strategie zur Bewältigung des Alltags, in: Wunderwirtschaft. DDR-Konsumkultur in den 60er Jahren, hrsg. von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, Köln / Weimar / Wien 1996, S. 175-184.

9 Vgl. hierzu auch AO über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Leiter von Verkaufseinrichtungen des sozialistischen Einzelhandels und des Gaststätten- und Hotelwesens vom 3.7.1973 (Gbl. I, Nr. 34, S. 354) und ebd. Nr. 2 vom 30.6.1976 (GBl. I, Nr. 25, S. 352) sowie Claus J. Kreuzer / Hans-Werner Teige, Handel -- Produktion -- Kunde. Aufgaben, Rechte, Pflichten des Handels, 3. überarb. Aufl. Berlin 1978, S. 184 und Göhring/Kurzhals 1981, S. 31 f.

10 Vgl. im einzelnen Joachim Göhring / Martin Posch (Gesamtredaktion), Grundriß Zivilrecht, 10 Hefte, Berlin/DDR 1977-1978, 2., veränd. Aufl. 1978-1979, Heft 5: Joachim Göhring / Peter Kurzhals: Kauf 1977, S. 42-52 sowie Kay Müller / Werner Teige, Die Rechte der Käufer. Qualitätsmängel, Reklamationen, Garantie, Nachbesserung oder Kaufpreiserstattung, Zusatzgarantie, Schadenersatz und vieles mehr, 16., überarb. Aufl. Berlin/DDR 1984, S. 58-69.

11 Zuallererst wird darin eine Störung des Leistungsprinzips und damit des § 3 ZGB, erst zweitrangig eine Vertragsverletzung gesehen. Der in der BRD verwendete Begriff der Leistungsstörung erscheint in einem ganz andern Lichte.

12 Dieser Begriff vereint das im BGB verankerte Institut der Gewährleistungsrechte mit dem der Garantierechte, die jeweils gegenüber Hersteller bestehen (vgl. Göhring in: ZR I, S. 380 sowie Göhring/Kurzhals 1981, S. 56. Eine Passage der Monographie von Harri Haarland / Georg Knecht, Verträge des Alltags. Was jeder über Kauf-, Tausch-, Werk-, Miet-, Pacht- und Schenkungsverträge wissen muß, Berlin/DDR 1960, verdeutlicht die -- konstruierten -- Probleme, welche sich für die sozialistische Rechtswissenschaft aus der vor Einführung des ZGB bestehenden Zweiteilung ergaben (vgl. S. 48-51), in der zugleich der herkömmliche Garantiebegriff ideologisch desavouiert wird: "Sie [die Garantie, B.T.] war ursprünglich ein Produkt des Konkurrenzkampfes im Kapitalismus. Durch die Garantie sollten die Waren für den Käufer besonders begehrenswert gemacht und die Konkurrenzunternehmen ausgeschaltet werden. Zugleich versuchten aber die Monopolunternehmen, durch entsprechende Klauseln in der Garantieerklärung die gesetzlichen Mängelansprüche des Käufers auszuschließen oder wesentlich zu beschränken." (Ebd., S. 51). Diese Ausführung widerspricht der kurz vorher erfolgten -- und zutreffenden -- Feststellung, der Käufer könne Gewährleistungsrechte und Garantie nur alternativ geltend machen (vgl. ebd., S. 50).

13 Zum im Vergleich zur Auslegung des § 459 Abs. 2 BGB umfassenderen Begriff der "zugesicherten Eigenschaft" in der DDR vgl. ZGB-Komm., § 148, S. 199.

14 Eine ausführliche Kommentierung dieser Tatbestandsmerkmale findet sich bei Müller/Teige (wie Anm. 10), S. 11-24.

15 Vgl. zu dieser Zusatzgarantie ausführlich: Müller/Teige (wie Anm. 10), S. 47-52.

16 Zugleich ist dies die Konsequenz des neuen Garantiebegriffs des ZGB, s.o. Anm. 12. Vgl. auch Joachim Göhring / Klaus Orth, Realisierung zivilrechtlicher Gewährleistungsrechte, in: Neue Justiz 4/1971, S. 103.

17 Alle Regelungen finden sich in § 155.

18 Durchführungsverordnung zum Zivilgesetzbuch über Rechte und Pflichten bei der Reklamation nicht qualitätsgerechter Waren vom 27.12. 1976 (GBl. I 1977 Nr. 2, S. 9).

19 Hervorhebung von mir, B.T.

20 So auch ZGB-Komm. § 12, 1., S. 40, ausführlich Göhring/Kurzhals 1981, S. 23-26, Kurzhals in ZR I, S. 356 sowie Claus J. Kreuzer, Die rechtliche Gestaltung der Versorgungspflichten der Einzelhandelsbetriebe gegenüber der Bevölkerung, in: Neue Justiz 7 /1973, S. 188.

21 Göhring/Kurzhals (1981, S. 24 f.) verneinen sogar eine Einbeziehung von planmäßigen, aber realiter nicht vorhandenen Waren in den Geltungsbereich des Kontrahierungszwanges. Fast wortgleich Kurzhals, ZR I, S. 326 f.

22 Eine Ausnahme besteht beim sozialistischen Einzelhandel, vgl. § 157 Abs. 3 S. 1 und Durchführungsverordnung zum Zivilgesetzbuch über Rechte und Pflichten bei der Reklamation nicht qualitätsgerechter Waren vom 27.12. 1976 (GBl. I 1977 Nr. 2, S. 9), hier §§ 1 u. 4 sowie schließlich ZGB-Komm, § 157, 3.1.-3.3., S. 212.

23 § 5 Abs. 1 u. 2 der Durchführungsverordnung zum Zivilgesetzbuch über Rechte und Pflichten bei der Reklamation nicht qualitätsgerechter Waren vom 27.12. 1976 (GBl. I 1977 Nr. 2, S. 9). Hierfür gilt eine Frist von einer Woche.

24 Ebd., § 5 Abs. 3.

25 So ZGB-Komm. § 157, 2., S. 211 f.

26 GBl. I, Nr. 13, S. 239. Diesem ging der Erlaß des Staatsrates vom 27.2.1961 voran (Gbl. I, S. 7). Vgl. hierzu mit Materialien Schriftenreihe des Staatsrates. Nr. 7/1961. 1966 wurde er im Rahmen des von dem NöSPL augehenden neuen Verständnisses verändert (Neufassung der §§ 7, 11, 13 u. 14 sowie Streichung des § 15 Abs. 3, vgl. Gbl. I, S. 69). Am 30.6. erfolgte ein Beschluß des Ministerrates zur Ausführung (Gbl. II 1966, S. 477).

27 Mit Rekurs auf die Art. 21, 103 bis 105 der Verfassung von 1969, vgl. Materialien des Staatsrates, 3. Wahlperiode, Heft 10, 1969, S. 5 u. Ritter 1972, S. 44.

28 Vgl. § 2.

29 Vgl. den zweiten Absatz der Präambel, aus dem auch das vorstehende Zitat stammt.

30 Vgl. § 5 [Nr. 2].

31 Vgl. 1961 i.d.F. von 1966, § 3 Abs. 2.

32 Vgl. 1969, § 2 [Nr. 5].

33 Vgl. § 2 Abs. 2.

34 Vgl. im einzelnen §§ 7 bis 11.

35 Ohnehin bestimmte dieser Erlaß erstmalig die strikte Trennung zwischen Eingabe und Rechtsmittel, vgl. § 2 Abs. 3 S. 1.

36 So die Regelung in § 22 Abs. 2 S. 1.

37 § 24 Abs. 1 lit b u. c.

38 GBl. I, Nr. 26, S. 461.

39 Vgl. hierzu im einzelnen Bönninger, Eingaben und Rechtsmittel in der staatlichen Verwaltung, in: Themenreihe Verwaltungsrecht der DDR, 4. Thema: Kontrolle und Gesetzlichkeit in der staatlichen Verwaltung, Leipzig 1973, S. 5.

40 Vgl. zur Relevanz dieser Veränderung Werner Klemm / Manfred Naumann, Zur Arbeit mit den Eingaben der Bürger (= Der sozialistische Staat. Theorie. Leitung. Planung), Berlin/DDR 1977, S. 14.

41 Vgl. § 1 Abs. 2 sowie Art. 103 der Verfassung von 1968.

42 Dieser Bereich wurde mit dem Gesetz über die Neufassung von Regelungen über Rechtsmittel gegen Entscheidungen staatlicher Organe vom 24.6.1971 (Gbl. II, S. 465) neugefaßt.

43 Vgl. § 1 Abs. 3.

44 § 4 Abs. 1 regelt dies im Interesse der Bürger nicht als zwingende Vorschrift.

45 So § 3.

46 Vgl. § 4.

47 So § 13.

48 Vgl. § 6.

49 So § 7 Abs. 1.

50 Gerechnet ab Bekanntwerden oder Eingang, vgl. § 7 Abs. 2. Nur in begründeten Ausnahmefällen durfte diese Frist -- bei Nennung einer Ersatzfrist -- überschritten werden, § 7 Abs. 3.

51 Vgl. § 4 Abs. 3. Beispiele für Eingabenordnungen aus dem Bezirk Rostock finden sich in Klemm/Naumann (wie Anm. 40), Anlagen 2 bis 4.

52 § 5 Abs. 1 S. 1.

53 Vgl. § 8.

54 Klemm/Naumann (wie Anm. 40), S. 14. Über die Gründe hierfür machen sie keine Aussage.

55 Vgl. § 3 9 f.

56 Klemm/Naumann interpretieren § 9 dahingehend, die Volksvertretungen hätten "zu sichern, daß die ihnen nachgeordneten Organe, Betriebe und Einrichtungen sowie die sozialistischen Genossenschaften angeleitet und kontrolliert werden" (wie Anm. 40, S. 30).

57 Vgl. z.B. Klemm/Naumann (wie Anm. 40), S. 48.

58 Rep. 432.

59 Rep. 420.

60 Rep. 750.

61 Das sind die Vereinigungen volkseigener Betriebe, die als Zusammenschluß der in einem bestimmten Bereich tätigen VEB's einen ersten Schritt zur Konzentration und Zentralisierung der Industrie darstellte.

62 Einige Hinweise verdanke ich der von Günther Zachrau (Landesarchiv) gefertigten Übersicht über die Gescichte des Kosmetikkombinats.

63 Ab 1983 trat mit den den "Reproduktionsprozeß betreffende[n] Probleme[n]" eine weitere Gruppe hinzu.

64 Rep. 422, Nr. 44, Analyse vom 2.8.1980, S. 2.

65 Bzw. der entsprechenden DurchführungsVO, s. dazu oben S. 5, Anm. 19.

66 Rep. 422, Nr. 44. Bericht über die Durchführung des Eingabengesetzes., S. 2.

67 Analyse 2. Halbjahr 1985, 30.1.1986, S. 1.

68 So schon der Bericht des Direktors vom 8.9.1980, S. 2.


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Diese Seite ist vom 31. August 1998