Artikel vom 12. Oktober 1998
© 1998 fhi
Erstveröffentlichung

Thomas Ormond

Der Kreislauf des Abfallrechts

1. Einleitung: Über Abfall und Abfallrecht als Begriffe
2. Die mittelalterliche Stadt und ihre Abfallwirtschaft
3. Frühe Neuzeit oder Die Reinhaltung der Gassen in den Residentzien
4. Die Geburt des Anschluß- und Benutzungszwangs aus dem Geist des Interventionsstaats
5. Überflußgesellschaft und Müllnotstand
6. Von der Abfallbeseitigung zur Verwertung und Vermeidung
7. Das moderne Nicht-Abfallrecht
8. Ausblick: Stoffrecht, Umweltgericht, Genossenschaft und Polizei
  Nachbemerkung

Vorbemerkung

Der folgende Artikel wurde in etwas anderer Form als Beitrag zu einer Festgabe für Prof. Dr. Gerhard Dilcher anläßlich seiner Emeritierung im Juni 1998 verfaßt. Prof. Dilcher hat fast 30 Jahre in Frankfurt am Main Rechtsgeschichte gelehrt. Unter den von ihm betreuten Doktorarbeiten ist die des Autors, der mittlerweile als juristischer Dezernent bei einer Abfallbehörde tätig ist und für den die Festgabe der Anlaß gewesen ist, über die Verbindungslinien zwischen den beiden Rechtsgebieten nachzudenken, und darüber hinaus auch ein bißchen über Gegenwart und Zukunft des Abfallrechts. 1

1. Einleitung: Über Abfall und Abfallrecht als Begriffe

Abfallrecht ist ein moderner Begriff. Doch nicht nur die Wortkombination ist neu: Auch "Abfall" selbst ist eine relativ neue Bezeichnung, jedenfalls für die Sache, die man heute wie selbstverständlich damit assoziiert. Im Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums von 1700-1910 taucht das Stichwort kein einziges Mal im Zusammenhang mit Mülltonnen oder Entsorgungsanlagen auf - geschrieben wurde vielmehr über den "Abfall vom ursprünglichen Evangelium", den "Abfall der deutschen Katholiken von der römischen Hofkirche" und den "Abfall vom Weibe".1) Im Nachfolgeverzeichnis, das die deutschsprachige Lieteratur von 1911 bis 1965 erfaßt, ist dies schon ein wenig anders: Hier findet sich immerhin - zwischen den "Abfahrtsstellen der von Wien ausgehenden Kraftfahrtlinien" und dem "deutschen Abfall vom Geiste" einerseits und dem in der DDR erschienenen Standardwerk "Billige Abferkelplätze durch Ferkelbalkone" andererseits - ein Eintrag für "Die Abfallverwertung". Darunter firmiert das 1920 gegründete offizielle Organ des "Reichsvereines der deutschösterreichischen Rohproduktenhändler" in Wien und "Zentralblatt für die Interessen des gesamten Handels mit Alteisen, Metallen, Hadern ..."2) Erst in den Jahrzehnten nach 1965 wird Abfall zum literarischen Renner, so daß heute das Verzeichnis lieferbarer Bücher 19 eng beschriebene Seiten zum Thema bereithält.3) 2
Geht man dem Ursprung des Wortes etwas wissenschaftlicher auf den Grund, so findet man, daß der heutige Wortsinn von Abfall zuerst in der Bergmannssprache - für Materialien, deren Erzgehalt "abfällt" - und im gewerblichen Bereich auftaucht: "Bey den Handwerksleuten heißt Abfall dasjenige, was bei der Arbeit abfällt, und in die Krätze gehet" ("Ökonomische Enzyklopädie" des Johann Georg Krünitz von 1773).4) Das 19. Jahrhundert kennt Abfälle als Abgänge oder Rückstände aus industrieller Produktion, bis kurz vor der Jahrhundertwende in den Lexika das Wortverständnis erweitert wird auf "städtische" oder "häusliche" Abfälle. Damit kommt es zu einer abstrakten Zusammenfassung der vielen vorher gebräuchlichen Bezeichnungen für einzelne Rückstände, wie Lumpen, Speisereste, Scherben, Asche, Kehricht, Straßendreck, "unreine Wässer" und insbesondere die Überreste der häuslichen "Abtritte".5) Der Sammelbegriff "Müll" im übrigen hat eine ähnlich kurze Geschichte; auch er bürgert sich erst Ende des letzten Jahrhunderts in seinem modernen Wortsinn ein, nachdem er bzw. die Wörter "Mull" und "Gemüll" - abgeleitet von "mahlen" - in vorindustrieller Zeit noch für Zerriebenes, lockeren Staub und Schutt und den Abgang von Steinen und Gebäuden standen.6) 3
Wo sich "Abfall" als Wort erst langsam entwickelt, dauert es nochmals fast 100 Jahre, bis ein eigenes Rechtsgebiet daraus wird. Ein materielles Abfallrecht existierte - wie gleich zu zeigen sein wird - schon im Mittelalter, doch der Begriff ist ein Produkt der Gesetzesberatungen in den 1960er Jahren und der ersten Abfallgesetze, die im Land Hessen und im Bund in den Jahren 1971/72 verabschiedet wurden.7) 4

2. Die mittelalterliche Stadt und ihre Abfallwirtschaft

Am Beginn des Abfallrechts steht, modern gesprochen, das Verursacherprinzip. In den Dörfern und noch nicht so dicht bebauten Städten des frühen Mittelalters (wie der frühen Antike) war es den Einwohnern in der Regel möglich, Abfälle als Dünger auf Gärten und Feldern, als Futter für Haustiere, Baumaterial oder Brennstoff selbst zu verwerten. Erst mit der Zunahme der Bevölkerung seit dem hohen Mittelalter wurden die sanitären Verhältnisse in den Städten immer problematischer. Politische Zersplitterung und kriegerische Bedrohung machten Stadtmauern notwendig, die das natürliche Flächenwachstum begrenzten. Gärten und freie Flächen im Stadtinnern wurden zunehmend bebaut, die Zahl der Stockwerke erhöht, die Straßen wurden für die neuen Häuserhöhen zu eng. Später, im 17. Jahrhundert baute man vielfach sogar die Hinterhöfe zu. Dadurch verschwanden immer mehr Möglichkeiten zur Eigenverwertung. Auch bei den von vielen Bewohnern weiter gehaltenen Haustieren überwog bald die hygienische Belastung ihren Nutzen als Abfallvertilger.8) 5
Der Problemdruck machte Regelungen notwendig. Die Normierung geschah in Form von Ge- und insbesondere Verboten. Die Stadtobrigkeit wollte damit unerwünschte Verhaltensweisen, wie das Ablagern von Mist auf den Gassen, das Hinausschütten von Kehricht und "Unlust" aus den Fenstern oder die Einleitung von Abwässern in Brunnen und kleinere Bäche unterbinden oder zumindest in Grenzen halten. Häufiger als völlige Verbote waren zeitliche Begrenzungen, z.B. im 14. Jahrhundert in Passau und Zürich, wo vor den Türen lagernder Mist nach spätestens drei Tagen abzufahren war.9) 6
Derlei Regelungen reichten normalerweise aus, weil die Abfallentsorgung der Haushalte im Mittelalter grundsätzlich Privatangelegenheit war.10) Die Beseitigung mußte ohne Belästigung der Nachbarn und möglichst auf dem eigenen Grundstück erfolgen, z.B. über häusliche Sickergruben. Auch die Straßenreinigung und gegebenenfalls -pflasterung blieb zunächst Sache der Anlieger, die in der Pflege, aber auch Nutzung ihrer Straßenhälfte relativ frei waren, sie also auch als zeitweilige Lagerstätte oder sogar Anbaufläche mißbrauchen konnten.11) Ein Abweichen von dieser Regel ist erst nach und nach und vor allem in den größten und reichsten Städten des damaligen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation festzustellen. In der Kaiserstadt Prag z.B. wurde schon um 1340, nach dem Auftreten der Pest, eine Müllabfuhr mit Karren und die regelmäßige Reinigung der Straßen durch einen Fuhrunternehmer eingeführt. Während kleinere Abfallmengen weiter durch die Einwohner selbst - durch Abkippen in die Moldau - entsorgt werden sollten, übernahm die Stadt die Abfuhr größerer Kehrichtmengen als kommunale Aufgabe. In Augsburg erging Anfang des 15. Jahrhunderts eine Anordnung, daß Anlieger den Straßenschmutz zusammenkehren sollten, der dann durch einen städtischen Karren abgefahren wurde. In Köln läßt sich der Beginn von Straßenreinigung und Müllabfuhr, die durch einen Unternehmer im Auftrag der Stadt erledigt wurden, auf das Jahr 1448 datieren.12) 7
Auch für Frankfurt am Main sind im 15. bzw. schon im 14. Jahrhundert kommunale "scuppler" (Schaufler) für die Straßenreinigung und Grabenmacher, Grabenfeger und Grabenmeister für den quer durch die Stadt führenden, teilweise gedeckten Abwassergraben bezeugt; die Entsorgung der "heimlichen Gemächer" in den Häusern bzw. der entsprechenden Gruben war die Aufgabe von sog. Heymelichkeitsfegeren.13) Das kommunale Bemühen um saubere Straßen kam insbesondere in einer ausführlichen Ratsverordnung von 1481, einer Art frühem Abfallgesetz, zum Ausdruck und wurde begründet speziell mit den vielen auswärtigen Markt- und Messebesuchern.14) 8
Zwischen rein privater und öffentlicher Entsorgungsträgerschaft bestanden auch Zwischenlösungen. So ist teilweise die Existenz genossenschaftlicher Organisationsformen überliefert; z.B. von Straßengemeinschaften für die Abwasserentsorgung in Köln am Ende des 13. Jahrhunderts. In Basel waren die Straßenanlieger (zumindest der wohlhabenden Viertel) im späten Mittelalter zu "Dolengemeinschaften" zusammengeschlossen, die für den Unterhalt der gewölbten Abwasserkanäle zu sorgen hatten und über die der Rat nur die Oberaufsicht wahrnahm.15) 9
Noch einmal zurück zur Abfallwirtschaft in Frankfurt: Der Mainmetropole, die im 15. Jahrhundert eher zu den "größeren Mittelstädten" zählte - nämlich mit einer Bevölkerung von 9-10.000 Einwohnern - wird in der Literatur eine besonders rationale Abfallpolitik bescheinigt. Dies zeigte sich an einem der gravierendsten Probleme der mittelalterlichen Stadthygiene, der Schweinehaltung. Allgemein war eine Lösung schwierig, weil auch ein öffentliches Interesse an einer sicheren innerstädtischen Fleischversorgung bestand und vielfach die Bäckerzunft verbriefte Rechte besaß, die Tiere zu halten und mit der bei der Brotherstellung anfallenden Kleie zu mästen. In Frankfurt schritt man daher nicht zu einem generellen und schwer umzusetzenden Verbot, sondern legte in der Ratsverordnung von 1481 fest, daß Schweine nicht mehr in der Altstadt gehalten werden dürften, wohl aber in der lockerer bebauten Neustadt und südlich des Mains. Der südwestliche Stadtteil Schwanheim verdankt seinen Namen letztlich dieser innerstädtischen Funktionentrennung.16) 10

3. Frühe Neuzeit oder Die Reinhaltung der Gassen in den Residentzien

In der Hauptstadt von Deutschlands später führendem Teilstaat, Brandenburg-Preußen, ist als älteste abfallrechtliche Regelung eine Anordnung des Kurfürsten von 1583 überliefert, wodurch die an der Spree wohnenden Einwohner verpflichtet wurden, ihre Höfe zu reinigen - der Monarch hatte sich über den Gestank der Abfälle geärgert, der im nahegelegenen Schloß an der Spree deutlich zu spüren war. Vier Jahre später wurde ein städtischer Scharfrichter bestellt, der die Straßen notdürftig reinigen, Tierkadaver beseitigen und Leichen von Selbstmördern bestatten sollte. Einzelne Anordnungen aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhudnerts belegen allerdings die mangelnde Wirksamkeit dieser Einrichtung und das Fehlen einer regelmäßigen Straßenreinigung in Berlin.17) Erst 1660, unter der Regierung des Großen Kurfürsten, wurde eine "Brunnen- und Gassenordnung beyder Residentz- und Haupt-Städte Berlin und Cölln an der Spree" aufgestellt und in den Friedensjahrzehnten ab 1676 eine Welle von disziplinierenden Verordnungen, Reglements und Patenten zur Abfall- und Abwasserbeseitigung und Straßenreinigung erlassen.18) Doch fällt auch hier noch lange Zeit die Beschränkung auf die fürstliche Residenzstadt auf. Offenbar gehörte eine landesweit effektive Abfallentsorgung nicht zu den als wichtig betrachteten Elementen einer "guten Policey". Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erhalten die Regelungen zunehmend einen allgemeineren, über Berlin hinausreichenden Charakter.19) Und auch inhaltlich dauerte es sichtlich lange, bis manche unerwünschten Entsorgungswege versperrt wurden: So war noch 1757 ein "Avertissement" dafür notwendig, "daß keine zerbrochenen Töpfe und kein Glas auf die Strasse geworfen werden soll".20) 11
Brandenburg-Preußen ist hier jedoch kein Einzelfall. Die Regierungen der süddeutschen Flächenstaaten Württemberg und Bayern etwa enthalten sich entweder jeglicher Einmischung in Fragen des kommunalen Abfallwesens (Württemberg) oder treffen allenfalls Regelungen für die Residenzstadt, und dies auch erst im späten 18. Jahrhundert (Bayern).21) 12
Hinsichtlich der Städte und Staaten, die Vorschriften zur Abfall- und Abwasserbeseitigung erließen, ist lange Zeit die Ansicht vorherrschend gewesen, daß die öftere Wiederholung von Verboten und Geboten ihre völlige Wirkungslosigkeit beweise.22) Die neuere, genauer arbeitende Forschung weist dagegen auf die Notwendigkeit hin, differenziert nach Anlaß, Hintergrund und Hauptzweck der jeweiligen Verordnungen und Satzungsbestimmungen zu fragen. Denn vielfach ging es nicht so sehr darum, unerträgliche Mißstände abzustellen, sondern eher, bestimmte Zweifelsfragen im Zusammenhang mit grundsätzlich unbestrittenen Entsorgungspflichten zu klären oder einen sich aufgrund von Sach- oder Rechtsänderungen in neuem Licht darstellenden Interessenkonflikt zu lösen.23) 13

4. Die Geburt des Anschluß- und Benutzungszwangs aus dem Geist des Interventionsstaats

Wie gesehen, übernahmen viele größere Kommunen schon im Spätmittelalter bestimmte Funktionen bei der Abfallentsorgung. Inwieweit sich eine Stadtverwaltung hier engagierte, hing offensichtlich ab vom Reichtum der einzelnen Kommune, von der Bevölkerungs- und Bebauungsdichte und manch anderen sozialen und geographischen Faktoren. Eine insgesamt über die Jahrhunderte hin allmählich zu mehr öffentlicher Verantwortung tendierende Entwicklung wurde dabei z.T. auch unterbrochen oder sogar rückgängig gemacht durch verheerende Kriege, Wirtschaftskrisen und Mißstände in der jeweiligen Stadtregierung. 14
Das in Deutschland ziemlich buntscheckige Bild, das von einer überwiegend privaten, zum kleineren Teil städtischen Entsorgungsträgerschaft und von einer relativ geringen Verrechtlichung geprägt wird, verändert sich bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nur geringfügig. Weder die Verfeinerung der Sitten und ästhetischen Ideale im 18. Jahrhundert noch die zunehmende naturwissenschaftliche Erkenntnis über die Zusammenhänge von Hygiene und Volksgesundheit führen zunächst zu einem grundsätzlichen Wechsel des Entsorgungsregimes. Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte etwa die Bürgerschaft in der Freien Stadt Frankfurt ganz auf eine privatwirtschaftliche Lösung für die Müllabfuhr: So schloß der Magistrat 1865 einen Vertrag mit dem sog. Kehrichtkonsortium, einer Gruppe von Bauern aus der Umgebung, die sich bereiterklärten, den von den Grundbesitzern gesammelten Straßen- und Hauskehricht - v.a. Pferdemist, Asche und Gemüsereste - regelmäßig abzufahren, um ihn als Dünger für ihre Felder zu verwerten.24) 15
Doch parallel zu den allgemeinpolitischen Klimaveränderungen der Zeit schlug das Pendel bald stärker in die andere Richtung. Die private Müllabfuhr in Frankfurt a.M. erwies sich schnell als unzulänglich, weil die Landwirte das steigende und auch qualitativ nicht immer nutzbare Abfallaufkommen nicht mehr bewältigen konnten und daher ihre Entsorgungspflichten nicht termingerecht erfüllten. Als Folge sah sich der königlich-preußische Polizeipräsident für Frankfurt schon 1870 gezwungen, eine Polizeiverordnung betreffend Abfuhr des Straßen- und Hauskehrichts zu erlassen. Obrigkeitliche Strafandrohungen nützten jedoch nichts, so daß die Stadt 1872 vielmehr den Vertrag kündigte und den Abfuhrdienst öffentlich ausschrieb. Die Beauftragung eines anderen privaten "Abfuhrkonsortiums" für ein Jahr führte ebenfalls nicht zu befriedigenden Resultaten. Aufgrund der Empfehlung einer eigens eingesetzten Kommission übernahm die Kommune schließlich die Entsorgung in eigene Regie und richtete dazu am 1. April 1873 ein Städtisches Fuhramt ein.25) Anknüpfend an dieses Datum wird gerade jetzt in Frankfurt ein 125jähriges Jubiläum der "städtischen Müllabfuhr" gefeiert - ein Jubiläum, das heute freilich schon nicht mehr ganz stimmig wirkt, nachdem das Stadtreinigungsamt mittlerweile in eine "Frankfurter Entsorgungs- und Service-GmbH" umgewandelt und diese wiederum zu 49 % an einen privaten Konzern verkauft wurde. 16
Mit der Kommunalisierung der Abfalleinsammlung im Jahr des großen "Gründerkrachs", der den Anfang vom Ende der liberalen Ära in Deutschland markierte, blieb Frankfurt kein Einzelfall. Vier Jahre später wurde in Preußen der erste Entwurf eines Gesetzes über die Aufbringung von Gemeindeabgaben eingebracht, das einen sicheren Rahmen für kommunale Investitionen in Ver- und Entsorgungsbetriebe, den Bau von Kanalisationen und eine flächendeckende Straßenreinigung und Müllabfuhr garantieren sollte. Es dauerte aber noch 16 Jahre, bis mit dem Preußischen Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893 die Städte in diesem wichtigsten deutschen Teilstaat ermächtigt wurden, Beiträge zum Kanalbau und Gebühren für Müllabfuhr und Abwasserbeseitigung zu erheben und durch Polizeiverordnung einen Anschluß- und Benutzungszwang für die von der Stadt bereitgestellten Anlagen vorzuschreiben.26) 17
Unter diesen Anlagen darf man sich im Bereich der Abfallentsorgung zunächst nichts Anspruchvolles vorstellen. Der Fortschritt der Ingenieurtechnik, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung und der Abwasserbeseitigung schon deutlich auswirkte, erfaßte die Abfallwirtschaft erst relativ spät. Soweit Abfälle nicht auf traditionelle Weise wiederverwertet wurden, füllte man damit Gruben und Vertiefungen im Gelände auf oder deponierte sie einfach auf nicht weiter gesicherten Müll- und Schuttabladeplätzen im Außenbereich der Städte. Eine neue Beseitigungstechnik, die Müllverbrennung, kam erst in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts nach Deutschland. Während in England schon in den 1870er Jahren damit begonnen worden war und 1900 nicht weniger als 121 Abfallverbrennungsanlagen arbeiteten, wurde die erste deutsche Anlage dieser Art in Hamburg nicht vor 1894 errichtet. Einige andere deutsche Städte folgten diesem Beispiel, u.a. Frankfurt am Main im Jahr 1907. Die deutschen Anlagen hatten sich allerdings mit dem Problem herumzuschlagen, daß der Hausmüll wesentlich heizwertärmer war als in England, wo er wegen des niedrigen Kohlepreises mehr unverbrannte Kohlereste enthielt. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde auch erneut mehr Abfall der Verwertung zugeführt, so daß etwa die Frankfurter Anlage schon Ende 1914 wieder schließen mußte.27) 18
Generell führte die Verabschiedung des preußischen Kommunalabgabengesetzes von 1893 zu einem regelrechten Innovationsschub bei der Abfallentsorgung. Die Müllabfuhr rückte zu Beginn des 20. Jahrhunderts "aus der untergeordneten Rolle heraus, die sie bisher im Fuhrpark gespielt hatte und wurde nun zu einem der wesentlichsten Tätigkeitsfelder der Stadt".28) Neue Einsammlungs- und Abfuhrtechniken verbesserten die Effektivität und verminderten die sanitären Risiken. Als rechtliches Instrument, mit dem private oder genossenschaftliche Abfuhrunternehmen zu bestimmten Schutzvorkehrungen und die Bürger zu einer bestimmten Art und Weise der Abfallüberlassung verpflichtet wurden, dienten in Preußen vor allem Polizeiverordnungen des jeweiligen Polizeipräsidenten. Mit einer solchen Verordnung wurde z.B. im Jahr 1895 § 100 des "Straßenpolizei-Reglements für die Stadt Berlin vom 7.4.1867" dahingehend geändert, daß "Haus- und Wirtschaftsabgänge" auf der Straße nur in völlig staubundurchlässigen, geschlossenen Behältern transportiert werden durften.29) Eine andere Polizeiverordnung führte 1903 nach US-amerikanischem Vorbild in der damals noch selbständigen Stadt Charlottenburg bei Berlin eine obligatorische Müllsortierung in drei Fraktionen ein (Asche und Kehricht, Küchenabfälle und sperriges Gerümpel). Nachdem allerdings die maschinelle Nachsortieranlage durch Feuer zerstört worden und die private Verwertungsgesellschaft 1912 mit großen finanziellen Verlusten zusammengebrochen war, wurde dieses modern anmutende System wieder aufgegeben.30) 19
Wenn auch auf Teilgebieten der Städtereinigung die Rechtsvereinheitlichung Fortschritte machte - insbesondere mit dem preußischen Gesetz über die Reinigung öffentlicher Wege vom 1.7.191231) - blieb die Abfallwirtschaft zumeist noch lange Zeit eine von Gemeinde zu Gemeinde ganz unterschiedlich geregelte Materie. Die Einführung der standardisierten Mülltonne z.B. ist in vielen Kommunen erst spät erfolgt. Frankfurt a.M. zählte sich 1926 mit seinem neuen Ringtonnen-Leersystem zu den modernsten Städten des Reiches. Doch auch hier galt das System nur für die Kernstadt; in Höchst und anderen westlichen Stadtteilen wurde die Müllabfuhr noch 1957 mit von den Einwohnern selbst gestellten Behältern durchgeführt.32) 20

5. Überflußgesellschaft und Müllnotstand

Schon im Kaiserreich hatte sich gezeigt, daß das Hinausschaffen der Abfälle aus den Städten in die freie Landschaft keine dauerhafte Lösung des Problems bedeutete. In den dichtbesiedelten Industrieregionen, wo der größte Teil des Mülls anfiel, war bald auch der Platz für seine Ablagerung knapp. Betroffene Nachbargemeinden begannen, sich gegen die Einrichtung neuer Abfallkippen zur Wehr zu setzen. Diese Situation führte zur ersten Welle des Baus von Müllverbrennungsanlagen, darüber hinaus auch zu Versuchen der Müllkompostierung, die aber nicht die erhofften Ergebnisse brachten. Nach einer durch Ersten Weltkrieg und Inflationskrise erzwungenen Pause setzte der folgende Wirtschaftsaufschwung in den 1920er Jahren eine zweite Welle der Errichtung von Verbrennungsanlagen in Gang. Daneben kam es auch zur Anlage von Großdeponien, wie z.B. des Frankfurter "Monte Scherbelino" (1929), die allerdings nach wie vor keinerlei Schutzvorkehrungen gegen die Verschmutzung von Boden, Luft und Grundwasser besaßen.33) 21
In der Zeit des "Dritten Reiches", als Abfallverwertung im Dienst der NS-Autarkie- und Kriegspolitik gefördert wurde, und in den Hungerjahren unmittelbar danach spielte die Müllbeseitigung als Problem keine große Rolle. Dies änderte sich gründlich mit dem "Wirtschaftswunder" der 1950er Jahre und der Änderung von Verbrauchs- und Verpackungsgewohnheiten insbesondere in den 60er Jahren. Aber auch der nach 1960 forcierte Bau von Kläranlagen und die Abriß- und Neubauwellen in den Städten der Nachkriegszeit trugen mit den dadurch produzierten Klärschlamm- und Bauschuttmengen zu der lawinenhaften Zunahme des Abfallaufkommens bei.34) 22
Technisch wurde erneut versucht, das Problem mit verstärkter Abfallverbrennung anzugehen; die Zahl der entsprechenden Anlagen stieg in Deutschland von 2 im Jahr 1951 auf 30 zwei Jahrzehnte später.35) Daneben war aber die Ablagerung immer noch die vorherrschende Beseitigungsmethode. Hier zeigten sich in den 60er Jahren nicht nur immer größere Schwierigkeiten beim Auffinden geeigneter Deponieplätze, sondern es wurden nun auf einmal die massiven Folgen der bisherigen Entsorgungspraxis für die Umwelt deutlich. Trotz frühzeitiger Warnungen von Wissenschaftlern war in Deutschland erst in den Jahren 1961/62 - ein halbes Jahrhundert später als z.B. in England - mit dem Verfahren der "geordneten Ablagerung" begonnen worden. Am Ende des Jahrzehnts schätzte man die Zahl der betriebenen Müllkippen auf ungefähr 50.000, von denen nur etwa 130 als "geordnete Deponien" gelten konnten.36) 23
Rechtlich ergab sich hierdurch in mehrfacher Hinsicht ein dringender Regelungsbedarf. Die Einstufung der Abfallentsorgung als freiwillige Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung und die Beschränkung des Bundes- und Landesrechts auf bruchstückhafte und eher wenig konkrete Teilregelungen - z.B. in § 12 des Bundesseuchengesetzes von 1961 und §§ 26, 34 des Wasserhaushaltsgesetzes von 1960 - machte die Rechtslage zersplittert und unübersichtlich. Insbesondere eine gemeindeübergreifende Planung und Standortsuche für Deponien und ein einheitlicher Mindestsicherheitsstandard für neue Anlagen waren hiermit nicht umzusetzen; ebensowenig existierte eine Sicherungs- oder Sanierungspflicht für Altanlagen.37) 24
Als Ergebnis jahrelanger Beratungen wurde 1972 durch eine Grundgesetzänderung dem Bund in Art. 74 Nr. 24 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Abfallbeseitigung übertragen und auf dieser Basis ein Bundes-Abfallbeseitigungsgesetz (AbfG) verabschiedet. Ein Jahr zuvor war bereits in Hessen ein Landesabfallgesetz erlassen worden. Die anderen Bundesländer folgten in den Jahren danach. Die Gesetze führten u.a. eine grundsätzliche Planfeststellungspflicht für neue Abfallbeseitigungsanlagen oder wesentliche Änderungen und eine Anzeigepflicht für bestehende Anlagen ein, für die nachträglich Auflagen oder Fristen festgesetzt und sogar der Betrieb untersagt werden konnten. Darüber hinaus statteten die Gesetzgeber von Bund und Ländern die neugeschaffenen Abfallbehörden mit einem Instrumentarium von Abfallbeseitigungsplänen, Duldungs- und Mitbenutzungsanordnungen, Veränderungssperren und Enteignungsrechten aus, die es ermöglichen sollten, bestimmte Standorte und die Benutzung bestimmter Anlagen auch gegen den Widerstand betroffener Gemeinden, Grundstückseigentümer und Anlagenbetreiber durchzusetzen.38) 25
Mit dem gesetzlichen Maßnahmenpaket gelang es tatsächlich, im Laufe der 70er Jahre Ordnung in das Chaos der Abfallbeseitigung zu bringen und die ungeregelte "Kippenwirtschaft" zu beenden. Dem grundsätzlichen Problem steigender Abfallmengen freilich wurde man mit der Konzentration auf eine geordnete Ablagerung und Verbrennung nicht Herr; der "Müllnotstand" wurde nur um einige Jahre verschoben. 26

6. Von der Abfallbeseitigung zur Verwertung und Vermeidung

Bereits in der Diskussion um die Abfallgesetzgebung in den 60er Jahren war auf eine rechtliche Verankerung von Verwertungs- und Vermeidungspflichten gedrungen worden. Im Interesse einer schnelleren Bekämpfung der offenkundigsten Mißstände beschränkte man sich jedoch zunächst auf die Ordnung der Abfallbeseitigung.39) Immerhin wurde bereits in diese erste Gesetzesfassung eine Verordnungsermächtigung (§ 14) aufgenommen, die es der Bundesregierung ermöglicht hätte, der Verpackungsindustrie Auflagen, Beschränkungen und sogar Verbote des Inverkehrbringens abfallintensiver Verpackungen aufzuerlegen. Von dieser Ermächtigung wurde allerdings weder in den 70er noch in den 80er Jahren Gebrauch gemacht.40) 27
Das Abfallrecht blieb zunächst ein Abfallbeseitigungsrecht. "Beseitigung" hatte und hat dabei eine durchaus schillernde Bedeutung. Anstelle des eigentlich eher berechtigten wörtlichen Sinns eines "Zur-Seite- (d.h. aus dem Weg, aus der Stadt heraus)-Schaffens stand und steht im 20. Jahrhundert die Vorstellung im Vordergrund, daß man Müll gewissermaßen vernichten und verschwinden lassen könne. Zutreffend ist dies jedoch von der Sache her eher für die Verwertung, die den Abfall zumindest als solchen verschwinden läßt. Während die Müllverbrennung neben evtl. schadstoffbelastetem Rauch Aschen und Schlacken zurückläßt, bleiben bei der hauptsächlichen "Beseitigungs"-Technik, der Ablagerung, die Abfälle als potentielle Gefahr für Boden und Grundwasser dauerhaft in der Landschaft. 28
An die Stelle des problembehafteten Beseitigungsbegriffs rückte in der Branchen- und Gesetzessprache der 80er Jahre der mittlerweile selbstverständlich gewordene Euphemismus "Entsorgung". Er und die Ziele der Abfallvermeidung und -verwertung wurden im neugefaßten Bundes-Abfallgesetz von 1986 festgeschrieben, vor allem in einem neu eingefügten § 1a.41) Den entsorgungspflichtigen Körperschaften und industriellen Abfallbesitzern legte das Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen (technische Möglichkeit und Zumutbarkeit) eine ausdrückliche Verwertungspflicht auf. Die allgemeine und den Gesetzestitel dominierende Pflicht zur Abfallvermeidung dagegen wurde von zu erlassenden Rechtsverordnungen abhängig gemacht. Weil die Bonner Regierung sich mit dem Ausfüllen der Ermächtigung Zeit ließ, blieb die Vermeidungspflicht zunächst toter Buchstabe. 29
Unter der Herrschaft der konservativ-liberalen Koalition im Bund vollzog sich bald - erst langsam, dann immer schneller - ein Systemwechsel in der Abfallentsorgung, von staatlich-kommunaler Daseinsvorsorge wieder zurück zu vorrangig privater Verantwortung. Diese Entwicklung bahnte sich zunächst in der Praxis an: Vor allem die Privatwirtschaft flüchtete zunehmend vor dem öffentlich-rechtlichen Abfallregime und seinen steigenden Gebührenlasten mit der Argumentation, der eigene Abfall sei gar keiner, sondern "Wertstoff", der in eigenen Anlagen oder durch Dritte (billiger) verwertet werden könne. 30
Der Gesetz- und Verordnungsgeber folgte erstmals, wenn auch noch kompromißhaft, mit der Verpackungsverordnung von 1991, die den schon lange bestehenden § 14 AbfG mit Leben erfüllen sollte.42) Für die abfallträchtigen Verpackungen wurde damit ein kompliziertes Gerüst von Vermeidungs-, Rücknahme- und Pfanderhebungspflichten geschaffen, deren sich die betroffenen Hersteller und Vertreiber wiederum durch Beteiligung an einem besonderen Abholungs- und Verwertungssystem entledigen konnten. Mit dem hierdurch legitimierten "Dualen System Deutschland"(DSD) entstand an der öffentlich-rechtlichen Abfallentsorgung vorbei eine Art privates Monopol. 31
Der Trend zur Reprivatisierung fand seine konsequente Ausformung einige Jahre später im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) von 1994.43) Dieses Gesetz, das nebenbei den Begriff der Abfallbeseitigung wieder aufnahm - "Entsorgung" ist nunmehr der Oberbegriff für Beseitigung und Verwertung - weist die Entsorgungspflicht nicht mehr in erster Linie den nach Landesrecht zuständigen Körperschaften des öffentlichen Rechts zu (so noch § 3 Abs. 2 AbfG), sondern den Erzeugern und Besitzern von Abfällen (§§ 5, 11 KrW-/AbfG). Diese können Dritte mit der Erfüllung ihrer Pflichten beauftragen, sie können dazu auch Verbände bilden oder die Verwertung und Beseitigung auf Einrichtungen delegieren, die von den Industrie- und Handelskammern oder anderen Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft geschaffen werden (vgl. §§ 16-18 KrW-/AbfG). Die obligatorische Überlassung von Abfällen an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger ist gesetzessystematisch nur noch als Ausnahme von der Regel konstruiert (§ 13 KrW-/AbfG). Allerdings handelt es sich um eine in der Praxis immer noch gewichtige Ausnahme, weil von ihr fast alle Abfälle aus privaten Haushalten und auch die Abfälle zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen erfaßt werden, soweit ein Betrieb nicht über eigene Beseitigungsanlagen verfügt. 32
Parallel zur Verdrängung des Anschluß- und Benutzungszwangs vollzog sich beinahe unbemerkt Anfang der 90er Jahre eine nicht nur begriffliche, sondern tatsächliche Umkehrung der Entsorgungslage. Der noch im Jahrzehnt davor präsente "Müllnotstand" mit schwindenden Deponiekapazitäten und erbitterten Konflikten um neue Standorte und die Mitbenutzung fremder Entsorgungsanlagen verschwand binnen kurzem von der Tagesordnung. Stärker als die neuen gesetzlichen Verwertungs- und Vermeidungspflichten hatten hier wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten, nämlich die vervielfachten Kosten der Beseitigung in ordnungsgemäß geführten Anlagen, ihre Wirkung getan und zur Folge gehabt, daß eine Fülle neuer oder wiederentdeckter Verwertungsverfahren rentabel wurde. Neben grundsätzlich sinnvollen Techniken wie der Kompostierung von Küchen- und Gartenabfällen oder dem Recycling von unbelastetem Erdaushub und Bauschutt gehören dazu allerdings auch mehr oder weniger dubiose Verfahren wie der sog. Bergversatz oder die "Rekultivierung" von Kies- und Tongruben mit belasteten Mineralstoffen. Ergebnis der gestiegenen Verwertungsquote ist jedenfalls heute ein Überangebot von Entsorgungsanlagen, das nunmehr zu heftiger Konkurrenz der Betreiber und zu neuen Haushaltsrisiken für diejenigen Kommunen führt, die mit großem Kostenaufwand pflichtgemäß Verbrennungsanlagen und Deponien gebaut haben. 33

7. Das moderne Nicht-Abfallrecht

Neben den Tendenzen zur Privatisierung und zur verstärkten Abfallverwertung sind im heutigen Recht auch Ansatzpunkte zu einem weitergehenden Wandel sichtbar: Das Abfallrecht wächst über sich hinaus, wird zum "Kreislaufwirtschaftsrecht" oder es wird von benachbarten Rechtsgebieten ersetzt und überflüssig gemacht. 34
Wirklich neu im KrW-/AbfG von 1994 sind vor allem die Regelungen über die "Produktverantwortung" (§§ 22 ff.). Sie verpflichten die Entwickler, Hersteller und Vertreiber dazu, Erzeugnisse so zu gestalten, daß bei deren Herstellung und Gebrauch das Entstehen von Abfällen vermindert wird und die umweltverträgliche Verwertung und Beseitigung der nach deren Gebrauch entstandenen Abfälle sichergestellt ist. Der Gesetzgeber hat mit diesen Vorschriften, die allerdings ohne die notwendigen Rechtsverordnungen noch nicht vollziehbar sind, ein über das Abfallrecht hinausgreifendes "Produktrecht" geschaffen. Dies liegt auch in der Logik der Pflicht zur Abfallvermeidung, die ja gerade das Entstehen ihres Gegenstands verhindern soll und daher im Vorfeld des Abfallrechts ansetzen muß. 35
Ein anderer Regelungsbereich, der in den vergangenen Jahrzehnten große praktische Bedeutung hatte, glänzt dagegen nunmehr im KrW-/AbfG durch Abwesenheit: das Recht der Zulassung und Überwachung von Abfallentsorgungsanlagen mit Ausnahme der Deponien. Bereits durch das "Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz" von 1993 wurden Abfallverbrennungs-, Recycling- und Kompostierungsanlagen, Zwischenlager und Umschlagstationen aus dem Abfallrecht herausgenommen und ganz dem Bundes-Immissionsschutzgesetz unterstellt.44) Wesentliches Motiv - daher der Konnex zur "Investitionserleichterung" - war es, die nun zunehmend privaten Anlagenbetreiber von der Aufsicht durch ein behördliches Planungsermessen und vom Erfordernis einer Planrechtfertigung zu befreien und ihnen, wie jedem normalen industriellen Vorhabensträger, einen Rechtsanspruch auf die begehrte Anlagengenehmigung zu verschaffen.45) 36
Doch auch das völlige Ende eines gesonderten Zulassungsrechts für Abfallentsorgungsanlagen ist bereits eingeläutet. In dem nun vorliegenden Arbeitsentwurf für ein Umweltgesetzbuch - Erstes Buch - ist vorgesehen, daß eine einheitliche "Vorhabengenehmigung" die bisher unterschiedlichen Zulassungen etwa für Industrieanlagen, Abfalldeponien und Gewässerausbaumaßnahmen ablösen soll.46) Mit einem Inkrafttreten des - wesentlich durch die europäische "IVU"-Richtlinie veranlaßten - ersten Teils der Umweltrechts-Kodifikation wird schon für das Jahr 1999 gerechnet. 37

8. Ausblick: Stoffrecht, Umweltgericht, Genossenschaft und Polizei

Der rechtshistorische Leser wird an dieser Stelle enttäuscht werden: Es folgen keine Studien zu Grundbegriffen mehr.47) Stattdessen soll diese Skizze der deutschen Abfallrechtsgeschichte abgeschlossen werden mit einigen mehr oder weniger spekulativen Bemerkungen zur möglichen künftigen Rechtsentwicklung. 38
Schon ein Stück weit vorgezeichnet durch das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz ist der Weg zu einem umfassenden Stoffflußrecht. Die zur Zeit heftig ausgetragenen Kämpfe der Interessengruppen um die Abgrenzung von Abfallverwertung und -beseitigung wirken bereits heute im Grunde antiquiert. Die Abfallbeseitigung alten Stils steht vor dem Ende. Moderne Technologien machen aus jeder Müllverbrennung eine energetische Verwertung, die die Mindestanforderungen des § 6 KrW-/AbfG erfüllt. Die dabei anfallenden Schlacken können schon jetzt regelmäßig als Straßenbaustoff oder für ähnliche Zwecke verwendet werden. Der technische Fortschritt ermöglicht mittlerweile für fast alle Abfallarten ein Recycling; die Verwirklichung ist allein eine Frage des Marktpreises. Angesichts der weltweiten Bevölkerungszunahme und des allmählichen Verbrauchs von Freiflächen und natürlichen Ressourcen läßt sich prognostizieren, daß die Entwicklung auch weiter in diese Richtung geht. 39
Bei einem derart angetriebenen und grundsätzlich funktionierenden Stoffkreislauf besteht rechtlicher Regulierungsbedarf nicht mehr für den begrenzten Ausschnitt "Abfall", sondern während des gesamten Prozesses im Hinblick auf Ziele wie die Verhinderung von Schadstoffanreicherungen im Material oder die Sicherstellung möglichst umweltfreundlicher Produktions- und Behandlungsverfahren. 40
Der geeignete Ort für die Normierung des Stoffrechts wäre das Umweltgesetzbuch, das künftig alle wesentlichen Bereiche des Bundes-Umweltrechts umfassen wird. Mit dieser Kodifikation werden sich viele historisch gewachsenen Sonderregelungen im materiellen und Verfahrensrecht erübrigen. Als Folge können auch Behördenzuständigkeiten vereinfacht und vereinheitlicht werden. 41
Über die Exekutive hinaus könnte die Weiterentwicklung des Umweltrechts auch einmal zu Strukturveränderungen im Justizsystem führen. Die zunehmende Privatisierung von Staatsaufgaben im Umweltbereich, bis hin zu Teilen der Anlagenüberwachung (Stichwort "Öko-Audit"), und die partielle Zurückverschiebung des Baunachbarschutzes ins Zivilrecht sind dazu angetan, inhaltliche Auseinandersetzungen immer mehr durch Abgrenzungskonflikte zwischen Verwaltungs- und Zivilgerichten zu überlagern. Sofern man "Umwelt" als dominierenden Topos dieser Rechtsfälle begreift, ließen sich die Abgrenzungsprobleme nach ausländischem Vorbild leicht lösen: Andere Staaten wie etwa Australien haben mit der Einrichtung von Land- und Umweltgerichtshöfen gute Erfahrungen gemacht.48) 42
Rechtliche und gesellschaftliche Reprivatisierung muß nicht notwendigerweise eine Ersetzung öffentlich-rechtlicher Apparate durch profitorientierte Privatunternehmen bedeuten. Als Alternative bietet sich auch heute eine genossenschaftliche Lösung an, also eine gleichheitliche, horizontale Rechts- und Sozialbeziehung, mit der die Beteiligten in Selbsthilfe den gemeinschaftlichen Zweck erreichen.49) Die in § 17 KrW-/AbfG als mögliche Entsorgungsträger vorgesehenen "Verbände" von Abfallerzeugern und -besitzern sind nichts anderes als Genossenschaften in diesem Sinn. Sie stehen damit gewissermaßen in der Tradition der mittelalterlichen Dolengemeinschaften oder auch der Genossenschaft der Berliner Haus- und Grundeigentümer, die vor der Jahrhundertwende als Gegengewicht zu den eine Monopolstellung anstrebenden privaten Müllabfuhrbetrieben gegründet wurde und sich durch Einführung umweltfreundlicher Techniken Verdienste erwarb.50) 43
So sehr der Rückgriff auf das Verursacherprinzip, auf Produktverantwortung und private Unternehmerinititiative auch geeignet ist, die Effektivität der Kreislaufwirtschaft zu erhöhen, so notwendig wird weiter ein gewisser Rahmen durch staatliche - d.h. demokratisch legitimierte - Regeln und Sanktionen bleiben. Was in der frühen Neuzeit als "gute Policey" bekannt war, wird auch in Zukunft insoweit unverzichtbar sein, als der Verfassungsauftrag zum Schutz des menschlichen Lebens und der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) sich an den Staat und seine Behörden richtet. Eine Deregulierungspolitik, die staatliche Umweltgenehmigungs- und -überwachungsbehörden auflösen oder die Polizei aus dem Umweltschutz zurückziehen würde, wäre daher weder zweckmäßig noch verfassungsrechtlich zulässig. 44

Nachbemerkung

Nachdem auf den vorhergehenden Seiten diverse Kreisläufe zu beobachten waren - so etwa von der privaten Entsorgung über die öffentlich-rechtliche wieder zur privaten, vom materiellen Abfallrecht über das formelle wieder zu einem materiellen - sei noch einmal die Rückkehr zum Beginn dieses Textes gestattet. Die hier eigentlich gestellte Frage, was Abfallentsorgung und Rechtsgeschichte miteinander zu tun haben, muß aus rechtsgeschichtlicher Sicht natürlich im Sinne eines Unterschieds beantwortet werden: Diese und andere Wissenschaftler wollen ja kein Recycling von Ideen betreiben, sondern die Erkenntnis stetig mehren. Ob das abfallwirtschaftliche Denken sich aber nicht doch in sehr weitgehendem Maße durchgesetzt hat - ist ein anderes Thema ... 45

Fußnoten:

 

1 GV 1700-1910, Bd. 1 (1979), S. 125.

2 GV 1911-1965, Bd. 1 (1976), S. 92.

3 VLB 1997/98, S. 33 ff.

4 L. Kuchenbuch, Abfall. Eine stichwortgeschichtliche Erkundung, in: J. Calließ / J. Rüsen / M. Striegnitz (Hrsg.), Mensch und Umwelt in der Geschichte, 1989, S. 257 ff. (262).

5 Kuchenbuch, ebd., S. 266 f.

6 Kuchenbuch, ebd., S. 268 mit Fn. 36, unter Verweis auf Bd. 96 der Krünitzschen Enzyklopädie (1804).

7 Vgl. H. v. Lersner, Art. "Abfallrecht", in: Kimminich / v. Lersner / Storm (Hrsg.), Handwörterbuch des Umweltrechts (HdUR), I. Band, 2. Aufl. 1994, Sp. 7 ff.

8 G. Hösel, Unser Abfall aller Zeiten. Eine Kulturgeschichte der Städtereinigung, 2. Aufl. 1990, S. 45 f.

9 Hösel, ebd., S. 49.

10 U. Dirlmeier, Zu den Lebensbedingungen in der mittelalterlichen Stadt: Trinkwasserversorgung und Abfallbeseitigung, in: B. Herrmann (Hrsg.), Mensch und Umwelt im Mittelalter, 1986, S. 150 ff. (154).

11 Hösel, wie Anm. 9.

12 Hösel, aaO., S. 68 f., ausführlich für einzelne größere Städte auch auf S. 71 ff.; U. Dirlmeier, Die kommunalpolitischen Zuständigkeiten und Leistungen süddeutscher Städte im Spätmittelalter, in: J. Sydow (Hrsg.), Städtische Versorgung und Entsorgung im Wandel der Geschichte, 1981, S. 113 ff.

13 Dirlmeier, ebd., S. 140 f., 144.

14 Dirlmeier, ebd., S. 120; Abdruck der Verordnung bei A. Wolf (Hrsg.), Die Gesetze der Stadt Frankfurt am Main im Mittelalter, 1969, S. 375 ff.

15 Dirlmeier, aaO. (Anm. 12), S. 139 f.

16 Vgl. Dirlmeier, ebd., S. 146 f.; zur Bevölkerung Frankfurts auch K. Bund, Frankfurt am Main im Spätmittelalter, in: Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, 1991, S. 53 ff.

17 Hösel, aaO. (Anm. 8), S. 71.

18 C. O. Mylius (Hrsg.), Corpus Constitutionum Marchicarum (CCM), Theil 5, Abth. 1, Kap. 3 Nrn. 1 ff.

19 Vgl. z.B. Avertissement und Verordnung, das Gassen-Reinigungs-Wesen betreffend, vom 28.7.1777, in: Novus Corpus Constitutionum Marchicarum (NCCM), Bd. VI (1797), Nr. 29.

20 NCCM, Bd. II (1757), Nr. 13.

21 Vgl. G. K. Meyr (Hrsg.), Sammlung der Kurpfalz-Baierischen allgemeinen und besonderen Landes-Verordnungen ..., 2. Bd. (1784), Nrn. 148 u. 185; 5. Bd. (1797), Nr. 108; Datei des Projekts "Polizeiordnungen" am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt a.M., mit freundlichem Hinweis von G. Schuck.

22 Vgl. die bei Dirlmeier (aaO. - Anm. 12 -, S. 130 u. 145) und B. Schneidmüller (Städtische Umweltgesetzgebung im Spätmittelalter, in: Calließ u.a., aaO. - Anm. 4 -, S. 119 ff., insbes. Fn. 7) zitierte ältere Literatur, aber auch noch S. Lottermoser, Die Fortentwicklung des Abfallbeseitigungsrechts zu einem Recht der Abfallwirtschaft, 1991, S. 5 f.

23 Vgl. Dirlmeier, aaO. (Anm. 12), S. 145 f.

24 Hösel, aaO. (Anm. 8), S. 79 f.; H. Baumann / H. Mahlke, Stadtreinigung in der Tagungsstadt Frankfurt am Main, in: Der Städtetag 1957, S. 470; vgl. Frankf. Rundschau v. 8.5.1998, S. 23, und demnächst T. Bauer, "Frankfurt ist rein!" Kanalisation und Stadthygiene vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, 1998.

25 Wie Anm. 24.

26 Hösel, S. 156; M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 68 f.

27 Hösel, S. 160 ff., 186 ff.; FR v. 8.5.1998, S. 23; E. Schramm, Unser Müllnotstand wurzelt in der Geschichte, in: Universitas 2/1991, S. 118 ff. (124 f.).

28 St. Bredohl, Eine Geschichte des Mülls und der städtischen Müllbeseitigung in Münster, in: H.-U. Eggert (Hrsg.), Umwelt hat Geschichte - auch in Münster, 1988, S. 178 ff., zit. nach Schramm, aaO. (Anm. 27), S. 123.

29 Hösel, S. 158 f., 170.

30 Hösel, S. 214 ff.

31 Vgl. Baumann / Mahlke, in: Der Städtetag 1957, S. 471.

32 Baumann / Mahlke, ebd., S. 474.

33 Hösel, S. 159 ff., 184 ff.; Schramm, S. 124 ff., Baumann / Mahlke, S. 477.

34 Hösel, S. 191 ff.; Lottermoser, aaO. (Anm. 22), S. 13 ff.

35 Hösel, S. 189.

36 Begründung zum Regierungsentwurf des Abfallgesetzes, BT-Drs. VI/2401, S. 7, zit. nach Lottermoser, S. 15 f.; vgl. Hösel, S. 185.

37 Vgl. Hösel / v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Bd. I, Kz. 1020, S. 1 ff.; L. Diederichsen, Stationen der Umweltrechtsentwicklung am Beispiel des Abfallrechts, in: BayVBl. 1996, S. 649 ff.

38 Vgl. AbfG v. 7.6.1972, BGBl. I S. 873; HAbfG v. 13.7.1971, GVBl. I S. 191.

39 v. Lersner, in: HdUR (aaO., Anm. 7), Sp. 8.

40 Diederichsen, BayVBl. 1996, S. 651.

41 Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen v. 27.8.1986, BGBl. I S. 1410; vgl. v. Lersner, in: HdUR, Sp. 8; Diederichsen, BayVBl. 1996, S. 651 f.

42 VO über die Vermeidung von Verpackungsabfällen (VerpackV) v. 12.6.1991, BGBl. I S. 1234.

43 Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen, v. 27.9.1994 (BGBl. I S. 2705), in Kraft seit 7.10.1996.

44 Art. 6 InvErl-WoBaulG v. 22.4.1993, BGBl. I S. 466.

45 Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 12/3944, S. 62; H. Gaßner / A. Schmidt, Die Neuregelung der Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen, in: NVwZ 1993, S. 946.

46 § V 2 des Arbeitsentwurfs vom 5.3.1998; vgl. auch Art. 1 des Arbeitsentwurfs für ein Einführungsgesetz zum UGB (UGB-Vorhabenverordnung) vom gleichen Datum.

47 Vgl. G. Dilcher / B. Diestelkamp (Hrsg.), Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie - Symposion für Adalbert Erler, 1986.

48 P. Stein, Environmental Dispute Resolution Australian Style, in: ELNI-Newsletter 1/1995, S. 9 ff.

49 G. Dilcher, Zur Geschichte und Aufgabe des Begriffs Genossenschaft, und U. Kornblum, Das Weiterleben der Genossenschaft, in: Dilcher / Diestelkamp, aaO. (Anm. 47), S. 114 ff. (117), 168 ff.

50 Vgl. Hösel, aaO. (Anm. 8), S. 170 f.

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