Tagungsbericht:

forum historiae iuris
Ein richtiger Fachkongreß!


Europäisches Forum junger Rechtshistorikerinnen

und Rechtshistoriker (Osnabrück 2002)*

 

von Annette Keilmann, Mannheim


I.

Eine Freud'sche Fehlleistung? Das "Europäische Forum junger Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker" firmiert als Veranstalter einer Tagung in Osnabrück1. So will es jedenfalls das Deckblatt des diesjährigen Programms. Eine Veranstaltung dieser Bezeichnung wird seit 1994 jährlich durchgeführt. Sie findet an wechselnden Orten statt, bisher meist in der Bundesrepublik. Dazu kamen Graz (1997), Zürich (1999) und im letzten Jahr Wien. Der deutsche Sprachraum wird 2003 mit dem Veranstaltungsort Budapest erstmals verlassen2.

 

"Forum junger Rechtshistoriker/innen" - der Name ist Programm. Dieses erschließt sich den neu Hinzukommenden nur aus den Erzählungen langjähriger Teilnehmer und publizierten Kongreßberichten3. Danach will das Forum dem rechtshistorischen Nachwuchs eine "Plattform"4 bieten, auf der Kontakte geknüpft und Erfahrungen ausgetauscht werden. Im Interesse eines "möglichst herrschaftsfreien Diskurses"5 sind Inhaber einer C 4 - Professur von der Teilnahme ausgeschlossen. Die "Jungen" sollen die unterschiedlichsten Projekte vorstellen dürfen, Probleme des Faches Rechtsgeschichte zwanglos erörtern, eigene Gedanken zur Diskussion stellen6, ohne auf Beifall, Lob, Tadel ihrer Chefs und anderer "Autoritäten" zu schielen. Kurz: sich unverkrampft bewegen auf einem "Marktplatz der Ideen". Daneben dient das Forum dem gegenseitigen Kennenlernen - auch außerhalb der Vortragssektionen7. Und darin finden (fanden) nicht wenige Teilnehmer sogar den Hauptzweck.


II.


Einige der diesjährigen Teilnehmer ließen sich nur mit großem juristischen Geschick unter "junge Rechtshistoriker" subsumieren. Diese Erscheinung ist nicht neu8. Schwerer als "alte Jungs"9 wiegt, daß der Charakter des Forums verloren zu gehen droht10.

 

Sieben Vorträge am Tag seien entschieden zu viele, wurde mit Blick auf das zweite Forum (Halle an der Saale 1995) kritisiert .11 An diese Aussage aus den Anfangsjahren der Veranstaltung sei mahnend erinnert angesichts von zweimal je zehn(!) geplanten Vorträgen in Osnabrück. Insgesamt fanden gar 27 statt. Das ehrgeizige Programm der Veranstalter schränkte die Möglichkeit zu Diskussionen und persönlichen Gesprächen stark ein. Zudem mutet es bedenklich an, wenn am Eröffnungstag eines Forums der Nachwuchswissenschaftler drei etablierte Professoren einleitend referieren - teilweise über eine Stunde lang. Im übrigen galt weiterhin das "C 4 - Verbot"12. Immerhin.


Mit anderen Traditionen brach man im Jahr 2002. Auf dem Forum in Berlin war 1996 beschlossen worden, von der Festlegung der Tagung auf ein spezielles Thema Abstand zu nehmen13. In der Folgezeit gab es deshalb allenfalls "lose Tagungsmotti"14. Lediglich 2000 in Leipzig schien man eine Ausnahme machen zu wollen - was bereits im Vorfeld heftig kritisiert wurde15. In Osnabrück war zwar das Thema "Europa und seine Regionen" "betont offen"16 formuliert. Gleichwohl konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Organisatoren gar zu gerne die Veranstaltung eines "richtigen" Fachkongresses zu einem respektablen Thema nebst Herausgabe eines gehörigen Tagungsbandes ihrem Lebenslauf einverleiben wollten. So bemängelte einer der Veranstalter in der abschließenden Generaldebatte, die Teilnehmer hätten es versäumt, den jeweiligen "Themenbezug" der Referate herauszuarbeiten und etwa über den Begriff der Region zu räsonieren. Die Diskussionsleiter wurden gebeten, ein "wissenschaftliches Fazit" ihrer Sektion zu ziehen und die jeweiligen Ergebnisse noch einmal zusammenzufassen. Hoeren hat mit seiner Kritik an solchen Veranstaltungen ins Schwarze getroffen: "Der Organisator will aller Welt und alle Zeiten demonstrieren, dass er auch einmal einen Kongreß organisiert hat [...]."17


Durch die Bindung an ein streng verstandenes Thema des Forums zwingt man entweder die Vortragenden in ein zu starres Korsett oder animiert zum "Etikettenschwindel"18. Beides war nie gewollt19. In der Abschlußdiskussion stieß die Fixierung auf ein eng formuliertes Thema im Saal auch auf allgemeine Ablehnung. Bleibt demnach die Hoffnung, daß Budapest 2003 sich nicht Osnabrück zum Vorbild nimmt.


III.


Auf eine Einzelkritik von Vorträgen soll vorliegend verzichtet werden. Die Inhalte der Referate können ohne große Mühe den im Tagungsprogramm enthaltenen Exposées entnommen werden. Allerdings bringt dieser Verzicht den Leser um den zweifelhaften Genuß, die Langatmigkeit mancher Vortragssektion anhand eines solchen Berichts nachzuvollziehen. Der teilweise ermüdende Charakter der Veranstaltung war nicht allein das Resultat der bereits erwähnten Masse von Referenten. Einen entscheidenden Beitrag leistete die an den Tag gelegte Vortragskultur - oder besser Vorlesekultur. Allzu oft wurde die schriftliche Fassung eines für die spätere Veröffentlichung im Tagungsband vorgesehenen Beitrags durch Vorlesen zu Gehör gebracht. Unterstützt wurde diese Unsitte noch durch die Handhabung der - an sich zweifellos notwendigen - Redezeitbegrenzung. Den "Vortragenden" wurde von Seiten der Veranstalter aufgegeben, ein nicht mehr als 14.000 Zeichen umfassendes Manuskript vorab einzureichen. Wer da noch einen Vortrag erwartet hatte, wurde von den meisten Referenten enttäuscht, es galt vielmehr die Parole: "lesen, was das Zeug hält, viergliedrige Satzungeheuer, mit Einschüben, Semikola und Parenthesen"20. Der Zugang zu den für Nichtspezialisten notwendig entlegenen Themen wurde dadurch erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich. Ein Dank an die Organisatoren für die kurzen Exposées im Programm - ohne sie hätte man manchmal nicht einmal mitbekommen, welche Geschichte gerade vorgelesen wird. Warum nicht gleich auf den Tagungsband warten und auf den Kongreß verzichten?


Man mag über den Sinn und Unsinn von Tagungsbänden trefflich streiten. Unter denen, die sich in letzer Zeit öffentlich geäußert haben21, scheint aber in einem Punkt Einigkeit zu herrschen: Vorrang dem gesprochenen Wort und wider das Vorlesen von Satzungetümen. Es handelt sich bei dieser Tagungs(un)kultur wohl um ein generelles deutsches Problem22. Auffällig war der erfrischend andere Vortragsstil einiger Forums-Teilnehmer aus dem englischen Sprachraum: kurze prägnante Sätze, eingängige Beispiele, Witz und Esprit. Aber muß das Forum sich tatsächlich den fragwürdigen Trends deutscher etablierter Fachkongresse anschließen?


Müssen gerade hier Eitelkeiten gepflegt werden nach dem Motto "früh übt sich"? Der Bericht im Rechtshistorischen Journal zum Forum 2001 bemängelt die Selbstgefälligkeit der jungen Rechtshistoriker/innen23. In Osnabrück inszenierte eine Diskussionsleiterin ihren Auftritt: stellte selbst Fragen, anstatt den Wortmeldungen aus dem Publikum Beachtung zu schenken, erhob sich durch eine wertende Schlußbetrachtung über den jeweiligen Referenten. Es handelte sich ausgerechnet um keine andere als die Kritikerin des Vorjahres. Schnelle Anpassung an das wissenschaftliche Establishment? Nein, auch auf "richtigen" Tagungen heißt eine Diskussion leiten nicht, sie zu dominieren und sich in den Mittelpunkt zu rücken.

 

IV.


Nach stundenlangen Vortragssektionen noch hungrig auf Wissenschaft und Kultur? Da bietet sich eine Führung durch die Ius commune - Bibliothek an. Oder eine Einführung in die Ausstellung "Libri Pandectarum. Das Römische Recht im Bild des 17. Jahrhunderts", abends vielleicht ein eigens organisiertes Kammerkonzert. Den Veranstaltern ist es gelungen, ein umfangreiches Rahmenprogramm anzubieten. Man mußte direkt aufpassen, der Kultur nicht zu schnell hinterherzuhecheln - um dann atem- und sprachlos die wenigen Momente zu verpassen, in denen sich die Jungen (und weniger jungen!) kennenlernen konnten. Gerade am ersten Abend ließ man die Teilnehmer dagegen buchstäblich alleine im Regen stehen. Das Ende des Programms fiel zusammen mit dem des letzten professoralen Vortrags. Keine Diskussion, die man gegebenenfalls in kleinerem Rahmen in einer Kneipe hätte fortsetzen können. Der sogenannte Empfang vorgezogen in die knappe Pause zwischen Eröffnungsansprachen und ersten Vorträgen. Wie soll man da Kontakte knüpfen?


In den nächsten Tagen boten sich dazu mehr Möglichkeiten. Allerdings mit Einschränkungen: Viele der etwa 120 gemeldeten Teilnehmer aus den unterschiedlichsten Nationen kamen später (wenn überhaupt) und/oder reisten früher ab. Manche waren gar nur am Tag ihres Vortrages anwesend. Es mag dafür die verschiedensten - durchaus nachvollziehbaren - Gründe geben. So könnte man darüber nachdenken, ob das "offizielle" Programm tatsächlich von Mittwoch 16 Uhr bis Samstag abend 20 Uhr dauern sollte. Aber das ständige Kommen und Gehen verlieh dem Forum das Flair einer Bahnhofs-Wartehalle.


Vielleicht muß es so zugehen auf einem richtigen Fachkongreß.

 

Fußnoten:

*Anm. der Red.: Aufgrund eines technischen Fehlers wurde der Beitrag zunächst ohne den Namen der Autorin veröffentlicht. Die Redaktion bittet insoweit um Entschuldigung.

1 Diese fand vom 22. - 25. Mai 2002 statt. Organisiert wurde sie von Andreas Bauer und Karl H. L. Welker.

2 Voraussichtlicher Termin des Forums in Budapest ist der 21. - 25. Mai 2003.

3 Keine Andeutung zu den eigentlichen Zielen des Forums findet sich in dem Bericht von Karl H. L. Welker, Recht ohne Grenzen - Grenzen des Rechts. Tagung junger Rechtshistoriker in Graz vom 30. Mai bis 1. Juni 1997, in: ZEuP 1998, S. 375 - 378. Explizit zum Konzept des Forums dagegen Hans-Peter Haferkamp, Europäisches Forum Junger Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker vom 28.-30. Mai 1999 in Zürich, in: SZ Germ. 117 (2000), S. 850 - 859, 850, 859. Vgl. auch Susanne Ehret, Alte Jungs. Forum junger Rechtshistoriker - ein Bild der zukünftigen Rechtsgeschichte?, in: RJ 14 (1995), S. 422 - 424; Ulrich Falk, Hundred brothers are watching You. Forum junger Rechtshistoriker (Berlin 1996), in: RJ 15 (1996), S. 293 - 296; Stephan Hocks, Investment in Austria. Junge europäische Rechtshistoriker in Graz (1997), in: RJ 16 (1997), S. 560 - 562; Franz-Stefan Meissel, Kontinuitäten und Zäsuren in der Europäischen Rechtsgeschichte. Tagung des Europäischen Forums Junger Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker vom 22. - 24. 7. 1998 in München, in: JZ 1998, S. 1110; Lars Jungemann, Europäisches Forum Junger Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker: Kontinuitäten und Zäsuren in der Europäischen Rechtsgeschichte, München, 22. - 24. Juli 1998, in: ZEuP 1999, S. 996 - 999; Thomas Olechowski, Rechtsgeschichte(n)?. Tagung des Europäischen Forums Junger Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker vom 28. - 30. Mai 1999 in Zürich, in: JZ 1999, S. 887 - 888; Margrit Seckelmann, "Vielleicht sind die Erwartungen des jungen Rechtshistorikers an eine solche Tagung zu hoch gesteckt...". Bericht vom Europäischen Forum junger Rechtshistoriker/innen (Leipzig 2000), in: RJ 19 (2000), S. 435 - 440; Natascha Doll, "Große Zukunft"?. Der 33. Deutsche Rechtshistorikertag und das Wiener "Europäische Forum Junger Rechtshistoriker", in: RJ 20 (2001), S. 411 - 417.

4 Zum Begriff des Forums vgl. Brockhaus, Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Studienausgabe, 20. Aufl., Leipzig und Mannheim 2001.

5 Falk (wie Fn. 3), 294; vgl. auch Olechowski (wie Fn. 3), 888.

6 Vgl. Falk (wie Fn. 3), 295; Hocks (wie Fn. 3), 562; Olechowski (wie Fn. 3), 888; Ehret (wie Fn. 3), 422, 424; Seckelmann (wie Fn. 3), 437; Meissel (wie Fn. 3), 1110; Jungemann (wie Fn. 3), 996.

7 Vgl. Hocks (wie Fn. 3), 560; Meissel (wie Fn. 3), 1110.

8 Vgl. Seckelmann (wie Fn. 3), 440.

9 Vgl. den Titel des Berichts von Ehret (wie Fn. 3), 422.

10 So schon die Vorausahnung von Seckelmann (wie Fn. 3), 436.

11 Vgl. Ehret (wie Fn. 3), 423 f. Zustimmend insoweit Falk (wie Fn. 3), 295.

12 Falk (wie Fn. 3), 294 (Anführungszeichen auch im Original).

13 Vgl. den Bericht von Falk (wie Fn. 3), 296.

14 So Seckelmann (wie Fn. 3), 435.

15 Vgl. wiederum Seckelmann (wie Fn. 3), 435 f.

16 So zum Forum des letzten Jahres in Wien Doll (wie Fn. 3), 412.

17 Thomas Hoeren, Es gilt das gesprochene Wort - Tod den Tagungsbänden, in: NJW 2001, S. 2229 - 2230, 2230; kritisch gegen Hoeren Egon Lorenz, Noch einmal: "Es gilt das gesprochene Wort - Tod den Tagungsbänden", in NJW 2001, S. 3241 - 3242, 3242.

18 Vgl. Falk (wie Fn. 3), 296.

19 Vgl. vor allem Haferkamp (wie Fn. 3), 850.

20 Hoeren (wie Fn. 17), 2229.

21 Hoeren (wie Fn. 17); Lorenz (wie Fn. 17); Horst Sendler, Tod den Tagungsbänden? Nur den verlogenen!, in: NJW 2002, S. 1177 - 1178.

22 Das legen die kontroversen Beiträge zu Sinn und Unsinn von Tagungsbänden von Hoeren (wie Fn. 17); Lorenz (wie Fn. 17) und Sendler (wie Fn. 21) nahe.

23 Doll (wie Fn. 3), 417.

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Diese Seite ist vom 10. Juni, 2002