Zeitschrift Rezensionen

Rezensiert von: Elmar Krüger (Osnabrück)

Francisco Suárez Francisco Suárez, De pace / De bello

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzborg 2013 (= Politische Philosophie und Rechtstheorie des Mittelalters und der Neuzeit, Reihe 1, Texte 2). 331 S, 176 €. ISBN 978-3-7728-3038-9.

1In der Reihe Politische Philosophie und Rechtstheorie der Mittelalters und der Neuzeit werden in Reihe I die Texte, in Reihe II die Untersuchungen zu den Texten herausgegeben. Die vorliegende Rezension bezieht sich auf die zweisprachige, lateinisch-deutsche Textausgabe.

2Der Textausgabe ist eine deutsch-, englisch- und spanischsprachige Zusammenfassung vorangestellt, in der das Problem von Frieden und Krieg für den spanischen Jesuiten Francisco Suárez (1548 – 1617) in seinem Traktat De pace / De bello kurz wiedergegeben wird. Insgesamt ist die Ausgabe in sieben Teile gegliedert: (I) Geleitwort, (II) Vorbemerkungen, (III) Text und Übersetzung von De pace, (IV) Text und Übersetzung von De iustitia vindicativa, (V) Text und Übersetzung von De bello, (VI) Text und Übersetzung von De homicidio, (VII) Anhang.

3Die hochwertige Textausgabe mit einer gut lesbaren und treffenden Übersetzung trägt sicher dazu bei, Suárez, den doctor eximius, und sein rechtsphilosophisches Denken wieder in seiner großen Wirkungsbreite wahrzunehmen. Suárez war Theologe, Philosoph und Gelehrter der Kanonistik, sein rechtsphilosophisches Denken wurde von Robert Bellarmin (1542 – 1621) und Francisco Toledo (1534 – 1596) befürwortet, sein völkerrechtliches Denken wirkte bei Hugo Grotius (1583 – 1645) fort. Vor allem aber hatten Suárez‘ Disputationes metaphysicae in der Vermittlung der Metaphysiktradition des Mittelalters an die Philosophie der Neuzeit einen erheblichen Einfluss auf Leibniz (1646 – 1716), Spinoza (1632 – 1677), Christian Wolff (1679 – 1754) und damit auf die gesamte moderne Metaphysik. Suárez ist zugleich der zentrale Denker für den Übergang von mittelalterlicher Scholastik zur neueren Philosophie und Vertreter der zweiten großen Hauptströmung katholischer Philosophie und Theologie nach Thomas von Aquin mit einer spezifisch jesuitischen Lehrtradition thomistischen Denkens. Der Suarezianismus war die profilierte Schulphilosophie im 17. und 18. Jahrhundert sowohl an katholischen als auch an protestantischen Universitäten. Suárez war überdies wegweisend für die moderne theologische Individual- und Sozialethik.

4Die hier rezensierte Edition ist vor allem deswegen sehr zu loben, weil die Textauswahl nicht allein unter völkerrechtlichen und rechtshistorischen Gesichtspunkten erfolgt ist. Die geläufigen Textausgaben „The Classics of International Law“ und die im deutschsprachigen Raum verbreitete Ausgabe von Josef de Vries mit ihrem Fokus auf dem Völkerrecht ließen nämlich den für Suárez entscheidenden Aspekt weitgehend außer Betracht: Es ging Suárez nicht allein um eine positiv-rechtliche Fragestellung des Kriegs- und Völkerrechts, sondern insbesondere auch um die rechtsethischen Fragen von Strafe, Schuld und Vorsatz entsprechend der seinem Denken zugrunde liegenden jesuitischen Moraltheologie, die auf den einzelnen Menschen und seine Freiheit abzielt.

5Der zweisprachigen Edition liegt die lateinische Gesamtausgabe der Werke des Suárez zugrunde, die im 19. Jahrhundert von Michel André und Charles Berton vorgelegt wurde und ihrerseits in der Editionshistorie schlüssig auf Suárez und dessen Sekretär Balthasar Alvarez zurückgeht. Der lateinische Text wurde um einen Apparatus fontium ergänzt, der die von Suárez angeführten Quellen und Querverweise angibt. Die Übersetzung von De bello geht auf die lateinisch-deutsche Textausgabe von Josef de Vries zurück.

6Systematisch ist die Zusammenstellung in der Edition deswegen ein notwendiges Novum, das Suárez‘ theologischem Denken gerecht wird, weil der Traktat De bello im weiteren Kontext des Traktates De caritate steht. Die unter dem Titel De pace zusammengestellten Texte sind den beiden posthum veröffentlichten Traktaten De gratia (1619/51) und De fide, spe et caritate (1621) entnommen. Diese Zusammenstellung ist wegen der Thematik der theologischen Anthropologie schlüssig. Suárez übernimmt Thomas‘ Auffassung vom Frieden als Wirkung der Gottesliebe (effectus caritatis), aber nicht dessen gnadentheologische Bedingungen wie die Bindung an die Taufe, sondern entwickelt eine universale Friedenstheologie an alle Menschen. Das Ziel der Staatsethik des Suárez besteht in der einer dem Schöpferwillen gemäßen Rechtsordnung, damit der Mensch seiner Wesensbestimmung entsprechen kann. Der gnadentheologische Text De iustitia vindicativa bildet den Abschluss des Traktates De iustitia Dei, der wiederum Teil der Opuscula theologica (1599) mit typischen Fragen der Gnadentheologie ist. Hier vertritt Suárez zwei interessante Theorien: Zum einen sei die Strafe kein Aspekt der Kommutativ-, Distributiv- oder Gesetzesgerechtigkeit, sondern ein Mittel, den anderen zu zwingen, einen gerechten Akt der Wiedergutmachung zu leisten, zum anderen sei die Strafe als Hass auf den Nächsten ein Übel und bedürfe eines zusätzlichen ehrbaren Motivs, nämlich die Besserung des Sünders, das Wohl des Nächsten (des Opfers), die Verteidigung der Ehre Gottes, die Wiedergutmachung (Schadensersatz), die Wahrung des Gemeinwohls und der Schutz vor zukünftigen Verbrechen. De bello, eine Vorlesung aus dem akademischen Jahr 1584/1586 am Collegium Romanum, der sog. Gregoriana, bildet die Schlussdisputation des Traktates über die christliche Liebe, De caritate, mit dem Grundthema des im Krieg im besonderen Maße der Gefahr der Sünde ausgesetzten Menschen. Für die Rechtfertigung militärischer Gewalt genügt Suárez das rein naturrechtliche Argument nicht, weshalb der Mensch ethische Kategorien für seine Handlungsfähigkeit in einer moralisch höchst fragwürdigen Situation braucht. Es geht Suárez nicht um ein geschlossenes System moralischer Vorschriften, sondern um die sittliche Gestaltungsfreiheit des auf das Gute (auf Gott) ausgerichteten Menschen. Daher spielt für ihn auch nicht in erster Linie das Handeln von Staaten, sondern das Handeln von Personen im Krieg die entscheidende Rolle. Es wird in der Textedition deutlich, dass es Suárez um die moralische Relevanz des Rechts und um das Rechtssubjekt, den individuellen Menschen als Träger des politischen Handelns, den Vorrang der Anthropologie vor der Ethik, die Intention der Handlung (nicht Gesinnungsethik) statt bloßer Übereinstimmung mit der äußeren Norm geht. Dabei ist der Friede in der rechtstheologischen Systematik der übergeordnete soteriologische Zielhorizont. Dem Traktat De bello ist in der hier rezensierten Edition ein kurzer Abschnitt aus der Defensio fidei (1613) vorangestellt, die den rechtsethischen Zusammenhang mit der Strafgerechtigkeit herstellt. Suárez erkennt hier den Krieg als ein Mittel der Gewaltübertragung neben Wahl, Erbe und Vertrag an, wenn ein gerechter Titel zugrunde liegt. Der kanonistische Text De homicidio ist dem Band über die Kirchenstrafen (De censuris) entnommen.

7Durch die Edition wird deutlich, dass Suárez‘ De bello nicht allein auf eine völkerrechtliche Frage der Kriegführung zurückgeführt werden kann und eine positivistische Verengung der Rechtslehre der theologischen und metaphysischen Grundlage entgegensteht. Die Edition verdeutlicht daher, dass es Suárez weniger um Gott als den Urheber des Rechts an sich ging, als vielmehr darum, dass Gott dem Menschen das Recht als Mittel gibt, um seine wesensgemäßen Ziele menschlichen Strebens zu erreichen.

8Schallenberg stellt in seinem Geleitwort (S. XVII – XIX) die Bedeutung von Suárez für die neuzeitliche katholische Theologie und die moderne politische Ethik dar und weist auf Suárez‘ Werk als Brückenschlag zwischen traditionellem Thomismus und Nominalismus, insbesondere aber auch auf die Abweichung von Thomas hin, da für Suárez nicht die universale Menschennatur, sondern die individuelle Natur moralisch entscheidend ist. Des Weiteren wird der Gegensatz des Denkens von Suárez zu Gabriel Vásquez (1549 – 1604) verdeutlicht, der darin liegt, dass es für Suárez nicht nur auf die natürliche Vernunft ankommt, sondern dass das Gesetz des Willens Gottes durch das sittliche Naturgesetz das Schlechte verbietet. Schließlich weist Schallenberg auf die Bedeutung von Freiheit als einem typisch neuzeitlichen Merkmal in Suárez‘ Denken hin.

9Kremer gibt in den Vorbemerkungen (S. XXI – LXIV) in knapper und präziser Form wichtige Hintergrundinformationen zu Suárez‘ Leben, zu inhaltlichen Aspekten des Werkes wie dem Verhältnis von Recht und Moral, der naturrechtlichen Begründung des Krieges, der Tugendhaftigkeit als Leitprinzip gerechter Kriegsführung, der Gerechtigkeit im Krieg, der Frage von christlicher Liebe und Krieg sowie der Friedenspflicht. In einem weiteren Abschnitt stellt Kremer die Wirkungsgeschichte von Suárez‘ Denken dar. Schließlich wird die Edition unter textkritischen Aspekten vorgestellt. Die Vorbemerkungen schließen mit Einführungen in die Texte. Der Anhang enthält den textkritischen Apparat (1.) mit den Siglen und Abkürzungen (1.1), Lesarten (1.2) und Anmerkungen (1.3), das Verzeichnis der benutzten Editionen (2), eine Auswahl an Sekundärliteratur (3), ein Sachregister inklusive Personengruppen (4) und ein Personenregister (5).

10Insgesamt kann die Ausgabe wegen ihrer soliden Textkritik, der philologischen Präzision und den konzisen Hintergrundinformationen zu Autor und Werk unbedingt zur Lektüre und weiteren vertieften Erschließung von Suárez‘ Denken empfohlen werden.

Rezension vom 27. Januar 2014
© 2014 fhi
ISSN: 1860-5605
Erstveröffentlichung
27. Januar 2014